Der Pegelstand des Bodensees sorgt zurzeit für Gesprächsstoff, wobei sich die Interpretation der Daten als knifflige Angelegenheit erweist. In Konstanz beispielsweise schwankt der Wasserstand derzeit bei 308 Zentimetern und liegt damit nur noch wenige Zentimeter über dem langfristigen Minimalwert, der Mitte August mit ungefähr 300 Zentimetern ausgewiesen wird. Dass dabei allerdings unterschiedliche Parameter für den Vergleich herangezogen werden, ergibt der Blick auf historische Angaben von tagesaktuellen Pegelständen.
1858 war noch viel, viel weniger Wasser im See
Demnach nehmen zwei Tage im 19. Jahrhundert die Spitzenposition in Sachen Niedrigststand ein: Am 17. Februar und 2. März des Jahres 1858 war der Pegel auf 226 Zentimeter abgesunken. Von diesem Wert ist man in diesen Tagen also noch knapp einen Meter entfernt.
Die statistische Feinheit verdeutlicht, warum Fachleute stets auf den Unterschied von Wetter und Klima verweisen. Auch früher hat es Wetterextreme gegeben, Indizien für die Veränderungen des Klimas hingegen lassen sich nur durch langfristige Vergleiche beziehungsweise die Mittelwertentwicklung ableiten.
So oder so aber befand sich der von Menschen verursachte Klimawandel im Jahre 1858 allenfalls in seinen Anfängen. Dennoch sank der Pegel auf den bis heute gültigen Niedrigwasser-Rekordwert von 226 Zentimetern. Die Ursache dafür lässt sich heute nur noch bedingt ermitteln. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes besteht aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass zwei Dürrejahre maßgeblich zum damals niedrigen Wasserstand des Bodensees beitrugen.
Von den Folgen von Hitze und Regenmangel für Mensch und Natur zeugen handschriftliche Aufzeichnungen in jenen Jahren, wobei bei bäuerlichen Notaten eine hohe Objektivität unterstellt werden darf. Denn das Wetter hatte elementaren Einfluss auf die Ernte, und so sind manche Chroniken aus heutiger Sicht in mehrfacher Hinsicht wahre Fundgruben.
Zwei Dürrejahre im 19. Jahrhundert ließen den Bodensee-Pegel fallen
Die über mehrere Generationen aufgeschriebenen Beobachtungen auf dem Bauernhof Schulze/Epping in der Horstmarer Bauernschaft Niedern nehmen dabei eine Ausnahmestellung ein. Die ersten Eintragungen wurden Ende des 18. Jahrhunderts gemacht, die letzten reichen bis ins Jahr 1905. In dieser Chronik werden die Jahre 1857 und 1858 explizit als Dürrejahre bezeichnet, wobei auch der Winter als lind beschrieben wird.
Die dem Deutschen Wetterdienst zu diesen Jahren vorliegenden Angaben bestätigen die Aufschriebe der Chronik. Die Wissenschaftler können dazu auf den historischen Datenschatz der Wetterstation Hohenpeißenberg in Bayern zurückgreifen. Dort wurde 1857 eine Niederschlagsmenge von 315 Litern pro Quadratmeter registriert, im Folgejahr waren es 570 Liter. Nimmt man den Mittelwert der seit 1781 notierten Niederschlagsmengen, so ergibt sich mit 919 Litern pro Quadratmeter eine Ahnung vom Ausmaß der damals herrschenden Dürre.
Ein weiteres Indiz dafür, dass die Dürrejahre der Grund für die bis heute geltenden Rekord-Niedrigstände des Bodensee-Wasserstands sind, ergibt sich aus den Durchschnittstemperaturen in den beiden Jahren. Der Mittelwert (auch hier gibt es bis ins Jahr 1781 reichende Daten) liegt bei 6,3 Grad, der 1857 mit 6,9 Grad deutlich überschritten wurde.
Wurde irgendwann mal die Mess-Methode umgestellt?
Dennoch bleibt bei den Langzeitbeobachtungen ein Korridor der Ungewissheit. Hanns Ulrich Kümmerle vom Institut für meteorologische Forschung in Freiburg nennt dafür als Beispiel die Möglichkeit unterschiedliche Messmethoden. So ergibt sich für ihn um das Jahr 1879 ein Bruch bei den Jahressummen des Niederschlags, der ihm klimatologisch nicht als begründet erscheint. An der Kernaussage, dass es sich bei den Jahren 1857 und 1858 um Dürrejahre gehandelt haben dürfte, ändere dies jedoch nichts.
Und Tatsache bleibt auch, dass trotz aller statistischer Fallstricke mit ihren Interpretationsspielräumen derzeit der Wasserstand des Bodensees extrem niedrig ist. So liegt der Mittelwert des Höchststands um diese Jahreszeit bei 509 Zentimetern und somit etwa zwei Meter über dem aktuellen Tageswert. Dass es auch bei diesem auf langfristige Messungen beruhenden mittleren Höchstwert tageweise enorme Ausreißer gibt, zeigt beispielsweise eine Angabe vom 28. Juli 1987. Damals wies der Pegel einen Wasserstand von 538 Zentimetern aus.