Die Bundesregierung will den Forschungsstandort Deutschland stärken: sehr gut! Hoffentlich aber setzt sie dabei auch auf die richtigen Pferde.

Aktuell steht die Künstliche Intelligenz hoch im Kurs. Wen wundert‘s? Spätestens seit vor knapp drei Jahren das Programm ChatGPT auf den Markt kam und binnen Sekunden originäre Schularbeiten, Politikeransprachen oder auch Fachbeiträge anfertigte, ist das Thema in aller Munde. Wer in der Wissenschaft ganz vorne mitspielen möchte, heißt es, der müsse jetzt in Rechnerkapazitäten, IT-Fachkräfte und Robotik-Experten investieren. Mancher glaubt schon an eine Gesellschaft nach Science-Fiction-Art: Humanoide Roboter, intelligenter als ihre menschlichen Schöpfer, als neue Herren der Welt.

Da kann es nicht schaden, einen Blick in deutsche Autos zu werfen. Dort sollen nach dem Willen von Volkswagen-Markenchef Thomas Schäfer bald wieder Knöpfe, Hebel und Schalter zu finden sein. Sie wissen schon: diese klobigen Dinger aus den 80ern des vorigen Jahrhunderts. Schon lange beklagen nämlich Sicherheitsexperten eine Zunahme von Unfällen, nur weil Autofahrer mal eben die Heizung hochdrehen wollen. Früher ließ sich der betreffende Hebel noch im Blindflug ertasten. Heute widmen sich alle Sinne digitalen Temperaturanzeigen, Schaltflächen, Pfeilsymbolen – bei 140 Sachen auf der Autobahn. Im neuen Tesla soll allein das Öffnen des Handschuhfachs ein halbes Informatikstudium erfordern.

Beim Tesla Model Y „Juniper“ muss man sogar für das Einlegen der Gänge ein Display bedienen.
Beim Tesla Model Y „Juniper“ muss man sogar für das Einlegen der Gänge ein Display bedienen. | Bild: Klaus-Dietmar Gabbert

Es ist wohl Hollywood und seinen Filmen zu verdanken, dass wir uns die Zukunft gar nicht mehr anders denken können denn als einen Technopark voller Bildschirme, Roboter und schnittiger Raumschiffe, die uns täglich zum Mars bringen. Wo uns dann künstlich erschaffene Landschaften unter gigantischen Glaskuppeln erwarten.

Dabei sollte uns die Wissenschaftsgeschichte im Umgang mit solch eindimensionalen Zukunftsvisionen zur Vorsicht mahnen. Theoretische Physik galt Ende des 19. Jahrhunderts als längst auserforschte Langweilerdisziplin ohne Karrieremöglichkeiten. Mit Vorliebe schob man jüdische und weibliche Forscher dorthin ab, unter anderem den jungen Albert Einstein und seine Kollegin Lise Meitner. Am Ende waren es die vermeintlich randständigen Sonderlinge mit Orchideenfach, die es zu Weltruhm brachten – so leicht kann der akademische Betrieb sich täuschen.

Nicht einmal jede vierte Tierart ist entdeckt

Was also könnte die theoretische Physik unserer Zeit sein? Vielleicht ja die Schneckologie. Die heißt zwar in Wirklichkeit Malakologie, aber das verstehe nun mal kein Mensch, sagt ihr wohl bedeutendster Vertreter in Deutschland, Professor Matthias Glaubrecht, gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit. Glaubrecht kann nicht begreifen, warum die Menschheit Milliarden für die Raumfahrt ausgibt, während sie auf ihrem eigenen Planeten von geschätzt acht Millionen Tierarten noch nicht einmal jede vierte entdeckt und erforscht hat. Was gehen uns auch irgendwelche Süßwasserschnecken in Südostasien an!

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Nun ja: Glaubrecht zufolge ist es gut möglich, dass eine bislang noch unentdeckte Art Substanzen produziert, die Krebserkrankungen besiegen helfen. Da fliegt der Mensch zum Mars und schaut sich in rotem Staub und Eiseskälte schon mal nach einem geeigneten Grundstück um. Ein Tierchen aber, das ihn von seiner tödlichsten Bedrohung befreien könnte, treibt unbehelligt durch indonesisches Gewässer. Oder schlimmer noch: Es erstickt unter dem giftigen Schlamm eines Nickelbergwerks, das der Raumfahrt ihr wichtigstes Metall zuliefern soll.

Es gibt gute Gründe, sich mit staatlichen Fördermitteln für Themenfelder wie Künstliche Intelligenz und Astrophysik zu engagieren. Man sollte dabei aber nicht den Fehler einer US-Administration wiederholen, die gerade vor lauter Science-Fiction-Seligkeit ihre klügsten Historiker, Klimaforscher und Pharmaexperten vergrault. Selbst die beste Künstliche Intelligenz ist nämlich immer nur so klug wie die Substanz, von der sie lebt. Wer ihr nichts anderes vorsetzt als Star-Wars-Filme und Raumfahrtromantik, der darf sich nicht wundern, wenn am Ende nurmehr Künstliche Dummheit übrigbleibt.