Anne Meßmer

Manchmal habe ich Angst. Das mag sich jetzt drastisch anhören. Jeder hat mal Angst, das ist doch klar. Doch in letzter Zeit häufen sich die Nachrichten in Zeitungen, Radio und Fernsehen, die mich innehalten lassen. Ich halte inne und denke über das Gelesene oder Gehörte nach. Und dann habe ich Angst.

Millenial der Generation Y

Es ist keine lähmende Angst oder eine Angst, die mich zittern lässt. Es ist eine Angst, die sich langsam in mir aufbraut, die ständig Nahrung bekommt, um größer und stärker zu werden. Um so groß zu werden, dass sie mich vielleicht irgendwann doch lähmt und erzittern lässt? Es ist die Angst vor unserer und meiner Zukunft.

Ich bin ein sogenannter Millennial und gehöre der Generation Y an. Meine Generation ist zwischen 1980 und den späten 1990ern geboren. Uns wird manchmal vorgeworfen, wir würden uns nur mit Selfies beschäftigen und Avocados essen wollen. Dass dies nicht der Wahrheit entspricht, will ich auch hier aufzeigen. Es ist nämlich eigentlich ganz anders.

Unsere Eltern trugen uns auf Händen

Meine Generation gilt als internetaffin, entscheidungsunwillig und konsumscheu. Das mit der Internetaffinität ist klar – wir sind als erste Generation mit dem Internet aufgewachsen, haben das Internet lieben gelernt und können uns ein Leben ehrlich gesagt nicht mehr ohne Internet vorstellen.

Dass wir als entscheidungsunwillig gelten, könnte damit zusammenhängen, dass wir in einer Zeit und einem sozialen Umfeld groß geworden sind, das von Wohlstand gezeichnet war. Unsere Eltern, die Generation Babyboomer, taten alles für uns, trugen uns auf Händen, zeigten uns, dass das Leben einfach ist.

Eigenheim, Auto, Sparkonto

Wir lebten gemeinsam den Vorstadttraum: Eigenheim, Auto, Sparkonto. Wir wuchsen gut auf, konnten Entscheidungen getrost auf später verschieben. Ein solches Leben wurde uns vorgelebt. Nun möchte man sich als Kind von seinen Eltern abgrenzen. So lassen wir immer wieder verlauten, wir wollten einen solchen Vorstadttraum nicht leben, wollten lieber die Welt entdecken, keine Verantwortung für ein eigenes Haus übernehmen müssen, lieber frei sein, weniger konsumieren. Wenn wir investieren wollen, dann in coole Start-ups, die Glaswasserflaschen produzieren beispielsweise.

Viele haben Vorstadtträume

Unsere Attitüde, unsere innere Haltung, hat aber auch mit etwas anderem entscheidend zu tun. Es geht uns nicht bloß um Abgrenzung. Es ist leider so, dass wir wissen, dass wir das Leben unserer Eltern nicht fortführen werden können. Viele von uns sind eigentlich konservativer, als sie es zugeben wollen. Viele von uns haben auch Vorstadtträume. Doch wir wissen, sie sind in scheinbar unerreichbarer Ferne.

Scheinbar unerreichbar: Haus mit Garten in Radolfzell

Und damit komme ich zurück zu meiner Angst. Die Gründe für meine Angst sind vielfältig und haben doch einiges mit Vorstadtträumen zu tun. Zwei Gründe möchte ich hier darlegen:

Ich bin 25 Jahre alt, habe studiert und arbeite als Referendarin an einem Gymnasium in Singen. Ich bin schon verheiratet. Mein Mann hat auch studiert, ist Elektroingenieur. Wir sind sogenannte Arbeiterkinder, die ersten, die studieren konnten. Wir beide wissen, dass wir uns dennoch nur schwer ein Eigenheim so wie das unserer Eltern leisten können werden. Haus mit Garten in Radolfzell. Scheinbar unerreichbar.

Eine Million für ein Haus im Altbohl

Die Immobilienpreise sind in den letzten Jahren explodiert. Eine Eigentumswohnung in Radolfzell, groß genug, um zwei, vielleicht drei Kinder zu bekommen? Eine dreiviertel Million. Ein Grundstück im Altbohl, um darauf ein eigenes Haus zu bauen? Eine Million, wenn es denn reicht. Noch dazu das Wissen, dass viele weitere junge Paare auf der Suche sind.

Das Angebot ist zu gering. Um sich solche Preise leisten zu können, muss unsere Generation „schaffe, schaffe, schaffe“. So wie es unsere Väter getan haben. Nur müssen wir das nun beide tun, Väter und Mütter. Müssen dafür unsere Kinder in eine Kita geben. Ja, Ganztagsbetreuung, bitte.

Da fragen sich manche Babyboomer: „Wofür bekommen die denn Kinder, wenn sie sie doch den ganzen Tag abgeben?“ Na, weil wir uns ansonsten ein Leben so wie ihr nicht leisten können. Und da wünschen sich Eltern doch immer, dass es ihre Kinder einmal besser haben mögen, als sie.

Das Privileg heißt Wohnen in der Seeregion

Also, ich habe Angst vor einer Zukunft, in der Wohnen, besonders am Bodensee und in unserem Städtchen Radolfzell, ein Privileg wird. Ich habe manchmal Angst davor, dass ich mich gar nicht hier irgendwo in der Nähe niederlassen kann. Nun kann man Radolfzell und der Bodenseeregion nicht vorwerfen, zu wenig anzubieten. Es wird gebaut. Überall. Auf Hochtouren. Was oftmals fehlt, sind Pläne für bezahlbaren Wohnraum.

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Wohnraum, der auch für Paare zu bezahlen sein muss, die nicht beide Akademiker sind. Gleichzeitig kollidiert diese Forderung der Bebauung aller möglichen Flächen mit einer Angst, die teilweise sogar weitaus tiefer in mir schlummert. Eine Angst, die viele der älteren Generationen nicht auszusprechen wagen. Sie kennen die bittere Wahrheit, verschließen ihre Augen aber davor. Diese Wahrheit passt nicht in den Vorstadttraum.

Eingelullt vom sorgenfreien Leben

Nun schaffen es aber junge Menschen, die Generation nach den Millennials. Sie bringen ihre Angst, die Angst, die auch in mir schwelt, zum Ausdruck. Ich spreche von der Generation Z. Sie sind es, die wöchentlich fürs Klima auf die Straße gehen. Die ihren Mund nicht verschließen oder uns ihre Meinung verschweigen. Sie tun etwas, was meine Generation Y noch nicht geschafft hat. Zu sehr eingelullt waren wir vom sorgenfreien Leben in der Vorstadt.

Der Klimakollaps droht

Die Angst vor dem Klimakollaps ist fühlbar, noch um einiges größer, bedrohender. Es wird vor einer weiteren Dürre gewarnt. Eine Dürre, schlimmer als im Jahr 2018. Schon jetzt brennen in Thüringen die Wälder. Im April. Der Bodensee hat viel zu wenig Wasser. Die Böden sind viel zu trocken. Wo soll das hinführen? Wie können wir unter solchen Bedingungen zukünftig leben?

Der Klimawandel, der unhaltbar voranschreitet, zeigt uns, dass unser Vorstadttraum nicht Wirklichkeit werden wird. Dass wir uns niemals in unser Eigenheim, wenn wir es uns denn leisten könnten, zurückziehen können, das Leben so wie unsere Eltern genießen können. Dürreperioden, Überschwemmungen, Stürme könnten Alltag werden. Auch und gerade hier am Bodensee. Das ist leider die Wahrheit. Und davor habe ich Angst. Wir müssen handeln.

Die Unwilligkeit ablegen

Wir müssen unsere Entscheidungsunwilligkeit ablegen. Und genau das will ich tun. Ich möchte nicht von außen zusehen und schimpfen. Ich möchte mitmachen, später meinen Kindern erzählen können, dass ich mich eingeschaltet habe, nicht nur zugesehen. Es ist meine Zukunft, die Zukunft der Generationen Y und Z und der zukünftigen, noch ungeborenen Generationen.

Wir müssen unbedingt Teil der Politik sein. Wir müssen mit den Folgen von Wohnungsmangel, Preisexplosionen im Immobiliensektor und mit den Folgen der Umweltzerstörung umgehen. Wir müssen es ausbaden.

Gegen die Angst ankämpfen

Ich will mich einbringen, die Politik verändern, mitgestalten. Es müssen alle Generationen mit in ein Boot geholt werden. Viele mögen vielleicht sagen, junge Erwachsene müssten das Geschäft der Politik erst lernen, seien zu unerfahren, um mitzugestalten. Das stimmt.

Ich weiß noch gut, wie meine ersten Monate als Jugendgemeinderätin in Radolfzell liefen. Ich traute mich ja gar nicht, etwas im Plenum zu sagen, war eingeschüchtert, hatte keinen Plan, wie Kommunalpolitik gemacht wird. Doch ich habe es gelernt, bin hineingewachsen, Teil der Radolfzeller Politik geworden.

Diese Zeit hat mich geprägt. Nun möchte ich weitermachen. Gegen meine Angst ankämpfen. Möchte nicht, dass sie mich lähmt, sondern möchte, dass sie Antrieb sei, mich motiviert, für meine und unser aller Zukunft zu kämpfen.

Von der Jugend-Gemeinderätin Anne Kehl zur Kreistagskandidatin Anne Meßmer

  • Zur Autorin: Anne Meßmer, geborene Kehl, kam 1993 in Freiburg zur Welt. Sie ist seit der dritten Klasse Radolfzellerin und hier aufgewachsen. Im Friedrich-Hecker-Gymnasium hat sie 2012 das Abitur abgelegt. Von 2009 bis 2013 war sie Jugendgemeinderätin in Radolfzell, „wo ich auch meinen Mann kennenlernte“. Von 2011 bis 2013 war sie stellvertretende Vorsitzende des Jugendgemeinderats Radolfzell. Anne Meßmer hat Lehramt an der Universität Konstanz in den Fächern Politik/Wirtschaft, Ethik/Philosophie und Englisch studiert, zur Zeit befindet sie sich im Referendariat und unterrichtet im Friedrich-Wöhler-Gymnasium in Singen. Hobbys sind Gärtnern und Lesen. „Seit 2016 lebe ich in Wollmatingen, da mein Mann in Konstanz arbeitete und ich dort zur Uni ging. Wir sind im Moment aber auf der Suche nach einer Wohnung wieder in Radolfzell, da wir dort unsere Freizeit verbringen und nicht in Konstanz.“
  • Zur Kandidatur: Seit der anstehenden Kommunalwahl ist es möglich, für den Kreistag in einem Wahlkreis zu kandidieren, in dem man nicht wohnt, solange man im selben Landkreis wohnt. Da Anne Meßmer gerne wieder nach Radolfzell ziehen möchte, hat sie sich deshalb auch entschlossen, im Wahlkreis Radolfzell auf der Liste der SPD für den Kreistag in Konstanz zu kandidieren. „Ich bedauere es sehr, nicht auch für die Gemeinderatswahl in Radolfzell kandidieren zu können, da wir noch keine Wohnung in Radolfzell gefunden haben“, sagt Anne Meßmer.
  • Zum Beitrag: Anne Meßmer hat ihr Plädoyer in Form eines Essays geschrieben. Laut Duden ist ein Essay eine „Abhandlung, die eine literarische oder wissenschaftliche Frage in knapper und anspruchsvoller Form behandelt“.
  • Zum Jugendgemeinderat Radolfzell: Nicht nur die Kandidaten für Kreisrat und Gemeinderat befinden sich derzeit im Wahlkampf in Radolfzell, aktuell kandidieren 16 Jugendliche für den neuen Jugendgemeinderat in Radolfzell. Sie stellen sich am Freitag, 10. Mai, um 16 Uhr im Café Connect, Bahnhofstraße 2, vor. Danach haben die Radolfzeller Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren die Gelegenheit, in der Zeit vom 13. Mai bis 16. Mai ihre Stimmen abzugeben.