Eine Persönlichkeit, die Radolfzell in den Kriegs- und Nachkriegsjahren wie kein Zweiter prägte, starb vor 50 Jahren am 23. Dezember 1969. Nur wenige Jahre zuvor hatte die Stadt am 10. Dezember 1962 ihm und kurz danach Kaufmann August Kratt die Ehrenbürgerwürde verliehen. Im Ehrenbrief fasste Bürgermeister Albrecht für die Bürgerschaft die große Wertschätzung zusammen: „In Anerkennung seiner außergewöhnlichen Verdienste in seelsorgerischer und gemeinnütziger Hinsicht. In tiefer Dankbarkeit für sein mannhaftes Eintreten in schwerer Zeit zur Abwendung von Unrecht, Gewalt und Not und in Würdigung seiner hervorragenden stets bewiesenen menschlichen Haltung.“
Pfarrer Zuber erfuhr somit große Wertschätzung über die Pfarrei hinaus oder wie Bruno Epple unmittelbar zur Todesnachricht 1969 titelte: „Die Stadt Radolfzell hat mit Josef Zuber einen Vater verloren“. Eine Bezeichnung, die wohl heute so nicht mehr möglich wäre und dennoch diese Zeit und den von vielen tatsächlich empfundenen Verlust treffend charakterisiert.
Seine noch ungeschriebene Biografie wird von Stationen markiert, die ihn tief beeinflusst haben und letztendlich zum „Vater“ werden ließen. Am 10. Dezember 1897 erblickte Josef Zuber in Unzhurst, Kreis Bühl, das Licht der Welt in einer Handwerker- und Bauernfamilie. Im Alter von acht Jahren starb seine Mutter und er musste mit für seine sechs Geschwister sorgen. Weitere Schicksalsschläge blieben ihm nicht erspart, so verlor er nach und nach seine vier Schwestern. Während des Ersten Weltkriegs meldete sich der Primaner als Freiwilliger und kam nach mehreren Wechseln in das erste Bataillon des badischen Regiments 185, danach zum zweiten Ersatzbataillon des Konstanzer Infanterieregiments 114, welches in Radolfzell in der Viehhalle stationiert war.
Kämpfe in Galizien und dann an der Westfront, an der Somme 1916, die furchtbaren Schlachten bei Arras, in Flandern und bei Cambrai, hinterließen lebenslange Eindrücke. Oder wie es Bruno Epple so treffend formulierte: „Hier gewann er seine Haltung des furchtlosen Auftretens, aber auch den Mut, Verantwortung zu tragen, zu widersprechen, wo es notwendig wurde, zu wagen, wo es geboten war.“ Die Auszeichnungen mit dem Eisernen Kreuz und der badischen silbernen Verdienstmedaille verschafften ihm Anerkennung oder zumindest Respekt in seiner Gegenhaltung zu den örtlichen Machthabern des Dritten Reiches.
An Weihnachten 1918 kam er mit seiner Truppe nach Radolfzell und begann im Frühjahr 1919 das Studium der Theologie in Freiburg. Nach seiner Priesterweihe 1923 wirkte er in Bühlertal-Untertal und in St. Bernhard, Karlsruhe. Ein Jahr später berief man ihn an das Missionsinstitut nach Freiburg, wo er die Caritasarbeit im Stadtgebiet von Freiburg verantwortlich organisierte und auch die Leitung als Präses des ersten Kolpingvereines und des Gesellenhauses übernahm, kurz darauf sogar als Präses der ganzen Diözese mit internationalen Kontakten. Die sozialen Herausforderungen gerade in der Inflationszeit führten ihn an die Brennpunkte im Südwesten.
Ein Mann seines Formates konnte den Nationalsozialisten etwas entgegensetzen
Als Stadtpfarrer Alfred Kuner 1938 starb, war es wohl kaum nur ein glücklicher Zufall, eher eine bewusste Personalentscheidung, dass man Josef Zuber als Pfarrverweser nach Radolfzell entsandte. Nur ein Mann seines Formates konnte dem braunen Machtzuwachs und dem Bau des SS-Kaserne in Radolfzell etwas entgegensetzen. Mit unerschütterlicher Tatkraft ging er ans Werk. Noch 1939 gelang es, zwei neue Glocken (Hausherren- und Kriegergedächtnis-Glocke) anzuschaffen. 1940 übernahm er die kurz zuvor neu errichtete Kuratie St. Meinrad. Er vereinigte in sich soziale und geistige Intelligenz, hatte ein Gespür für das Notwendige.
Er klärte die Menschen über die Gräueltaten der Nazis auf, etwa die in der Kaserne 1943 vorübergehend einquartierten verbündeten ukrainischen Freiwilligen. Auf Anweisung von Reichsführer Heinrich Himmler wollte der Radolfzeller SS-Kommandant, dass Zuber für die unierten, griechisch-katholischen Ukrainer Gottesdienste in der Kaserne abhält. Zuber weigerte sich und so eskortierte die Radolfzeller SS monatelang die Ukrainer am Sonntagabend auf ihrer Prozession zum Gottesdienst und „bewachte“ anschließend das Münster. Hier erfuhren die „Verbündeten“ die Wahrheit über die Verbrechen der Nationalsozialisten und dass sie als KZ-Wächter vorgesehen waren (nach Mitteilung von Pfarrer Bernhard Maurer). Zuber ermutigte sie, sich diesen Plänen zu widersetzen und lieber an die Front zu gehen, als KZ-Verbrecher zu werden.
Zeitzeugen wie Bruno Epple berichten über einen besonderen Weihnachtsgottesdienst im Januar 1944, in dem rund 350 Soldaten in dem nur durch wenige Kerzen erhellten Münster ihre östlichen mehrstimmigen Gesänge erklingen ließen. Pfarrer Zuber unterstützte seine Vikare, unter anderem Karl Ruby, bei dessen unerschrockener Jugendarbeit. Ruby und Zuber setzten mit dem Hissen der weißen Fahne auf dem Münsterturm am Markustag 1945 das notwendige Zeichen für die friedvolle Übergabe an die Franzosen und bewahrten die Stadt mit anderen vor der Zerstörung. Zusammen mit Bürgermeister Gohl gründete er eine Notgemeinschaft für Evakuierte und Flüchtlinge. Und sofort machte Pfarrer Zuber sich an den inneren Wiederaufbau der Gemeinde, gründete den St. Sebastianverein für die karitative Arbeit (Krankenpflege und Kindergärten) und focht bis 1954 so manchen Kampf bis zur Übergabe der beschlagnahmten Häuser. Zeichen für die Ökumene setzten er und der evangelische Pfarrer Philipp Neuer allein durch ihre gemeinsamen Sonntagsspaziergänge.
Zahlreiche Projekte wirken bis heute fort
Die Dynamik der Projekte beeindruckt bis heute: 1951 erfolgte der Bau des Kolpinghauses (heute Sozialstation), 1952 der erneuerte Ölberg, die neuen Münsterglocken 1953 und die Orgel ein Jahr später und nicht zu vergessen der Bau von St. Meinrad 1957 bis 1959. Ein besonderes Zeichen für die Integration der Flüchtlinge setzte er mit der „schlesischen“ Namensgebung des neuen St. Hedwig-Kindergartens 1962. Schließlich folgte die große Münstersanierung 1963 bis 1966 und der Baubeschluss zum neuen Gemeindezentrum 1969. Die wachsende Stadt brachte auch ein Anwachsen der Katholikenzahl. Pfarrer Zuber und seine Vikare erteilten in verschiedenen Schulen Unterricht. Ab 1951 erfolgte die Ernennung zum Erzbischöflichen Schulinspektor für sieben Gemeinden des Dekanats Konstanz und 1961 wurde er erster Dekan des neu gegründeten Dekanats Radolfzell-östlicher Hegau.
Die Wertschätzung der Erzdiözese kam in der Ernennung 1952 zum Geistlichen Rat und 1967 zum Ehrendomherr am Freiburger Münster zum Ausdruck. Die gewaltigen Aufgaben hinterließen gesundheitliche Spuren und die letzten Jahre seines Lebens fesselte ihn eine schwere Krankheit körperlich an das Pfarrhaus und Monate verbrachte er auch im Krankenhaus. Schwer gezeichnet nahm er immer noch regen Anteil an der Entwicklung seiner Gemeinde, eine treue Stütze blieb ihm in jener Zeit Vikar Bernhard Maurer, der ihm in seiner Radolfzeller Berufung folgen sollte.
1967 formulierte Pfarrer Zuber in einem Dankschreiben, in einer Art geistlichem Testament, aus Anlass seines 70. Geburtstages seine Gedanken: „Gottes Wille und Treue hat mich sieben Jahrzehnte durchschreiten lassen inmitten meines Volkes, gebunden an seine Art und seinen Raum, wirkend und empfangend Erfahrung und Glück, Not und Versagen und doch immer wieder erleuchtet und genährt aus aufrechtem Einstehen in Kriegs- und Notzeiten an der Seite meiner Brüder und Schwestern.“
Der nicht nur in seinen Predigten wortgewaltige Pfarrer Zuber hatte in Radolfzell seine zweite Heimat gefunden: „Diese drei Jahrzehnte haben meine Priesterart und mein Leben aus der inneren Eigenart und Lebenskraft von Radolfzell mitgeformt, haben mich erzogen oft zum Schweigen, auch wenn wie beim See die Stürme alles wegzuschwemmen suchten im Seelsorgewirken, haben mir Ahnung gegeben, daß die innere Seele dieser Alemannen am See in vielen seelischen Dingen eine tiefe Schau und Ehrfurcht hat und daß manchmal diese freie adlige Seele durch entsetzliche Not oder Lieblosigkeit oder Einseitigkeit verkrusten kann, und dann nur jene letzte brüderliche und priesterliche Geduld immer wieder Hilfe bringen durfte.“
Was bleibt 50 Jahre danach? Sein standhaftes Eintreten und Zeugnis für Solidarität und Gerechtigkeit, und nicht zuletzt seine „Zuber-Chronik“, die er nach dem Krieg rückblickend verfasste und die einen ungeschminkten Einblick in diese dramatische Zeit gibt. Der Kindergarten Josef Zuber und eine Straße im Unterstürzkreut halten die Erinnerung an diese beeindruckende Radolfzeller Persönlichkeit zu Recht wach.