Petra Reichle und Anna-Maria Schneider

Stahringer Bürger die wie der junge Familienvater Nico Weber seit Jahren auf einen Bauplatz warten, wähnten sich bereits auf der Zielgeraden – nach jahrelanger Planung stand das Baugebiet „Zum Freiwiesle 2“ kurz vor der Umsetzung.

Die Stadt Radolfzell hat bereits 2018 den Kauf der in Privatbesitz befindlichen Teilstücke abgeschlossen, und das beauftragte Planungsbüro stellte im Februar vier Varianten zur Bebauung vor. Auch die Tatsache, dass sich auf dem Baugebiet ein Bestand an Streuobstbäumen befindet, war mehrfach abgewägt und Ausgleichsflächen waren ausgewiesen worden.

Ausschuss ändert den Bebauungsplan´, alle Planungen müssen von vorne beginnen

Umso größer war die Verwunderung, als Stahringens Ortsvorsteher Jürgen Aichelmann in der Ortschaftsratssitzung über einen geänderten Beschluss des Ausschusses für Planung, Umwelt und Technik (PUT) berichtete.

Was war geschehen? Obwohl Ortsvorsteher Jürgen Aichelmann im Ausschuss die Bedeutung des Baugebietes betonte und angab, es hätten sich bereits 45 Interessenten für einen Bauplatz gemeldet, wurde noch einmal über den Sinn des Baugebietes diskutiert. Der Bürgerworkshop für Bauwillige war terminiert, unter den Bewerbern waren Stahringer und auch Auswärtige, Aichelmann hoffte auf einen Baubeginn Anfang 2021.

Einige Bäume auf der Wiese sind sehr alt und wertvoll

Dies wird nun sicher nicht mehr klappen, denn die rund 40 Streuobstbäume auf der Wiese sorgten vor allem bei der FGL-Fraktion für Gesprächsbedarf. Auf der Wiese seien fünf sehr alte und erhaltungswürdige Bäume, andere sind als erhaltungsfähig eingestuft.

Die Stadtverwaltung hatte verschiedene Optionen vorgeschlagen, wie man das Baugebiet aufteilen könnte. Eine davon würde einen Teil der Bäume erhalten. Doch gerade ginge es eben nur um die Aufstellung eines Bebauungsplans, erinnerte Thomas Nöken, Leiter des Baudezernats, die Stadträte.

FGL-Stadträtin will die Wiese selbst pachten

Vor allem Beate Giesinger (FGL) würde das Areal am liebsten so lassen, wie es ist. Obwohl sie nicht Mitglied des Ausschuss für Planung, Umwelt und Technik ist, nahm sie als Ersatzmitglied für Waltraut Fuchs an der Sitzung teil, die wegen Befangenheit für diesen Tagesordnungspunkt in den Zuhörerbereich wechselte. Giesinger plädierte dafür, die Wiese weiterhin zu bewirtschaften, sie schlug auch vor, diese Wiese selbst von der Stadt zu pachten. „Wir zerstören ohne Not alte Bäume“, so Giesinger.

Ortschaftsrat will mögliche Befangenheit von Beate Giesinger prüfen lassen

Für die Stahringer Ortschaftsräte, die sich am Tag nach der Ausschusssitzung trafen, stellt sich nun die Frage, wie unbefangen Beate Giesinger sei, da sie offen bekundet hatte, die Wiese selbst pachten zu wollen. Der Ortschaftsrat gab an, dies prüfen lassen zu wollen.

Laut der FGL-Stadträtin, die im Planungs-Auschuss ein äußerst emotionales Plädoyer für den Erhalt der Wiese hielt, gäbe es in Stahringen ausreichend Bauplätze. Auch wenn diese in privater Hand lägen, müsse man das Gespräch suchen und eventuell auch älteren Menschen anbieten, ihr Haus aufzugeben. „Manche sind sicher dankbar, wenn sie ihr großes Haus nicht mehr pflegen müssen“, ist sich Giesinger sicher.

Mittleres Flurstück soll von der Bebauung ausgeschlossen werden

Thilo Sindlinger (FGL) schlug vor, ein mittleres Flurstück des Baugebietes aus dem Bebauungsplan herauszunehmen. Zur großen Überraschung der Ortschaftsräte wurde der Antrag Sindlingers mit sechs Ja-Stimmen bei einer Nein-Stimme und drei Enthaltungen angenommen.

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Bild: Schönlein, Ute

Konkret bedeutet dies, dass das mitten im Baugebiet liegende Grundstück mit der Flurstücksnummer 677 vom Baufenster freigehalten wird. Der Beschluss hat nicht nur eine Verzögerung und Neuplanung zur Konsequenz, auch ein Erhalt der Streuobstbäume erwirkt er nur bedingt. Auf diesem Teilstück befinden sich zwar die meisten Streuobstbäume, allerdings gehört keiner der Bäume zu den fünf als sehr erhaltenswert eingestuften und nur sechs zu den 15 als erhaltenswürdig eingestuften Bäumen.

Ortschaftsrat ist über die Entscheidung verwundert

„Stahringen ist von Streuobstwiesen umgeben. Für die geplante Baufläche wurde längst eine große Ausgleichsfläche am Rande des Gebiets ausgewiesen“, erläutert Ortsvorsteher Jürgen Aichelmann sein Unverständnis für den Beschluss während der Sitzung des Ortschaftsrates.

„Wir sind eine grüne Gemeinde und fühlen uns dem Erhalt verpflichtet. Aber genauso verpflichtet fühlen wir uns, unseren Bürgern Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Für die Bauplätze gibt es 45 Bewerber, viele davon junge Familien die seit Jahren darauf warten, in ihrem Heimatort ein Eigenheim zu bauen“, ergänzt Aichelmann.

Bereits im Ausschuss habe er die Maßnahmen erläutert, die man als Ersatz für die Streuobstbäume durchführen wollte. „Wir denken, dass die Fauna und Flora ausweichen kann, da wir ganz in der Nähe des Wohngebietes neue Bäume pflanzen“, sagte Aichelmann im Planungsausschuss.

Kopfschütteln über den Vorschlag der Nachverdichtung

Auch der Vorschlag Giesingers, dringend benötigte Bauplätze durch Innenverdichtung zu schaffen, sorgte im Ortschaftsrat für Kopfschütteln. „Wir haben uns bereits seit vielen Jahren aktiv um eine Innenverdichtung bemüht – ohne Erfolg. Genauso wie in anderen Gemeinden trennen sich Eigentümer nicht von ihren Grundstücken. Die einzige Möglichkeit, Bauplätze zu schaffen, ist durch die Ausweisung von Baugebieten„, erklärt Ortschaftsrat Bruno Sauter.

Bauwillige Familien sind nun enttäuscht und haben Angst, die Frist für das Baukindergeld zu verpassen

Auch wenn der PUT-Ausschuss der Bebauung des Gebiets grundsätzlich zugestimmt hat, wird die beschlossene Herausnahme des Teilstücks für monatelange Verzögerungen sorgen. Nico Weber sieht auch in Bezug auf das Baukindergeld große Probleme: „Durch die Zeitverzögerung ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß wir unseren Bauantrag nicht vor Ende 2020 einreichen können und somit kein Baukindergeld mehr beziehen können, denn dieses kann nur befristet bis Ende 2020 beantragt werden“, sagt Weber.

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