Wie kann die angespannte Situation in der Geburtshilfe verbessert werden? Mit welchen Maßnahmen kann Hebammenmangel entgegengewirkt und werdenden Müttern die nötige Unterstützung geboten werden? Um diese Fragen zu beantworten, haben die Konstanzer Landtagsabgeordnete der Grünen, Nese Erikli und ihre Kollegin Jutta Niemann zu einer Diskussion im Zunfthaus der Narizella Ratoldi eingeladen. Niemann ist Landtagsabgeordnete aus Schwäbisch Hall und Sprecherin für Hebammen und Geburtshilfe der grünen Landesfraktion.
Nicht nur die Geburtenstation in Radolfzell wurde vor zwei Jahren aufgrund der hohen Haftpflichtprämien geschlossen, auch viele Hebammen fühlen sich durch die enormen Kosten abgeschreckt und legen den Beruf nieder. Durch den entstandenen Mangel an Hebammen ist es für Schwangere derzeit schwer, eine Betreuung zu finden. Dabei ist die Geburtshilfe enorm gefordert: Rund 520 Kinder kamen 2016 vor der Schließung der Geburtenstation im Radolfzeller Krankenhaus zur Welt. "Grundsätzlich muss man sagen, dass die Zahlen nach oben gehen", sagte Nese Erikli.
Die Situation sei jedoch nicht nur für Mütter, sondern auch für Hebammen belastend, betont Jutta Niemann. Viele von ihnen müssten mehrere Geburten gleichzeitig betreuen, durch die Überstrapazierung steige das Risiko von Fehlern. Zudem sei die Bezahlung ein Faktor, der abschreckend wirkt und die steigenden Haftpflichtprämien machen es Hebammen schwer.
Das bestätigte auch Helga Häusler, Hebamme aus Radolfzell, die ihre Eindrücke schilderte. Eine Hebamme sei in Deutschland im Schnitt für 118 Geburten im Jahr zuständig, dazu kämen noch einige mehr, wenn Kollegen durch Krankheit oder ähnliches ausfallen. "Dieser emotionale Druck ist enorm", sagte Helga Häusler. "Über viele Jahre hinweg ist das eigentlich nicht auszuhalten." Viele Hebammen seien daher nicht bereit, in Vollzeit zu arbeiten.
Wie sehr den Anwesenden, darunter auch Mitglieder der Radolfzeller Initiative für eine familienfreundliche Geburtshilfe, eine Verbesserung der Situation am Herzen lag, wurde schnell deutlich. "Die Geburtshilfestation hat ein Ende gefunden, aber kann sie nicht wieder einen Anfang finden?", wollte eine Frau wissen. Eine andere sprach sogar von Politikverdrossenheit, die der Entschluss zur Schließung bei ihr ausgelöst habe, weil sie den Eindruck gewonnen habe, dass Bürgerproteste auf taube Ohren gestoßen seien.
Im Moment gäbe zwar keinen Ansatz für die Wiedereröffnung der Station, sagte Nese Erikli. Jedoch sei der Kreistag für Schließungen von einzelnen Standorten und gemeinsam mit den Kommunen für die Personalgewinnung durch Schaffung von Anreizen wie Mietzuschüsse zuständig. Sie riet daher der Initiative, weiterhin aktiv zu bleiben und etwa Kreisräte, Bürgermeister und den neuen Landrat, Zeno Danner, auf die Dringlichkeit des Themas hinzuweisen. Zudem bot sie an, einen Abgeordnetenbrief zu schreiben und darauf hinzuweisen, dass sich in Radolfzell bei der Schließung der Geburtenstation viele übergangen gefühlt haben. "Ich kann Sie nur ermutigen, nicht aufzugeben und sich weiterhin einzusetzen", sagte Erikli.
Auf Landesebene werde zudem bereits an der Erstellung eines Maßnahmepakets gearbeitet, um die Situation zu verbessern, versicherte Jutta Niemann. Zwar sei es Aufgabe des Bundes, für eine gerechtere Bezahlung zu sorgen, das Land setze sich jedoch zum Beispiel für die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe ein, was den Stellenwert der Hebammenausbildung anheben und den Beruf attraktiver machen könne. Niemann hofft zudem darauf, dass sich etwa junge Leute, die nicht zu einem Medizinstudium zugelassen werden, alternativ für ein Hebammenstudium entscheiden könnten.
Geburtenstation
Die Geburtenstation in Radolfzell befand sich bis zu ihrer Schließung im Radolfzeller Krankenhaus. Aufgrund der steigenden Beiträge für die Haftpflichtversicherungen von Hebammen und Ärzten kam 2017 schließlich ihr Ende. Seitdem müssen Schwangere aus der Region in andere Krankenhäuser ausweichen. Die nächstgelegenen Alternativen sind Singen, Tuttlinge und Überlingen. Zudem entscheiden sich Viele für Hausgeburten (lam)