Sanft senkt sich die Abendsonne über den Kleingärten in den Böhringer Frankenwiesen. In etlichen Parzellen machen es sich Familien vor ihren Lauben zum Vespern gemütlich, in anderen Gärten werden liebevoll Setzlinge gepflanzt, Kinder tollen herum oder helfen ihren Eltern oder Großeltern mit kleinen Schubkarren und bunten Gießkännchen bei der Gartenarbeit.
Doch die Idylle trügt. Auf dem Spazierweg durch die Anlage steht eine Gruppe von Hobbygärtnern, die auf Abstand und mehr oder weniger verzweifelt Ortschaftsrat Wolfgang Tietze ihren Unmut über ein ihrer Ansicht nach rigides Vorgehen der Stadt klagt: Vor wenigen Tagen haben die 35 Kleingärtner von der Ortsverwaltung die definitive Kündigung ihres Pachtvertrages erhalten, verbunden mit der Auflage, die ganze Anlage bis zum 30. Juni zurückzubauen. Der Grund: Der Verwaltungsaufwand sei zu hoch und man beabsichtige, das gepachtete Gelände nach Auslaufen des Pachtvertrages an die Erzdiözese Freiburg zurückzugeben.
Die Vorgeschichte: Bereits am 15. November 2019 wurde den Pächtern die Kündigung zum Ende der Saison 2020 ausgesprochen. Ein Aufschrei ging durch die Anlage. Viele Pächter betreiben ihre Gärten schon seit Jahrzehnten. Entsprechend emotional verlief die erste Zusammenkunft mit Ortsvorsteher Bernhard Diehl und einigen Ortschaftsräten. Es kam der Vorschlag auf, einen Verein zu gründen und das Grundstück selbst von der Kirche zu pachten. Diese hätte das Modell mitgetragen. Aber es gab niemanden, der sich bereit erklärte, eine Vereinsgründung in die Hand zu nehmen.

Jedoch wollten sich die Pächter selbst um die Verwaltungsangelegenheiten kümmern und wären auch bereit gewesen, mehr Pacht als bisher (15 Euro je Parzelle) zu bezahlen. Darauf ließ sich die Stadt nicht ein, woraufhin die Pächter der Frankenwiesen Kontakt mit dem Verein der Gartenfreunde Radolfzell aufnahmen, was zu fruchtbaren Gesprächen führte und auch von der Stadt stets unterstützt wurde. Eine schöne Lösung war in Sicht, denn in der Hauptversammlung im September 2020 stimmten die Mitglieder dem Vorschlag zu, die Böhringer Kleingärtnergemeinschaft bei sich einzugliedern. Doch es kam anders: Der Vereinsvorsitzende verstarb im Dezember unerwartet und der kommissarische Vorstand lehnte in dieser Situation kürzlich die Übernahme der Anlage ab.
Sprecherin Marleen Edelmann zeigt sich schockiert
„Dass die Stadt jetzt in dieser Situation so kurzfristig ihre Kündigung wirksam macht, hat uns schockiert“, so Marleen Edelmann, Sprecherin der Böhringer Gartenpächter. „Einige haben hier viel Geld investiert und jetzt soll einfach alles platt gemacht werden. Wenn wir nicht abräumen, will die Stadt den Rückbau auf unsere Kosten veranlassen.“ Man sei hochmotiviert, sich selbst um die Verwaltungsangelegenheiten zu kümmern, habe für verpachtete, aber bisher nicht bewirtschaftete Parzellen engagierte Pachtwillige auf der Warteliste und wolle Arbeitsstunden einführen, um das Gebiet rund um die Gärten in Ordnung zu halten. Zudem sei eine schöne Insektenwiese geplant.
Dies habe sie auch Ortsvorsteher Bernhard Diehl in ihrer Bitte um eine weitere Chance mitgeteilt. „Wie gesagt, sind wir bereit, in den Verwaltungsdingen mehr anzupacken, aber eine Vereinsgründung mit der ganzen Verantwortung, die damit zusammenhängt, wollen wir uns nicht aufzwingen lassen“, bekräftigt Marleen Edelmann. Johann Mutzhaus, seit 17 Jahren Pächter, ist fast täglich in seinem Garten, der 600 Meter von seiner Eigentumswohnung entfernt liegt. „Ich bin einfach nur erschrocken, als ich den Brief bekam. Es ist für mich unverständlich, dass man solch ein Naherholungsgebiet für Familien von heute auf morgen rücksichtslos einstampfen will!“

Auch Irina Markovin, die seit 28 Jahren hier ihren Garten hat und fünf Enkelkinder, die damit aufgewachsen sind, zeigt sich fassungslos. „Ich kann es einfach nicht verstehen, dass die Gärten nach so langer Zeit verschwinden sollen.“ Die Anlage gebe es seit über 50 Jahren berichtet sie. Sie wisse, dass früher französische Soldaten hier ihre Gärten hatten, später dann viele Gastarbeiter.
Auch Ortsvorsteher Bernhard Diehl hat sich ein anderes Zeitfenster vorgestellt. „Es ist schlimm! Ich habe die Vorgabe bekommen, die Kündigungen rauszuschicken, die Entscheidungsträger sitzen woanders“, stellt er klar. Mittlerweile hat er viele Rückmeldungen von Räten und Pächtern bekommen. Er hofft, dass es auf den Druck hin vielleicht doch noch eine Lösung gibt.
Die Pressestelle der Stadt teilt auf Anfrage mit, dass die Entscheidung davon getragen war, unwirtschaftliche Verpflichtungen zu minimieren und sich im Rahmen der Haushaltssanierung den originären Aufgaben zu widmen. Eine Verlängerung des 2020 ausgelaufenen Pachtvertrages mit der Kirche wäre nur zu veränderten Konditionen möglich gewesen, die bereits etwa die Höhe der Einnahmen aus der Unterverpachtung an die Kleingärtner aufgezehrt hätten, heißt es. Hier seien noch keine Personal- und Sachkosten berücksichtigt, so dass sich die Unwirtschaftlichkeit bereits hieraus ergebe. Eine genaue Ermittlung der auf die Kleingartenanlage entfallenden Personal- und Sachkosten sei bislang noch nicht erfolgt.
Stadt will sich für einen Aufschub einsetzen
Die Bereitstellung von Flächen zum Betrieb von Kleingartenanlagen auf gemeindefremden Grundstücken gehöre nicht zu den Kernaufgaben einer Stadt. Auch müsse man auf die Gleichbehandlung achten. Alle Kleingärtner in der Stadt seien in eigenen Vereinen organisiert. Deshalb könne die Stadt nicht mit Steuermitteln einen Bereich zusätzlich unterstützen und die Verwaltungsaufgaben eines Vereins übernehmen. Dies in die Hände einer privaten Organisation zu geben, dem ortsansässigen Kleingarten, sei daher das gebotene Ziel gewesen. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme: „Wir sind im Gespräch mit dem Grundstückseigentümer, um einen weiteren Aufschub zu erhalten. Damit wollen wir den Kleingärtnern die Chance geben zu erwägen, über einen Verein oder eine Vereinsgründung die Anlage zu erhalten.“