Die Landtagswahl 2021 ist für den Abgeordneten aus Radolfzell bis spät in der Nacht eine Zitterpartie geblieben. Jürgen Keck konnte sich zwar früh über seine fast 20 Prozent in Radolfzell freuen, doch ob er wieder in den Landtag für die FDP einziehen sollte, diese Entscheidung zog sich lange hin. Während die Stadt Radolfzell das Ergebnis über die Schnellmeldung bereits zwanzig vor Acht am Abend über den Ticker schickte, ließ die Verteilung der FDP-Ausgleichs-Mandate auf sich warten.

Ein Tisch mit Wahlzetteln, die darüber Aufschluss geben, welchem Gechlecht und welcher Altersgruppe die Wähler zugehören. Damit können ...
Ein Tisch mit Wahlzetteln, die darüber Aufschluss geben, welchem Gechlecht und welcher Altersgruppe die Wähler zugehören. Damit können Wahlforscher ermitteln, welche Wählergruppe die verschiedenen Parteien gewählt haben. Das Wahlbüro in der Güttinger Grundschule wurde als ein Wahlbezirk im Land zufällig ausgewählt, der diese Angaben liefert. | Bild: Jarausch, Gerald

Siegfried Lehmann war von 2006 bis 2016 Abgeordneter für die Grünen im Landtag. Das landesweite Ergebnis ist für den Sprecher der Fraktion der Freien Grünen Liste im Gemeinderat keine „ernsthafte Überraschung“, auch das gute Ergebnis der Grünen nicht. „Das ist schon bemerkenswert, dass die Grünen im Vergleich zur CDU keine Feder lassen mussten.“ Die vielen neuen Federn, die sich sein FDP-Stadtratskollege Jürgen Keck, nach diesem Wahlkampf an den Hut stecken kann, nötigen Siegfried Lehmann viel Respekt ab: „Jürgen Keck hat ein tolles Ergebnis erzielt.“ Das gute Ergebnis im Wahlkreis und die erstaunlichen knapp 20 Prozent in der Stadt Radolfzell seien das Resultat eines sehr umtriebigen Wahlkampfs. „Wie heißt es so schön: Der Wahlkampf beginnt nach der Wahl, das hat Jürgen Keck beherzigt.“

Die Enttäuschung bei Karin Vögele, Zweitkandidatin der CDU im Wahlkreis Konstanz/Radolfzell, ist auch am Telefon deutlich zu hören. „Wir haben ein besseres Ergebnis erwartet“, sagt sie am Wahlabend. Überrascht sei sie hingegen aber nicht. Es sei die vergangenen Tage an den Wahlständen in der Stadt spürbar gewesen, dass die CDU und auch der Kandidat vor Ort Levin Eisenmann, es nicht leicht haben werden. Dennoch sei das Ergebnis, welches deutlich unter dem der Landes-CDU liegt, sehr enttäuschend. „Es wird auch Konsequenzen haben, das ist klar“, so Vögele. Die Suche nach Gründen, warum der 23-Jährige trotz sehr engagiertem Wahlkampf, unter der 20-Prozent-Marke blieb, ist müßig. Karin Vögele vermutete, es lag zum einen am Nachnamen und einer damit suggerierten Nähe zur Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann. Hinzu käme sein Alter, was für einige CDU-Wähler schlicht zu jung sei. Dieses Thema sei öfter an den Wahlständen diskutiert worden, ob ein junger Student denn schon bereit für diesen Posten sei. „Aber ab wann ist man denn alt genug, um in der Politik sein zu dürfen, erst ab 30?“, fragt die Zweitkandidatin.

Alltag im Land am gestrigen Wahltag: Bürger stehen am Wahllokal der  Ratoldus Grund- und Gemeinschaftsschule an, um ihre Stimme bei der ...
Alltag im Land am gestrigen Wahltag: Bürger stehen am Wahllokal der Ratoldus Grund- und Gemeinschaftsschule an, um ihre Stimme bei der Landtagswahl abzugeben. | Bild: Jarausch, Gerald

Levin Eisenmann habe ebenfalls sehr enttäuscht auf das Ergebnis reagiert und werde laut Vögele sicher ein paar Tage brauchen, um es zu verdauen. Er werde sich nun entscheiden müssen, wie für ihn die Zukunft aussehen soll. „Er wird sich sicher erst einmal auf sein Studium konzentrieren“, so Vögele. Angesichts des ebenfalls enttäuschenden Ergebnisses der CDU auf Landesebene sieht Karin Vögele, die jahrelang den CDU Ortsverband Radolfzell als Vorsitzende geleitet hatte, auch Redebedarf. „Wir müssen uns die Frage stellen, warum der Wähler kein Vertrauen mehr zu uns hat“, sagt sie. Viele bundespolitische Dinge wirkten bis nach Radolfzell, sei es das Thema Impfen oder die Maskenaffäre. Hier gelte es wieder Vertrauen aufzubauen. An eine baden-württembergische Landesregierung ohne Beteiligung der CDU möchte sie am Wahlabend noch gar nicht denken. „So schlecht war grün-schwarz nun auch wieder nicht, der Wähler hat uns schließlich nicht komplett abgewatscht.“

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Für Johannes Ehlerding aus Radolfzell, Zweitkandidat der SPD im Wahlkreis 56, ist das Abschneiden seiner Partei sowohl auf Landesebene als auch im Wahlkreis Konstanz/Radolfzell, zwar enttäuschend, aber nicht überraschend. „Das ist schlecht, aber mit Ansage schlecht“, so Ehlerding. Der Pandemie-bedingte Digital-Wahlkampf sei vor allem für unbekannte Kandidaten klar zum Nachteil gewesen. So auch für die SPD-Kandidaten Petra Rietzler, die in Radolfzell unter acht Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte. Überhaupt tat man sich schwer mit dem Wahlkampf auf Distanz, „Es war schwierig, Ideen zu entwickeln, mit welchen Formaten man Menschen erreichen kann“, sagt der Zweitkandidat der SPD. Die Landtagswahl sei auch eine Personenwahl und da hätten etablierte Politiker einen klaren Vorteil.

Die Wahlbeteiligung hat im Vergleich zu 2016 sowohl in der Stadt Radolfzell wie auch in den Höri-Gemeinden wieder abgenommen. In Radolfzell ging sie um 6,4 Prozentpunkte zurück, in Moos gerade mal ein Prozent, in Gaienhofen um 5,3 und in Öhningen um 3,8 Prozentpunkte.