Es wäre ein „absolutes Leuchtturmprojekt“, wie Tobias Hagenmeyer, Geschäftsführer der Stadtwerke Radolfzell, es ausdrückt: die geplante Nahwärmegewinnung aus Abwasser der Radolfzeller Kläranlage. Schon in der Vergangenheit hatten die Stadtwerke erklärt, aus geklärtem Wasser Abwärme gewinnen zu wollen – so etwas hat es bei den Stadtwerken Radolfzell bislang noch nicht gegeben. Auch in anderen Kommunen könnte die Idee künftig adaptiert werden.

Die Stadtwerke haben dafür bereits eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben und waren 2023 bereits so weit, dass die Planungsphase starten konnte. Allerdings musste damals noch der genaue Standort der nötigen Heizanlage auf dem Klärwerkgelände geklärt werden. Was sich seither getan hat.

Wie funktioniert das?

Wie die Projektverantwortliche Stefanie Hambalek bereits im Sommer 2023 erklärt hatte, soll das geklärte Wasser der Kläranlage zu drei Wärmetauschern geleitet werden. Die gewonnene Wärme kann dann in einer Großwärmepumpe zum Einsatz kommen. Um diese Pumpe anzutreiben, könne Strom aus Photovoltaikanlagen genutzt werden. Wenn besonders viel Bedarf für Wärme besteht, soll ein großer Puffspeicher zum Einsatz kommen, der zugeschaltet werden kann.

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Damit könnte enorm viel Wärme gewonnen werden: Wie Lars Kießling, Leiter Anlagen und Netze bei den Stadtwerken, erklärt, sorgen die Bestandeinrichtungen zur Wärmegewinnung, etwa die Biogas-Anlage in Möggingen, derzeit für eine Wärmeleistung von 15 Gigawattstunden pro Jahr. Alleine die neue Anlage im Klärwerk solle nach der Realisierung genau so viel produzieren. Zum Vergleich: Ein Haus benötige im Schnitt pro Jahr etwa 10.000 bis 20.000 Kilowattstunden Leistung.

Lars Kießling, Leiter Anlagen und Netze bei den Radolfzeller Stadtwerken.
Lars Kießling, Leiter Anlagen und Netze bei den Radolfzeller Stadtwerken. | Bild: Marinovic, Laura

Wie weit sind die Stadtwerke?

Seit 2023 hat sich nun einiges getan, man sei „relativ weit“ mit dem Projekt, so Tobias Hagenmeyer. So habe man zwischenzeitlich ein ungenutztes Gebäude auf dem Kläranlagengelände als Standort für die Heizanlage ins Auge gefasst – auch aus Nachhaltigkeitsgründen. Allerdings wäre ein Umbau sehr aufwändig gewesen, außerdem hätte angebaut werden müssen, erklärt so Lars Kießling. Schlussendlich habe man sich darum für einen wirtschaftlicheren Neubau entschieden.

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Außerdem haben sich die Stadtwerke um finanzielle Unterstützung für das Projekt bemüht. Schon die Machbarkeitsstudie sei von der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze gefördert worden. Nun sei auch für die Umsetzung, also den Bau der Anlage und der Netze sowie die Kundenanbindung, ein Förderbescheid in Höhe von 2,9 Millionen Euro erfolgt. Insgesamt rechnen die Stadtwerke derzeit mit Ausgaben in Höhe von 15 bis 17 Millionen Euro für das ganze Projekt.

Nur unter bestimmten Bedingungen

Doch in trockenen Tüchern ist das ganze Vorhaben noch nicht. Wie Tobias Hagenmeyer erklärt, gebe es nämlich zwei Grundbedingungen für die Umsetzung. Die erste sei die Förderzusage gewesen. Die zweite ist aber noch nicht erfüllt, denn noch fehlen die Wärmeverträge mit den Bestandsanrainern, also Industrieunternehmen rund um das Milchwerk, darunter etwa Allweiler, Schiesser und Seemaxx. Die Anbindung von Privatkunden sei im ersten Schritt noch nicht angedacht – in Zukunft aber durchaus.

„Es braucht eine Gewissheit, dass es bestimmte Abnahmen hat, wenn man baut“, sagt Tobias Hagenmeyer, Geschäftsführer der Stadtwerke
„Es braucht eine Gewissheit, dass es bestimmte Abnahmen hat, wenn man baut“, sagt Tobias Hagenmeyer, Geschäftsführer der Stadtwerke | Bild: Marinovic, Laura

Zwar hätten die Industrieunternehmen bereits ihr Interesse bekundet, verbindliche Verträge gibt es aber noch nicht. Darum wolle man sich nun in der zweiten Jahreshälfte bemühen. „Es braucht eine Gewissheit, dass es bestimmte Abnahmen hat, wenn man baut“, so Hagenmeyer. Daher sei auch angedacht, Voraussetzungen für eine Erweiterung des Netzes bis zur Werner-Messmer-Klinik zu schaffen. „Sodass man das anbinden könnte.“ Auch die Konstanzer Straße soll perspektivisch mit der Nahwärme aus dem Klärwerk versorgt werden.

Weitere Unsicherheit kommt von oben. „Die Politik muss stabile Rahmenbedingungen schaffen“, fordert Tobias Hagenmeyer. Aktuell sorgen zum Beispiel Diskussionen um Heizungsgesetz oder Preisdeckel für Unsicherheiten, so der Stadtwerke-Geschäftsführer. Er wünsche sich darum ein klares Signal, auch zur Finanzierung von derartigen Projekten.

Auch der See wird untersucht

Sollte alles klappen, möchten die Stadtwerke im nächsten Jahr mit dem Bau der Infrastruktur starten und Ende 2027 die Anlage in Betrieb nehmen. „Das ist ein wesentlicher Baustein für die Klimaziele der Stadt“, betont Hagenmeyer – Radolfzell will nämlich bis 2035 die Klimaneutralität erreichen.

Dazu arbeiten die Stadtwerke parallel an einem anderen Projekt: der Nutzung von Wärme aus dem Bodensee. Das gehöre zur kommunalen Wärmeplanung, eine Machbarkeitsstudie sei bereits in Auftrag gegeben worden. Mit den Ergebnissen rechnen Hagenmeyer und Kießling im Herbst. „Das wäre ein Wärmekonzept, um die Altstadt zu versorgen“, sagt Tobias Hagenmeyer.