Einen wesentlichen Schritt weiter gekommen ist das große Bauvorhaben des Hamburger Otto-Konzerns in der Singener Innenstadt. Der Investor plant dort im ehemaligen Holzerbau gegenüber dem Bahnhof ein großes Einkaufszentrum mit rund 16.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Das hat nicht nur im Singener Handel und in Teilen der Bevölkerung für intensive Diskussionen gesorgt, sondern auch in den Nachbarstädten. Diese fürchten die starke Konkurrenz und einen erheblichen Verdrängungswettbewerb.
In einem Raumordnungsverfahren hatte das Freiburger Regierungspräsidium seit Juli 2015 etwa 30 Städte, Gemeinden, Behörden und Verbände befragt. In der Auswertung kam die Behörde zu dem Ergebnis, dass dem Vorhaben im Grundsatz nichts mehr im Wege steht.
So begründet das RP wie folgt:
"Neues Einkaufszentrum mit geringen Abstrichen raumordnerisch vertretbar:
Das geplante Einkaufszentrum der ECE in Singen hat die Hürde des Raumordnungsverfahrens genommen. Insgesamt dürfen nach der jetzt veröffentlichten Entscheidung des Regierungspräsidiums (RP) Freiburg 16 000 Quadratmeter Verkaufsfläche realisiert werden. Abstriche gibt es zum einen beim Sortiment Sport- und Campingartikel, wo die Verkaufsfläche nur noch 1400 Quadratmeter statt den ursprünglich geplanten 1700 Quadratmeter umfassen darf. Zum anderen hat das Regierungspräsidium beim Sortiment Uhren und Schmuck, mit dem auf kleiner Fläche sehr große Umsätze zu erzielen sind, die Verkaufsfläche von 400 auf 300 Quadratmeter reduziert.
Das RP kam in seiner umfangreichen Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Auswirkungen des ECE vor allem wettbewerblicher Natur seien und raumordnerisch vertretbar sind. Die Behörde vertritt die Auffassung, dass durch das ECE die Region insgesamt aufgewertet wird und sich noch stärker als attraktives Einkaufsziel profilieren kann.
Das Raumordnungsverfahren war Anfang Juli 2015 mit der Anhörung von knapp 30 Städten, Gemeinden, Behörden und Verbänden eingeleitet worden. Dabei wurden auch die benachbarten Schweizer Kantone Schaffhausen und Thurgau beteiligt. Grundlage der Anhörung war vor allem eine mit dem RP, der Stadt, dem Regionalverband, der Industrie- und Handelskammer und dem Handelsverband Südbaden eng abgestimmte Auswirkungsanalyse der BBE Köln, die die Stadt Singen in Auftrag gegeben hatte.
Erläuterungen zum Inhalt der Entscheidung: Von vornherein hatte das RP die Einschätzung vertreten, dass die Lage des geplanten Einkaufszentrums in der Singener Innenstadt und gegenüber dem Bahnhof in hervorragender Weise die Ziele der Raumordnung und Landesplanung zur Stärkung der Stadtkerne (sog. Integrationsgebot) und zur Anbindung der Einzelhandelsgroßbetriebe an den öffentlichen Personennahverkehr erfüllt.
Schwieriger war demgegenüber das sog. Kongruenzgebot, ein weiteres Ziel der Raumordnung, zu beurteilen. Danach soll der wesentliche Teil der Umsätze aus dem im Landesentwicklungsplan festgelegten Verflechtungsbereich der als Mittelzentrum eingestuften Stadt Singen stammen. Als Anhaltspunkt gilt hier die 70 Prozent-Marke. Damit soll sichergestellt werden, dass noch ein ausreichendes Marktpotenzial für das Oberzentrum Konstanz, die beiden benachbarten Mittelzentren Radolfzell und Stockach sowie andere Standorte übrig bleibt. Dabei war zu beachten, dass Singen im Hinblick auf die Einwohnerzahl und somit auf die Kaufkraft mit über 110.000 Einwohnern im Kreis Konstanz eine Spitzenposition einnimmt. Dies und die gute verkehrliche Anbindung der Stadt Singen führen dazu, dass schon heute in hohem Maße Kaufkraft nach Singen fließt, die sowohl aus dem Singener Mittelbereich, als auch aus angrenzenden Gebieten und in großem Umfang von Schweizer Kunden stammt. Das ECE wird diesen Kaufkraftzufluss noch verstärken.
Das BBE-Gutachten ergab zwar, dass voraussichtlich weniger als 70 Prozent des ECE-Umsatzes aus dem Mittelbereich Singen kommen wird. Dennoch kam das RP zu dem Schluss, dass das Kongruenzgebot nicht verletzt, das Einkaufszentrum also raumordnerisch zulässig ist. Entscheidend war, dass die Behörde mehrere Faktoren zu berücksichtigen hatte, die für eine Ausnahmesituation sprachen. Hierzu gehört vor allem der hohe Anteil an Umsätzen aus der Schweiz, der für die Region an Hochrhein und Bodensee gegenüber dem übrigen Teil des Landes eine deutliche Sondersituation darstellt.
Hinzukommt, dass gerade die raumordnerisch sehr positiv zu bewertende Lage inmitten der Singener Innenstadt für die Planung des Centers besondere Schwierigkeiten mit sich bringt. Im Vergleich zu Standorten „auf der grünen Wiese“, die der Gesetzgeber beim Landesentwicklungsplan als unerwünscht im Blick hatte, stellen bestehende Straßenraster, enge Grundstückszuschnitte und Lärmschutzvorgaben die Projektentwickler vor große Herausforderungen.
Auch aus diesen Gründen hat die Freiburger Behörde davon abgesehen, das Bekleidungssortiment, für das die ECE 8.500 m² Verkaufsfläche eingeplant hat, zu reduzieren. Ein Mindestmaß an Wirtschaftlichkeit muss, wie das RP konstatierte, immer noch gegeben sein. Dies bedeutet, dass bestimmte „Magnetsortimente“, wozu vor allem Bekleidungstextilien gehören, in einem Einkaufszentrum angeboten werden müssen und die Betreiber gerade bei diesen Sortimenten ausreichende Spielräume benötigen.
Anders ist die Situation bei den Sortimenten Sport- und Campingartikel und Uhren/Schmuck: Die Umsatzumverteilungen, die das ECE laut BBE-Analyse bewirken kann und die als Indikator für etwaige Beeinträchtigungen gewachsener Strukturen gelten, erreichen in diesen Branchen vor allem in den Innenstädten von Konstanz und Radolfzell höhere Werte. Diese liegen laut RP zwar immer noch unter der kritischen Grenze, dennoch hielt man es in Freiburg im Sinne eines „Sicherheitspuffers“ für angebracht, die Verkaufsflächen der beiden Sortimentsgruppen herunterzuschrauben.
Problematisch könnten die Umsatzumverteilungen in der Singener Innenstadt selbst werden. Geschäftsschließungen, vor allem in schwächeren Standortlagen, können hier – im Gegensatz zu den Stadtzentren im Umland – laut BBE nicht ausgeschlossen werden. Städtebaulich durchaus ein Problem, raumordnungsrechtlich aber laut RP ohne Bedeutung, da es sich dabei um Auswirkungen innerhalb des Singener Stadtkerns handelt, durch die keine Ziele der Raumordnung verletzt werden. „Wir weisen“, so das RP, „auf die möglichen Konsequenzen für den Singener Einzelhandelsbestand hin, letztlich liegt die Entscheidung aber bei der Stadt.“
Empfehlungen gibt die höhere Raumordnungsbehörde in ihrer Entscheidung aber dennoch. So sollten sich aus Freiburger Sicht Stadt und ECE bemühen, im geplanten Center möglichst solche Betriebe unterzubringen, die heute schon in Singen, vor allem an der Peripherie, existieren. Auch solle die Stadt sorgfältig darüber abwägen, ob nicht aus ihrer ganz eigenen Sicht weitere Verkaufsflächenbeschränkungen nötig seien. Dies sei auch im Sinne des im Baugesetzbuch verankerten interkommunalen Abstimmungsgebots positiv zu werten, da die raumordnerischen Auswirkungen im Umland noch weiter minimiert werden könnten.
Mit dieser Aussage nimmt das RP vor allem das Oberzentrum Konstanz in den Blick. Hier waren die ECE-Pläne auf große Skepsis gestoßen. Für die Entscheidung des RP waren die Aussagen der benachbarten Städte, insbesondere der von Konstanz und Radolfzell beauftragten Fachbüros, dann auch von erheblicher Bedeutung, einen Verstoß gegen Ziele der Raumordnung konnte man in Freiburg aber daraus nicht ableiten."
Donnerstagabend dritte Demo gegen Großprojekt
Zur mittlerweile dritten Kundgebung gegen die Pläne des Hamburger Investors ECE, am Bahnhof ein riesiges Einkaufscenter zu bauen, ruft die Bürgerinitiative "Für Singen" auf. Sie findet am heutigen Donnerstag, 12. Mai, ab 19 Uhr statt. Sie soll wieder knapp eine Stunde gehen. Los geht es am Café Hanser in der August-Ruf-Straße, das bei einem ECE-Bau stehen bleiben wird. Dieses Mal haben sich die Gegner das Thema "Wohnraum" auf die Fahnen geschrieben. Sie kritisieren, dass 47 Wohnungen wegfallen würden. Zur ersten Kundgebung waren rund 250 Teilnehmer gekommen, zur zweiten waren knapp 200 Interessierte erschienen. Die Befürworter unterdessen haben noch keine Kundgebung oder Ähnliches pro ECE-Center organisiert.