Wenn die Chemie nicht stimmt, hilft das Recht nur bedingt weiter. Mit dieser Erkenntnis endete eine Verhandlung vor dem Arbeitsgericht in Radolfzell, die symptomatisch für viele arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen ist. Immerhin, in diesem Fall war eine gütliche Einigung möglich. Die Streitparteien einigten sich auf die Zahlung des ausstehenden Lohnes, eines Abfindungsbetrages sowie eines Schmerzensgeldes in der Gesamthöhe von 5000 Euro, der Arbeitnehmer erhält außerdem ein wohlwollendes, qualifiziertes Zeugnis. Der Schaden auf beiden Seiten durch den Verlust des menschlichen Grundvertrauens lässt sich nicht bemessen.

"Kontrollwahn" des Marktleiters

Aus Sicht des Angestellten ist es in dem in einer Hegau-Gemeinde befindlichen Supermarkt nicht auszuhalten. Einem Schreiben seiner Anwältin zufolge herrschen in dem Markt „Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, die in keiner Weise den Arbeitsschutz- und sonstigen Richtlinien und Gesetzen entsprechen“. Als besonders eklatanter Bruch des Vertrauensverhältnisses wurde die Überwachung mittels einer Video-Kamera empfunden, die in einem Raum des Unternehmens hinter der Abdeckung eines Lautsprechers installiert gewesen sei. Ein Kollege, der die Kamera entdeckt hatte, legte dazu eine eidesstattliche Erklärung vor. Arbeitsbedingungen, Misstrauen und der „Kontrollwahn“ des Marktleiters sind nach Einschätzung des Klägers mitursächlich für eine Reihe von Erkrankungen.

Aus Sicht der Arbeitgebers stellt sich der Sachverhalt ganz anders dar. Die Kündigung sei auf eine „Summe von Unzufriedenheiten“ zurückzuführen. Dazu zählte er auffällige Krankmeldungen just am Ende von Urlauben – mal brach sich sein Angestellter den Zeh, dann wieder sei er von einer Leiter gefallen. Wieder und wieder habe er das Gespräch mit dem Mitarbeiter gesucht und ihn ermahnt, dass „es so nicht weiter geht“.

Mitte Juli habe er sich dann zur Kündigung entschlossen – nicht nur, weil wieder eine Krankmeldung nach dem Urlaub vorlag, sondern auch wegen des Stils. Der Angestellte habe ihm mittels der Whatsapp eines Kollegen über seinen Krankenstand informiert. Daraufhin suchte der Chef seinen Mitarbeiter zuhause auf und weil er dabei keine Chance auf Einvernehmen sah, überreichte er ihm die Kündigung. Allerdings erwies sich diese vor Gericht als wenig wirksam, da für den ordentlichen Verlauf einer Vertragsauflösung das Vorliegen von schriftlichen Abmahnungen notwendig ist. Darauf aber verzichtete der Marktleiter. „Ich bin eher so, dass ich das direkte Gespräch suche“, sagte er gegenüber Arbeitsrichter Carsten Teschner.

Den Vorwurf der Kamera-Überwachung bestritt der Arbeitgeber nicht. Ursache sei der Diebstahl von Waren über das Fenster des überwachten Raumes gewesen, wobei die Kamera ausschließlich auf das Fenster gerichtet gewesen sei. Kistenweise sei Material aus dem Betrieb entwendet worden, allerdings sei das schon eine Weile her. In der Beschäftigungsphase des Klägers sei die Kamera nicht mehr in Betrieb gewesen, im Übrigen inzwischen deinstalliert worden. Der Marktleiter machte außerdem geltend, dass er Sinn und Zweck der Überwachung offen kommuniziert habe.

Die Grenzen der arbeitsrechtlichen Schlichtung wurden am Ende der Verhandlung deutlich, als der Kompromiss bereits ausgehandelt war. „Schauen Sie mir jedenfalls jetzt mal in die Augen“, forderte der Marktleiter seinen ehemaligen Mitarbeiter auf und erinnerte ihn daran, „wie ich Sie immer unterstützt habe“. Der Kläger kam der Aufforderung nach, äußerte sich aber nicht.