Bis Freitagnacht um 23.59 Uhr hätte der 30-jährige Singener André Rehm theoretisch Zeit gehabt, Revision gegen das Urteil des Landgerichtes Konstanz einzulegen. Hätte er dies nicht getan, müsste er hinter Gitter. Und das vermutlich sehr bald. Das Landgericht hatte den AfD-Mann jüngst in zweiter Instanz wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung und Bedrohung zu einer Haftstrafe von elf Monaten ohne Bewährung verurteilt.

Fast ein Jahr in Haft – das möchte der 30-Jährige noch verhindern oder zumindest hinauszögern. Denn der AfD-Mann geht erneut gegen das Urteil vor. Eine Nachfrage bei der Pressestelle des Landgerichtes Konstanz bestätigt, dass Rehm erneut Revision gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt hat. Laut Landgericht-Sprecherin Karoline Krüger landet der Fall jetzt vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Karlsruhe, wobei das Urteil ausschließlich auf Rechtsfehler geprüft werde. Es findet keine Beweisaufnahme mehr statt. Damit ist das OLG nach dem Amtsgericht in Singen und dem Landgericht in Konstanz die dritte Instanz, die sich mit dem Fall André Rehm befassen muss.

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Bis zum endgültigen Urteil gegen den 30-Jährigen könnten einige Wochen bis Monate vergehen. Das Landgericht hat eine Frist von fünf Wochen, schriftliche Urteilsgründe an das OLG Karlsruhe zu senden. Danach findet eine Prüfung der Akten statt. Sollten Rechtsfehler gefunden werden, bestehe die Möglichkeit, dass das Urteil aufgehoben werde, wie die Pressestelle des Landgerichtes weiter erklärt. Sollte dies nicht der Fall sein, wird das Urteil des Landgerichtes Konstanz rechtskräftig. André Rehm müsste dann elf Monate ins Gefängnis.

Rehm bleibt vorerst auf freiem Fuß

Für Rehm selbst hat das erneute Berufungsverfahren einen Vorteil. Denn da er sich nicht in Untersuchungshaft befindet, bleibt er bis zu einer Entscheidung des OLG auf freiem Fuß. Eine Frist, wie schnell das Oberlandesgericht ein Urteil fällen muss, gibt es nämlich nicht.

Doch schon jetzt hat das aktuelle, aber nicht rechtskräftige, Gerichtsurteil politische Folgen für Rehm: Der AfD-Kreisverband würde den 30-Jährigen gerne loswerden. Wie Steffen Jahnke, Sprecher der AfD im Kreis Konstanz, schriftlich auf SÜDKURIER-Nachfrage mitteilte, sehe die Gruppierung nach dem Urteil keine Grundlage mehr für eine politische Zusammenarbeit. Rehm hatte für die AfD bei der Kommunalwahl 2024 kandidiert und sollte eigentlich in den Singener Gemeinderat nachrücken. Dies wäre vermutlich auch passiert, hätte nicht eine SÜDKURIER-Recherche das aktuelle Gerichtsverfahren und die drohende Inhaftierung publik gemacht. Der öffentliche Druck veranlasste offenbar die AfD zum Handeln: Rehm soll aus der AfD austreten und alle Ämter niederlegen, so die Forderung des Kreisverbandes.

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Doch wieso wirft die AfD den mehrfach vorbestraften André Rehm nicht selbst aus ihrer Partei? Eine Möglichkeit wäre unter anderem ein Parteiausschluss wie damals bei Ex-AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon. 2016 hatte die AfD gegen den Politiker aus Rielasingen-Worblingen aufgrund dessen antisemitischen Äußerungen einen Partei-Rausschmiss eingeleitet. Zum Parteiausschluss lässt Jahnke auf Nachfrage verlauten: Die AfD prüfe alle rechtlichen und satzungsgemäßen Schritte im Fall Rehm – auch unter Hinzunahme von rechtlicher Beratung.

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Trotz der aktuellen Entwicklung und mehreren Vorstrafen scheint dieser Schritt für die Kreis-AfD aber nicht zwingend gesetzt zu sein. Wie SÜDKURIER-Recherchen im Vorfeld der aktuellen Verhandlung in Konstanz ergeben hatten, ist Rehm kein Unbekannter im deutschen Justizsystem. Sein Vorstrafenregister umfasst Einträge wegen Urkundenfälschung, schwerer Körperverletzung, Diebstahl und illegalem Waffenbesitz.

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Jahnke äußert sich dazu sachlich, aber vage: „Hinsichtlich der schwersten Ordnungsmaßnahme in der Partei gegen André Rehm ist dies auch unter anderem vom Kreisvorstand, Landesvorstand und Landesschiedsgericht sowie in Abhängigkeit des weiteren Verhaltens des betroffenen Mitgliedes rechtlich einzuschätzen und ergebnisoffen zu prüfen“, so Jahnke. In der Partei wären auch andere Ordnungsmaßnahmen möglich, wie beispielsweise eine zweijährige Ämtersperre für das Mitglied oder der Entzug der Mitgliedsrechte auf Zeit. „Es wäre jetzt aber viel zu früh, darüber zu spekulieren“, so Jahnke.

„Scheinheilige und durchschaubare AfD“

Dass die AfD nach dem Urteil des Landgerichtes nicht zu drastischeren Maßnahmen greift, sorgt bei vielen Menschen im Landkreis Konstanz für Unverständnis. Das Bündnis Konstanz für Demokratie richtet deshalb harsche Kritik an den AfD-Kreisverband und dessen Sprecher. Das Bündnis wirft der AfD in einer Stellungnahme an den SÜDKURIER Scheinheiligkeit und Durchschaubarkeit vor.

Die Kritik: Der AfD-Kreisverband habe sich in seiner Aufforderung Rehms zum Austritt selbst inszeniert, als eine Partei, die sich fürRecht und Gesetz einsetzt. „Als André Rehm im Juli 2024 von den AfD-Mitgliedern zum Sprecher des Vorstands des AfD-Ortsverbandes Singen gewählt wurde, war das Strafverfahren bereits anhängig, er mehrfach vorbestraft und nur zur Bewährung nicht im Strafvollzug“, heißt es in der Stellungnahme. Die AfD-Mitglieder hätten also gewusst, dass sie einen kriminellen Straftäter zu ihrem ersten Sprecher wählen würden, so das Bündnis weiter.

Das Bündnis kritisiert die fehlende Handlungsbereitschaft der Kreis-AfD. Weiter heißt es in der Mitteilung dazu: „Die rechtsradikale Partei fordert Rehm zwar wegen einer möglichen Schädigung des Ansehens der AfD zum Austritt auf. Seiner Parteiämter enthebt sie ihn allerdings nicht.“