Singen Das ließ sich der baden-württembergische Minister für Soziales, Gesundheit und Integration, Manfred Lucha, nicht nehmen: Er kam gerne zum 15-jährigen Bestehen des Vereins Kinderchancen. Schon vor Jahren hatte er die Arbeit des Vereins als Leuchtturmprojekt bezeichnet. „Ich danke den handelnden Akteuren wie Udo Engelhardt und seinem Team, denn ohne ihr Engagement würde es das Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut im Land nicht geben“, sagte Lucha bei der Jubiläumsfeier. Der Verein Kinderchancen, der 2010 gegründet wurde, sei quasi das Reallabor für das Erreichen von Teilhabe gewesen. Teilhabe funktioniere aber nur im Zusammenspiel von Netzwerken und das funktioniere in Singen seit mehr als 15 Jahren hervorragend.

In der Stadt Singen ist ungefähr jedes fünfte Kind von Armut betroffen, in der Singener Südstadt ist der Anteil noch höher. Udo Engelhardt, Wolfgang Heintschel, Vorsitzender des Vereins Kinderchancen und Geschäftsführer des Caritasverbandes Singen und Hegau, sowie weitere engagierte Menschen aus Wohlfahrtsverbänden, Firmen, Schulen und der Stadt Singen hatten sich bereits 2008 zu einem runden Tisch getroffen und regelmäßig ausgetauscht. Engelhardt erinnerte an eine der ersten Veranstaltungen, als im März 2010 die Armutsforscherin Gerda Holz im Rahmen der Tafelgespräche über das Thema Kinderarmut sprach.

Vertrauen in die Netzwerkpartner, eine Strategie und Kontinuität sind die drei Bausteine, die im Wirken des Vereins fest verankert sind. „Wir fahren mit unserer Strategie zweigleisig und möchten der Öffentlichkeit zeigen, dass Dinge realisierbar sind“, sagte Udo Engelhardt. So bietet der Verein ein gesundes Frühstück in vier Kitas und an sechs Schulen an. Fast 900 Kinder profitieren davon, und 15 ehrenamtliche Helfer sorgen für die Durchführung. Kontinuität zeigt sich darin, dass nach 15 Jahren immer noch die gleichen Akteure wie am Anfang dabei sind.

Die Leiterin von Kinderchancen, Mirja Zahirovic, die unter anderem für das Quartiersmanagement „Stark im Süden“ zuständig ist, lobte ausdrücklich die Arbeit der Johann-Peter-Hebelschule: „Der Hebeschule gelingt das Denken vom Klassenzimmer ins Quartier sehr gut.“ Auch um die Gruppe der Jenischen, von denen rund 800 Menschen in Singen leben, kümmern sich Fachleute wie Anett Gollent von der Abteilung „Frühe Hilfen für Jenische und Sinti“ bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO). „Man muss aus Betroffenen Beteiligte machen“, sagte sie. Für die Stadt Singen gratulierte Martin Burmeister, Leiter der Stabsstelle Sozial- und Bildungsplanung: „Ihr habt ein kraftvolles Netzwerk geschaffen, das nach wie vor notwendig ist.“ Singen sei schon lange ein Vorreiter für Armutsprävention. Er überreichte eine neue Fassung des Präventionskonzeptes gegen Kinderarmut an Manfred Lucha.

Das Land Baden-Württemberg fördert über die Strategie „Starke Kinder – chancenreich“ den Aufbau von kommunalen Präventionsnetzwerken. Zurzeit gibt es 16 solcher Präventionsnetzwerke in 13 der 44 Stadt- und Landkreise. Bis 2030 soll dieser Ansatz in allen Stadt- und Landkreisen erprobt worden sein. Das Singener Präventionsnetzwerk wird seit sieben Jahren vom Sozialministerium Baden-Württemberg unterstützt und begleitet. Aktuell erhält der Verein vom Land Fördermittel für den Aufbau des Präventionsnetzwerks „Starke Kinder im Süden“ in der Südstadt. „Warum gibt es eigentlich keine anständige Kindergrundsicherung?“, fragte Laura Braun, die als Liedermacherin bei der Feier dabei war. Sie würde sich wünschen, dass Kindern mehr Geld zur Verfügung stünde. Regina Brütsch, stellvertretende Vorsitzende von Kinderchancen und Geschäftsführerin des AWO-Kreisverbands Konstanz, betonte, dass man dieses Thema nicht aus den Augen verlieren dürfe, auch wenn es mit der aktuellen Regierung in weite Ferne gerückt sei.

Der Verein hatte zur Jubiläumsfeier die Freiburger Liedermacherin Laura Braun und deren Partner Jonas Vogelbacher eingeladen. Beide kommen aus einem Umfeld, in dem Armut an der Tagesordnung war. Jonas Vogelbacher, Pädagoge der frühen Kindheit und Klassismus-Experte, ist überzeugt, dass jedes Kind stark zur Welt komme. Armut sei für ihn ein Systemproblem, denn Armut gebe es nur bei einer großen Ungleichheit zwischen Arm und Reich und die sei besonders in Deutschland groß. „Ich hatte Glück, dass ich in einer Armutsgegend groß werden konnte, doch als unsere Gegend gentrifiziert wurde, wurde es schwieriger. Neue Wohnungen ersetzen keine Heimat“, sagte er. Die Liedtexte der beiden trafen den Kern. Mit ihrer Klassismus-Revue „Selber Schuld!“ kommen sie am 24. Oktober noch einmal nach Singen (siehe Infokasten).