Etwa zwei Wochen ist es nun her, dass Polizisten in Singen einen elfjährigen Jungen in Handschellen legten und mit auf die Wache nahmen. Ein Einsatz, der Wellen schlug (siehe Kasten) und ein bundesweites Medienecho hervorrief. Nach einer Strafanzeige der betroffenen Familie ermittelt die Kriminalpolizei Rottweil. Wo steht das Verfahren? Beteiligte geben Antworten:

  • Der Staatsanwalt: Johannes-Georg Roth ist Chef der Staatsanwaltschaft Konstanz und leitender Staatsanwalt. Seine Behörde ist Herrin des Verfahrens, die Staatsanwaltschaft beauftragt die Ermittlungen. Allzu tief lässt er sich nicht in die Karten schauen, denn die Ermittlungen der Rottweiler Kriminalpolizei laufen. Zum Stand des Verfahrens sagt er allerdings, dass die richterliche Vernehmung des elf Jahre alten Opferzeugen samt Videoaufzeichnung beantragt sei – eine Spielart der Vernehmung, die mit dem Schutz jugendlicher Zeugen zu tun hat, wie ein Blick in die Strafprozessordnung zeigt.
„Wir haben die richterliche Vernehmung des Opferzeugen beantragt.“ Johannes-Georg Roth, Leiter der Staatsanwaltschaft Konstanz
„Wir haben die richterliche Vernehmung des Opferzeugen beantragt.“ Johannes-Georg Roth, Leiter der Staatsanwaltschaft Konstanz | Bild: dpa

Paragraf 58a legt fest, dass die „Vernehmung eines Zeugen in Bild und Ton aufgezeichnet werden“ kann. Als ein Grund für diese Vorgehensweise nennt die Strafprozessordnung die Wahrung von schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren. Darunter ist zum Beispiel zu verstehen, dass Kindern die erneute Aussage im Gerichtsprozess erspart bleiben soll, falls es dazu kommt. Diese Art der Vernehmung muss durch einen Richter erfolgen, auch das regelt die Strafprozessordnung.

Das könnte Sie auch interessieren

Und warum ermitteln Beamte der Kriminalpolizei Rottweil, die organisatorisch wie das Polizeirevier Singen dem Polizeipräsidium Konstanz zugeordnet sind? Roth begründet, dass die örtlich zuständige Kriminalpolizei ermitteln müsse – und das sei für Singen eben die Kripo in Rottweil. Und er schildert, dass er deren Beamte beauftragt habe, weil sie Erfahrung mit komplexen Verfahren und auch mit Ermittlungen gegen andere Polizisten hätten.

„Aber eine solche Stelle haben wir nicht.“ Mehmet Daimagüler, Anwalt der Familie, hätte lieber eine unabhängige Stelle, die ...
„Aber eine solche Stelle haben wir nicht.“ Mehmet Daimagüler, Anwalt der Familie, hätte lieber eine unabhängige Stelle, die bei Vorwürfen gegen Polizeibeamte ermittelt | Bild: Kay Nietfeld/dpa
  • Der Anwalt: Mehmet Daimagüler vertritt die betroffene Familie. Er gehe davon aus, dass sorgfältig ermittelt werde, sagt er am Telefon. Aufgabe des Anwalts sei aber auch, die Ermittlungsakten genau durchzuschauen – Akteneinsicht habe er bereits beantragt. Und am Ende entscheide die Staatsanwaltschaft, ob sie Anklage erhebe oder das Verfahren einstelle. Daimagüler macht aber keinen Hehl daraus, dass ihm eine unabhängige Stelle, die Vorwürfen gegen Polizeibeamte nachgeht, lieber wäre: „Aber eine solche Stelle haben wir nicht.“ Und er kritisiert die Singener Polizisten: „Jetzt ist der Vorfall 14 Tage her. Bis jetzt hat sich kein Polizist bei der Familie oder bei mir gemeldet, um zu erklären, warum der Junge mitgenommen wurde.“ Wobei er die beschuldigten Beamten nicht in der Nähe der Familie sehen möchte, so Daimagüler.
  • Der Polizeisprecher: Uwe Vincon leitet die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit beim Polizeipräsidium Konstanz. Dass bislang noch kein Polizist Kontakt zur Familie aufgenommen habe, sei für ihn durchaus nachvollziehbar, sagt er auf Anfrage. Denn die Kontaktaufnahme obliege den ermittelnden Beamten, derzeit also den Kriminalpolizisten aus Rottweil. Diese müssten zuerst Informationen einholen. Wann sie Kontakt zur Familie aufnehmen, müsse man ihnen überlassen. Und laut Vincon wäre eine Kontaktaufnahme mit der Familie geradezu widersinnig, wenn eine Anzeige vorliege.
„Ob das Kind allein nach Hause geschickt wurde, ist Gegenstand der Ermittlungen.“ Uwe Vincon, Sprecher des Polizeipräsidiums ...
„Ob das Kind allein nach Hause geschickt wurde, ist Gegenstand der Ermittlungen.“ Uwe Vincon, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz | Bild: Polizeipräsidium Konstanz

Grundsätzlicher wird es, wenn man Vincon nach der Verwendung von Handschellen bei Minderjährigen fragt. Geregelt ist das unter dem Stichwort „unmittelbarer Zwang“ im baden-württembergischen Polizeigesetz. Darunter zu verstehen ist „jede Einwirkung auf Personen oder Sachen durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch“ (Paragraf 64). Aus Paragraf 66 geht hervor, dass unmittelbarer Zwang gegen Personen nur zulässig ist, wenn der „polizeiliche Zweck“ anders nicht erreichbar ist. „Das angewandte Mittel muss nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand der betroffenen Person angemessen sein“, heißt es in Paragraf 66 auch noch. Polizisten im Einsatz müssen also mitunter rasch weitreichende Abwägungen treffen müssen.

Das könnte Sie auch interessieren

Auch die Frage, ob die Polizisten den Jungen nach der Vernehmung auf dem Revier tatsächlich allein nach Hause geschickt haben, sei Gegenstand der Ermittlungen, sagt Vincon. Auch wenn es die Ausnahme sei, dass Polizisten einen Jugendlichen allein nach Hause schicken, sei es doch möglich, wenn die Eltern zustimmen, erklärt er. In der Regel würden die Eltern ihr Kind abholen.