Die Geschichte hat eine Lücke in der Sammlung historischer Automobile des Oldtimer-Liebhabers Hermann Maier hinterlassen. Seiner Leidenschaft für Schönes auf Leinwand – oder eben auch vier Rädern – entstammt die Idee zur Schaffung eines Museums für die Südwestdeutsche Kunstsammlung durch das Singener Museum Art and Cars (MAC). In zwei imposanten Gebäuden werden Kunst und Kraftwagen zusammengeführt.
Nach einem besonderen Kraftwagen sucht Maier aber schon lange vergeblich: „Wir haben wirklich intensiv nachgeforscht, aber ein Modell aus der Singener Automobil-Manufaktur Hildebrand haben wir nicht gefunden“, erklärt Maier gegenüber dem SÜDKURIER.
Automobilbau in Singen? Ist das denkbar? „Daran kann sich heute kaum noch jemand erinnern“, weiß Joachim Petri. Als Vorsitzender der Oldtimerfreunde in Singen nimmt er wahr, dass automobile Vorkriegsmodelle kaum noch eine Rolle spielen, statt dessen sogenannte Youngtimer immer mehr Freunde finden. Nicht nur die Raritäten sind selten, sondern auch die Ersatzteile. „Und wenn man Ersatzteile bekommt, dann geht es darum, sie einzubauen“, erklärt Marjan Baumann.
Der Hilzinger ist stolzer Besitzer eines Vorkriegsmodell der Marke Ford, die damals noch in den Vereinigten Staaten produziert wurden. Er kennt den Aufwand, Ventile zu schleifen, um sie passend zu machen und ist froh, dass er dies noch selber machen kann. „Eine Werkstatt für Oldtimer zu finden ist fast unmöglich“, sagt er als Mitglied der Hegauer Oldtimerfreunde.

Die Geschichte der Hildebrand-Fahrzeuge beginnt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, wie in der Automobil-Online-Enzyklopädie Allcarindex nachzulesen ist. Die Wirren der Zeit haben Unternehmensgründer Martin Hildebrand – wie sein Chronist, der unlängst verstorbene Willy Kornmayer, niedergeschrieben hat – aus der Pfalz über Friedrichshafen und Zürich bis nach Kairo geführt. Schließlich habe er in Singen eine Werkstatt gegründet und mit der Produktion von Granatteilen für das Heer Geld verdient.
Das erste Hildebrand-Automobil
Nach Kriegsende begann er in seiner Werkstatt Automobile zu reparieren. „Als versierter Maschinenbauer befriedigte ihn der Reparaturbetrieb nicht“, schrieb Kornmayer Mitte der 70er-Jahre in einem Artikel der Fachzeitschrift Automobilchronik. So kam es zur Konstruktion des Hildebrand-Automobils. Kleine, üblicherweise billige Automobile wurden in den 1920er-Jahre von etlichen Herstellern gebaut. Die Motoren bezog Hildebrand aus den Steudel-Werken bei Kamenz, das halbautomatische Soden-Getriebe von ZF in Friedrichshafen.

Der Unternehmer, der 1953 im Alter von 71 Jahren in Singen verstorben ist, hat die Automobil-AG als Enddreißiger 1921 gegründet und schon bald die Produktion von Automobilen begonnen. Auf den Markennamen Hildebrand haben sich die Anteilseigner – unter ihnen auch der Unternehmer Wilhelm Vollmer aus dessen Landmaschinenhandel später die Mercedes-Vertretung Bölle und Vollmer, die heutige Firma Südstern Bölle, hervorgegangen ist, schnell geeinigt. Ein kantig gezeichneter kniender Ritter zierte das Emblem an der Front der Fahrzeuge. Ein letztes Exemplar dieser Embleme wird noch im Stadtarchiv Singen aufbewahrt.

Für Aufmerksamkeit sorgte das Singener Unternehmen auch beim Berliner Salon: Das Unternehmen präsentierte damals drei Fahrzeuge auf der Automobilausstellung in Berlin. Wie viele Fahrzeuge damals in Berlin einen Abnehmer gefunden haben, ist nicht bekannt. Von drei Kunden aber ist der Name überliefert: Je ein Fahrzeug erwarben Schauspieler und Filmemacher Harry Piel sowie Karl Alfred Maria Graf von Soden-Fraunhofen, dessen revolutionäres Getriebe in dem Fahrzeug zum Einsatz kam, und die damals bekannte Filmschauspielerin Lee Parry.
Wie viele Fahrzeuge tatsächlich in der Singener Manufaktur hergestellt wurden, ist heute unklar. Zwischen rund 100 und bis zu über 400 Stück unterschiedlicher Baureihen dürften es aber gewesen sein. Dabei zeigen die Unterlagen im Stadtarchiv, dass die Singener Fahrzeuge nicht nur an ausgewählte Kunden in Deutschland veräußert wurden, sondern ihren Weg sogar über den Atlantik gefunden haben. Ein Besitzer aus den USA fuhr nach eigenen Angaben ein Fahrzeug aus der Produktion des Singener Herstellers und hat 1949 schriftlich nach Ersatzteilen gefragt. Bekommen hat er sie vermutlich nicht. Die Blüte der Singener Hildebrand AG war kurz. Schon 1924 musste das Unternehmen Insolvenz anmelden, zwei Jahre später wurde die Firma aufgelöst.
Ein Unfall, der alles veränderte
Ein schwerer Unfall von Martin Hildebrand, nachdem er fast ein Jahr arbeitsunfähig war, habe das Unternehmen gehemmt. Wie Kornmayer schreibt, habe Hildebrands Kompagnon den Unfall des Unternehmensgründers genutzt, um sich die letzten Barmittel der Firma anzueignen und sich abzusetzen.

Der Konkurs war nicht mehr abzuwenden und die zweitweise bis zu zwei Dutzend Mitarbeiter mussten sich ebenso wie Firmenchef Martin Hildebrand in den schwierigen Zeiten der großen Inflation neue Arbeitsplätze suchen. Hildebrand findet Lohn und Brot zunächst – wie Kornmayer niedergeschrieben hat – bei der Pflugfabrik Knecht in Arlen und landet schließlich bei der Landmaschinenfabrik Fahr in Gottmadingen. Laut Kornmayer sei 1957 das letzte bekannte Fahrzeug verschrottet worden. Da war Hildebrand selbst bereits Vergangenheit. Er starb 1953.
Sein Lebenswerk schlummert bis heute in zwei grauen Kartons in den Regalen des Stadtarchivs. Darin stecken neben etlichen Fotografien vor allem allerlei Konstruktionspläne. Dabei hat Hildebrand bei seinem Automobil durchaus auf moderne Technik gesetzt. Nicht zuletzt das halbautomatische Soden-Getriebe der schon damals produzierenden Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF) sorgte für Fahrspaß.
Ein Vergessen des Automobilkonstrukteurs wäre wohl ein Verlust für die Stadt. „Es wäre doch toll, wenn diese Geschichte wieder mehr ins Bewusstsein der Stadt treten würde“, erklärt Gabriele Unbehaun-Maier als Vorsitzende des regionalen Schnauferl-Clubs, der sich die Gedenkarbeit der Automobilhistorie auf die Fahnen geschrieben hat.