Sowas erlebt man auch nicht alle Tage: Der Strafverteidiger erscheint nicht zur Gerichtsverhandlung, deshalb finden die Gespräche mit dem Mandanten übers Telefon statt. Doch manchmal führen auch Umwege zum Ziel. Trotz „atypischer Handhabung“, wie Richter Bastian Hoenig die Verhandlung im Singener Amtsgericht beschrieb, legte der wegen vorsätzlichen Bankrotts Beschuldigte ein Geständnis ab. Im Laufe der Verhandlung offenbarte er, warum seine Ausbildung bei der Polizei und die psychische Erkrankung seiner Ehefrau zu finanziellen Problemen führten.
Der Angeklagte soll ein Vermögen von 25.000 Euro – davon 12.500 Euro Eigenanteil – in einem Insolvenzverfahren verschwiegen haben, wie der Richter verlas. Der 24-Jährige habe eine Zahlung seiner ehemaligen Vermieter auf das Konto der Mutter umgeleitet, um die beträchtliche Summe aus dem laufenden Verfahren wegen Zahlungsunfähigkeit herauszuhalten. Die Anklageschrift wurde bereits im Dezember 2023 verfasst. Die Verhandlung mehr als ein Jahr später startete dann holprig.
Wenn das Telefon herhalten muss
Denn Strafverteidiger Nicolas Doubleday erschien nicht zum Prozess und äußerte daraufhin im Telefonat mit Richter Hoenig, er habe keine Ladung erhalten. Da der Richter und die Staatsanwältin Antje Böhler sich einig waren, dass ein Verteidiger aufgrund des voraussichtlich geringen Strafmaßes nicht zwingend notwendig sei, einigten sich alle Anwesenden auf einen Austausch per Telefon. So telefonierte zuerst der Beschuldigte mit seinem Strafverteidiger und reichte das Mobilgerät im Anschluss an die Staatsanwältin und den Richter weiter.
Der eigentliche Prozess begann nach den Telefonaten – fast eine Stunde später als geplant. Der Richter legte offen, dass es sich auf Initiative des Gerichts um ein Verständigungsgespräch handle. Staatsanwältin Böhler sagte, sie sei zuversichtlich, dass eine schnelle und unkomplizierte Lösung und ein entsprechend adäquater Strafrahmen gefunden werden könne. „Dafür erwarten wir natürlich eine geständige Einlassung“, so Böhler.
Zwei Kinder, Waschzwang und Umzug belasten
Dieser Forderung kam der nervöse Angeklagte mit einer umfassenden Aussage nach: Als seine Frau 2017 das zweite Kind bekam, sei sie psychisch erkrankt. Sie habe einen Waschzwang entwickelt, der den Kauf von massenweise Hygieneartikeln erforderte. Außerdem sei die Familie aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis in den Hegau in ein Haus zur Miete gezogen.
Da das Gehalt seiner Polizeiausbildung hinten und vorne nicht gereicht habe, um die Lebenshaltungskosten zu tragen, habe er einen Kredit aufgenommen, so der Angeklagte. „Ich war einfach verzweifelt und wusste nicht, wie ich aus der Situation herauskomme“, gab der Angeklagte zu.
Ab April 2022 sei er schlussendlich zahlungsunfähig gewesen, weshalb er den Mietvertrag kündigen wollte. Da sei es ihm entgegengekommen, dass die Vermieter das Haus verkaufen wollten und somit einen Auszug der Familie forderten. Allerdings habe sich die Ehefrau des Beschuldigten vehement dagegen gewehrt. So hätten die Vermieter dem Ehepaar eine Mietaufhebungssumme von 25.000 Euro angeboten.
Da der Angeklagte aufgrund seiner Zahlungsunfähigkeit dieses Geld an die Schuldnerberatung hätte abtreten müssen, habe er eine Überweisung auf ein anderes Konto eingefädelt. Seine Ehefrau sei dafür wegen fehlendem Konto nicht in Frage gekommen, also habe er die Kontonummer der Mutter angegeben. Nachdem sie aus dem Haus ausgezogen seien, sei das Geld Anfang Mai 2022 an die Mutter überwiesen worden. Somit habe er die 25.000 Euro unerlaubt aus dem Insolvenzverfahren ausgeklammert, das er zur selben Zeit eröffnet habe.
Ehe kaputt, Ausbildung abgebrochen
Im Nachhinein sei es zur Scheidung von der Ehefrau gekommen, wie der 24-Jährige mitteilte. Außerdem habe er im April 2023 die Ausbildung als Polizeibeamter aufgrund der Privatinsolvenz und seiner Straftat innerhalb der Probezeit abbrechen müssen.
Nach der geständigen Aussage des Angeklagten kam es zur Anhörung eines Zeugen: Der Insolvenzverwalter des 24-Jährigen sagte aus, dass er von der Straftat erst durch einen Anruf der Kriminalpolizei erfahren habe. Des Weiteren gab er an, dass der unterschlagene Anteil von 12.500 Euro inzwischen von der Familie an die Insolvenzverwaltung zurückgezahlt worden sei.
So sieht das Urteil aus
Nach knapp zwei Stunden stand das Urteil fest: Richter Hoenig verzichtete auf eine Freiheitsstrafe. Stattdessen nahm er den Vorschlag der Staatsanwältin Böhler an: 90 Tagessätze in Höhe von jeweils 10 Euro. Die Strafe liegt somit unter der vom Bundeszentralregister festgelegten Schwelle, was bedeutet, dass das Vergehen nicht ins Führungszeugnis eingetragen wird.
Der Staatsanwältin Böhler zufolge wirkten mehrere Faktoren strafmildernd. Zum einen blieben die Gläubiger durch die Rückzahlung nicht auf dem Schaden sitzen, zum anderen wirke sich das umfassende Geständnis positiv auf das Strafmaß aus. Der Richter ergänzte, dass die belastende Familiengeschichte den Hintergrund erkläre. Außerdem sei der Angeklagte das erste Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten. Dennoch dürfe man nicht außer Acht lassen, dass 12.500 Euro eine beträchtliche Summe seien.
Der 24-Jährige zeigte sich einverstanden mit dem Strafmaß und bereute seine Tat, wie seine letzten Worte zeigten: „Ich wollte noch sagen: Mir tut es sehr leid.“