In Deutschland wird gekokst – und das mehr als je zuvor. Innerhalb von sechs Jahren hat sich der Anteil der Erwachsenen, die mindestens einmal im Jahr Kokain konsumieren, von 0,6 Prozent im Jahr 2015 auf 1,6 Prozent im Jahr 2021 fast verdreifacht, wie die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) berichtet. In Singen gelang der Polizei im vergangenen Sommer ein bedeutender Schlag gegen den Drogenhandel. Denn sie konnten einen 29-jährigen Mann festnehmen, der sich nun vor dem Konstanzer Landgericht verantworten musste.
Laut Anklage soll der Mann in mindestens sechs Fällen insgesamt 250 Gramm Kokain im gewerbsmäßigen Stil verkauft haben. Zudem wurden in seiner Wohnung 180 Gramm Marihuana, 17 Gramm Kokain und mehrere Messer gefunden. Daher beschuldigte die Staatsanwaltschaft ihn des bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
Sechs Handelsfälle und Waffenbesitz
Ein Polizist berichtete im Zeugenstand, dass die Beamten durch den Hinweis eines bereits verurteilten Angeklagten auf den 29-Jährigen aufmerksam wurden. So haben die Ermittler in insgesamt fünf Fällen nachweisen können, dass der Angeklagte an mehreren Orten in Singen rund 250 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von rund 80 Prozent verkauft habe, so der Ermittler. Der Angeklagte selbst habe jene Vorwürfe bereits vor der Verhandlung eingeräumt.
Bei einer anschließenden Durchsuchung seiner Wohnräume habe man nebst einer Schuldnerliste und mehreren Messern auch weitere Drogen finden können, führte der Ermittler weiter aus. Diese Erkenntnisse haben zum sechsten Anklagepunkt geführt. Jedoch soll ein Mitbewohner des Angeklagten gegenüber den Beamten angegeben haben, dass er selbst Besitzer der größeren Cannabismenge sei – vermutlich um den 29-Jährigen vor einer größeren Strafe zu schützen, merkt der Polizist an.
Handelt es sich um Handel oder Eigenkonsum?
Folglich galt es für Richter Arno Hornstein herauszufinden, ob die sichergestellten 17 Gramm Kokain für den Handel oder den Eigenkonsum bestimmt waren und ob das gefundene Cannabis auch dem Angeklagten zugesprochen werden könne. Dabei habe sich die Frage, ob Handel oder Eigenkonsum, laut Strafverteidiger Gerhard Zahner aus mehreren Aspekten gar nicht gestellt. Einerseits sei das in den Wohnräumen gefundene Kokain eher fein gemahlen und für den direkten Konsum vorbereitet gewesen, anstatt in der üblichen bröckeligen Verkaufsform vorzuliegen.
Ein weiteres Indiz lieferte zum anderen eine Haarprobe, die beim Angeklagten außergewöhnlich hohe Kokainwerte nachweisen konnte. „Einen solch hohen Wert habe ich noch nie gesehen“, ergänzte Zahner. Der Angeklagte selbst gab an, bis zu seiner Festnahme täglich etwa fünf Gramm Kokain konsumiert zu haben.
Laut Zahner seien die hohen Konsummengen auf die schweren traumatischen Erlebnisse zurückzuführen, die der gebürtige Iraker während seiner Flucht nach dem Zweiten Golfkrieg erlitten habe. Ein Sachverständiger bestätigte, dass der Angeklagte schwer traumatisiert sei und bereits im Alter von 14 Jahren mit Drogen wie Alkohol und Kokain in Kontakt kam.
Verschiedene Plädoyers und ein Urteil mit Therapie
Die Staatsanwaltschaft zeigte sich von den Argumenten der Verteidigung weitestgehend unbeeindruckt. Für Staatsanwalt Mathy sei klar, dass das in der Wohnung gefundene Kokain und Cannabis für den Weiterverkauf bestimmt sei und die Messer dem bewaffneten Handeltreiben dienten. Mathy plädierte daher auf eine vierjährige Haftstrafe, kombiniert mit einer zweijährigen Therapie.
Zahner hingegen forderte in seinem Plädoyer eine mildere Strafe von drei Jahren und sechs Monaten, ebenfalls mit einer Therapie. Er betonte besonders die Notwendigkeit, dem schwer traumatisierten und suchtkranken Angeklagten, der Vater eines Kleinkindes ist, eine Chance auf Rehabilitation und ein neues Leben als Vater zu geben.
Schließlich wurde der 29-Jährige wegen unerlaubten Handeltreibens in fünf Fällen, bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Angeklagte soll die geforderte Therapiemöglichkeit von mindestens 24 Monaten erhalten.
Die Kammer ging im Übrigen davon aus, dass das gefundene Marihuana für den Handel bestimmt war. Sie konnte jedoch nicht hinreichend beweisen, dass auch das übrige Kokain zum Verkauf gedacht war. Das Urteil ist rechtskräftig.