Sind Gesetze gegen Sexualstraftaten zu lasch? Diese Frage warf indirekt kürzlich ein Strafverteidiger in einem Plädoyer vor dem Konstanzer Landgericht auf und nahm Bezug auf zwei sehr unterschiedliche Fälle.
Fall 1: Raub endet mit fast sechs Jahren Haft
Im einen Fall ging es um vier junge Männer, die sich wegen besonders schweren Raubes vor dem Landgericht Konstanz verantworten müssen. Und dieser Vorfall hatte es in sich. Da sollen im Oktober 2023 mehrere junge Männer einen weiteren jungen Mann mit Stuhlbeinen verfolgt, krankenhausreif geprügelt und am Ende auch noch ausgeraubt haben. Das will niemand miterleben.
Das Gericht urteilte nach der Beweisaufnahme, dass zwei der vier Angeklagten an der gesamten Tat beteiligt waren, einer nur zum Teil und ein vierter gar nicht wirklich dabei war. Die längste Haftstrafe, die das Gericht in diesem Fall verhängt, sind fünf Jahre und zehn Monate im Gefängnis.
Fall 2: Sexueller Missbrauch macht zwei Jahre und sechs Monate
Und dann gibt es da noch den anderen Fall. Den eines Osteopathen, dem zur Last gelegt wurde, 13 Frauen sexuell missbraucht zu haben. Forderung der Staatsanwaltschaft: eineinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Bei einer solchen Zeit ist eine Bewährung möglich. Das Gericht geht über diese Forderung hinaus, verurteilt den Angeklagten zu zwei Jahren und sechs Monaten, keine Bewährung möglich.
Für Otto Normalverbraucher schwer zu verstehen
Eins haben beide Fälle gemeinsam: Sie gehen in eine nächste juristische Runde, beim besonders schweren Raub in die Revision, bei der sexuellen Belästigung in die Berufung. Und doch werfen die beiden Strafen, die die Gerichte jeweils verhängt haben, auch ein Schlaglicht auf einen Aspekt der Strafverfolgung, der für Otto Normalbürger schwer zu verstehen sein dürfte: Warum wird die Sexualstraftat im Vergleich so viel milder geahndet als die gefährliche Körperverletzung mit Raub?
Immerhin haben auch Geschädigte von Sexualstraftaten häufig ein Leben lang mit den Folgen der Tat zu kämpfen – abgesehen von einer Strafverfolgung, die für die geschädigten Frauen selbst sehr schmerzhaft sein kann, weil sie im Zeugenstand noch einmal detailliert über die schlimmen Erlebnisse berichten müssen.
Die Frage hat einer der Verteidiger im Stuhlbein-Fall aufgeworfen. Er sei sich bewusst, dass beide Fälle nichts miteinander zu tun haben, sagte Sylvester Kraemer in seinem Plädoyer. Und dass das auch ein bisschen polemisch sei. Es sei ihm aber wichtig, die Diskrepanz bei den Freiheitsstrafen in die Öffentlichkeit zu bringen. Sein Ziel: Das Gericht dazu zu bewegen, auf minder schweren Fall zu erkennen und seinen Mandanten weniger hart zu verurteilen.
Nur eine Instanz kann etwas ändern
Das Landgericht erkannte keinen minder schweren Fall, Kraemer und sein Kollege Sandro Durante, der zweite Verteidiger des Hauptangeklagten, gingen für ihren Mandanten in Revision. Ebenso wie der Verteidiger des Osteopathen, Andreas Hennemann. Und klar ist auch: Beide Gerichte bewegen sich vollkommen im Rahmen dessen, was das Strafgesetz vorgibt. Ob die Urteile einer juristischen Überprüfung standhalten, müssen nun die jeweils nächsten Instanzen klären – ein Laie sollte sich das nicht anmaßen.
Doch die verschiedenen Strafmaße, die das Gesetz vorsieht, signalisieren: Der Gesetzgeber bewertet beide Phänomene offensichtlich sehr unterschiedlich. Dass das vom Laien schwer verstanden wird, daran kann nur eben dieser Gesetzgeber etwas ändern.