Normalerweise ist es für den mit einem Ticket ausgerüsteten Besucher eines Rock-, Metal-, oder Hiphop-Gigs halb so schlimm, wenn er kurz vor knapp am Ort des Geschehens aufschlägt – zumindest, wenn ihm ein Platz in den hinteren Reihen genügt. Sofern überhaupt schon jemand auf der Bühne steht, dann um sein Instrument zu stimmen, Mikros zu testen oder mehr oder weniger verzweifelt Effektgeräte zu verkabeln. Langer Rede, kurzer Sinn: In der Regel hat man noch Zeit, sich etwas zum Trinken zu besorgen.
Als am nieseligen Samstagabend Singens St. Peter & Paulkirche zum offiziellen Konzertbeginn acht Mal schlug, vergingen gefühlt allerdings keine zehn Sekunden, ehe der Beat einsetzte und sich unter den gemütlich plauschenden Schlangenstehern vor der verglasten Einlasshütte der Gemswiese gedämpft, doch zweifellos spürbar und extrem pünktlich Aufregung breit machte.
Acoustical South setzt auf Akustik
Wie hätte es auch anders sein können, denn schließlich fand hinter dem Zaun das erste größere Konzert des zweiten und hoffentlich letzten Corona-Sommers in Singen statt. Auf der Bühne stand mit Acoustical South zudem eine Band, welche im Landkreis Konstanz und darüber hinaus Kultstatus genießt und bei der man normalerweise weiß, was man bekommt – steht die Gruppe doch mittlerweile seit zwanzig Jahren verlässlich für hervorragende Live-Performance und die Fähigkeit, ein Publikum mitzureißen.

Mitgerissen wird ein Publikum meist dann, wenn sich das Gefühl breit macht, dass eine musikalisch starke Band genauso gerne und überzeugt am Konzert partizipiert, wie die Besucher selbst. Dafür, wie bedeutsam das erste Konzert seit Anfang 2020 für das Quintett war, bildete der pünktliche Auftakt ein erstes Indiz. „Und weil die Jungs so unglaublich nett sind, gab es ein Benefiz-Konzert“, freut sich Gabi Bauer vom Gems-Team über den Einsatz der Musiker zugunsten des Gems-Fördervereins, der die Eintrittsgelder für besondere Aufgaben parken darf. Nahezu 20 Jahre gemeinsame Geschichte verbindet Band und Kulturzentrum, die im Zuge der Rock-the-Gems-Programme kurz nach der Jahrtausendwende als junge Band ihre ersten Auftritte in der Gems hatten. Seither sind es viele zusätzliche geworden.
Doch fuhr die Band in den letzten Jahren, in Form von E-Gitarren, Verstärkerwänden und beckengekröntem Schlagzeug, meist schwerere Geschütze auf und rückten akustische Elemente etwas in den Hintergrund, überraschte Acoustical South am Samstagabend mit einem rein akustischen Line-Up.

Dem dichten und pegelstarken Sound der Band tat dies keinen Abbruch – dass kein Schlagzeug auf der Bühne stand, merkte manch ein Nachzügler wohl erst vor der Bühne. Felix Baumann, Drummer der Ursprungsbesetzung, ersetzte an diesem Abend den verhinderten Schlagzeuger/ Perkussionisten Sascha Kaisler und trommelte trotz mehrfachen Bänderrisses imposant auf dem Cajón.
Komplettiert durch Markus „Franky“ Frank, welcher einen Akustikbass spielte, wie sie im Zuge der MTV-Unplugged Sessions Anfang der 90er Jahre populär wurden, gab die Rhythmusgruppe von Beginn an einen rockigen Drive vor. Auf ihm konnte sich die „musikalische Offensive“ (es ist wie im Fußball, läuft es hinten nicht, macht es auch vorne keinen Spaß) – sprich die zuweilen singenden Gitarristen Andreas Rossatti (Rossi) und René „Mülle“ Müller sowie der zuweilen Gitarre spielende Frontmann Rezzo (Michael Brauch) – mit mal kraftvollen, mal detailreichen, feinen Noten, austoben.
Die Fans tanzen im Regen
Die offensichtliche Spielfreude übertrug sich sofort auf die etwa hundert Besucher, welche der Witterung zum Trotz mit Regenschirmen ausgerüstet und in bunte Mäntel eingepackt, schon während des ersten Songs auf den Stuhlreihen zu wippen und neben ihnen zu tanzen begannen. „Die Leute sind wild darauf zu kommen – egal wie das Wetter ist“, beobachtet Gaby Bauer den Heißhunger des Publikums auf das Wiederaufleben der Veranstaltungsszene in der Region.
In der Tradition ihrer musikalischen Vorbilder aus den 90ern – man denke an Pearl Jams MTV-Unplugged Auftritt – schaffte es die Band, eher riffbezogene Stücke auf dem akustischen Instrumentarium „heavy“ rüberzubringen. Daneben standen aber auch zu einem guten Teil neue, während des Lockdowns geschriebene Songs auf dem Programm, die aus sich selbst heraus stärker auf eine akustische Besetzung zugeschnitten waren und deutliche „Americana“ oder „Southern Rock“- Einschläge hatten.
Dass Lockdown nicht Stillstand bedeutet, betonen die Musiker: „Wir haben in den letzten Monaten auch ohne gemeinsame Proben genug Material für zwei Alben aufgenommen“, verriet Gitarrist Andreas „Rossi“ Rossatti nach dem Konzert. Dabei habe der Austausch von Ideen aber überwiegend online stattgefunden hat. Dass es nicht so wie gewohnt war, mussten die Musiker dabei aber auch feststellen: Allein vor dem Recording-Programm auf dem Computer habe das Musikmachen dann doch nur noch halb so viel Spaß gemacht.
Zwangspause setzt Kreativität frei
Nichtdestotrotz: Der über die Jahre zusammengeschweißten Gruppe konnte die Zwangspause hinsichtlich der musikalischen Kommunikation offensichtlich nicht viel anhaben, ebenso wenig gilt das für ihre Lust am gemeinsamen Spielen. Vielmehr spürte man, dass die gemeinsame musikalische Begegnung zwischen den Musikern und Publikum lange nicht mehr erlebte Gefühle und Energien freisetzte. Und die Freunde der band können sich schon auf ein neues Album und weitere Auftritte freuen.
Mehr Infos im Internet unter:
https://www.acousticalsouth.de/