In ihrem Büro in der Worblinger Straße in Singen stehen zwei Ikonen und an der Wand hängt ein Foto von ihrer dreieinhalbjährigen Tochter. Beides zusammen zeigt gut, wo sie herkommt und wo sie sich derzeit befindet. Miglena Abrasheva stammt aus Bulgarien. In der griechisch-orthodoxen Religion nehmen Heiligenbilder einen wichtigen Raum ein. Sie stehen für Abrashevas Herkunft. Und das Foto ihres Kindes steht für das Jetzt, das Leben im Hegau – und mit Kindern ist immer was los.
In Singen leben derzeit 201 Menschen, die aus Bulgarien stammen. Das sind 0,4 Prozent der Bevölkerung. Die Bulgaren liegen damit auf Platz 16 der Nationalitäten in der Hohentwielstadt.
Zum Studieren kam Abrasheva nach Bayern. „Es war damals so ein Trend, im Ausland zu studieren“, erinnert sie sich. In Bulgarien hat sie am Gymnasium Deutsch gelernt und in Deutschland die Sprachkenntnisse nochmal vertieft. „Trotzdem war mein Deutsch am Anfang schlecht. Wenn wir im Studium Arbeitsgruppen gebildet haben, wollte deshalb niemand in meine Gruppe“, blickt Abrasheva zurück. Auch die bürokratischen Hürden seien damals noch schwieriger gewesen. Allein auf das Visum habe sie ein halbes Jahr gewartet.

Sie habe es immer als Vorteil empfunden, zwei Kulturen zu kennen. „Ich verstehe die Leute viel besser, um die ich mich kümmere“, sagt die Caritas-Mitarbeiterin. Den Kontakt zur Heimat hält sie lebendig. Die 1600 Kilometer nach Hause legt sie jedes Jahr ein- oder auch mehrmals zurück. Und ihre Mutter kommt im Sommer für mehrere Wochen nach Singen. „Mir ist es auch wichtig, dass meine Tochter ihre Großeltern, die Kultur, den Alltag und die bulgarische Lebensweisheit kennenlernt“, betont sie.
Vom Vorteil, zwei Kulturen zu kennen
In ihrer Heimatstadt Pazardzhik leben knapp 70.000 Einwohner. Das sind weniger als in Konstanz, mehr als in Singen. In Singen lebt die 42-Jährige seit zehn Jahren. Sie habe hier schnell Kontakte geknüpft, vor allem über die Arbeit. In der Stadt unter dem Hohentwiel gefällt ihr im Sommer das Aachbad und im Herbst der Martinimarkt. „Als ich nach Singen gekommen bin, habe ich im Bürgerbüro einen Stoffbeutel mit Willkommensgrüßen erhalten. Das hat mich sehr gefreut“, erinnert sie sich an einen ihrer ersten Eindrücke ihrer jetzigen Heimatstadt.
An den Singenern gefalle ihr, dass sie alle sehr ehrlich sind: „Man weiß, wo man bei einer Person steht. Es ist eine respektvolle Ehrlichkeit“, so Abrasheva.
In Bulgarien kommt sie aus einer Gegend, in der man viel Landwirtschaft betreibt. Im Sommer, der bei fast 40 Grad Celsius und Trockenheit den Schweiß aus den Poren treibt, erfrischt man sich mit Gemüse und Obst. Man isst Wassermelonen mit Schafkäse. Als eine weitere typische Speise nennt sie Tarator. Die kalte bulgarische Suppe wird im Sommer gegessen. Zutaten sind Joghurt, Gurke, Walnuss, Knoblauch, Dill und Salz.
Auf die Frage, was sie am meisten vermisst, fällt ihr aber eine Sache als Erstes ein: der typische Geruchsmix aus Paprika, Tomate und Knoblauch. Im September und Oktober rieche es in Bulgarien nämlich oft so. Denn da bereite man daraus den salzigen Brotaufstrich Ljuteniza. Sie habe sogar ein eigenes Gerät mit nach Singen gebracht, um auch hier den Aufstrich zubereiten zu können.