Was machen die Singener anders als die Bürger von Radolfzell?
Eine Nachricht ließ kürzlich den gesamten Landkreis aufhorchen: Über 200 000 Euro sollen alleine aus Bußgeldern in die Stadtkasse fließen, die für Verstöße gegen die Corona-Regeln verhängt wurden. In Singen ist es gerade mal die Hälfte. Dabei ist Radolfzell mit gut 30 000 Einwohnern deutlich kleiner als die Nachbarstadt mit knapp 50 000 Einwohnern.
Sind die Menschen am See weniger gesetzestreu?
Es ist zu kurz gegriffen, wenn man daraus den Schluss zieht, dass die Menschen am See weniger gesetzestreu sind. Die Bußgelder treffen auch jene Menschen, die nur zu Besuch in der Stadt sind und sich über die Vorschriften zur Bekämpfung der Pandemie hinwegsetzen. Das betrifft vor allem das Abstandsgebot, die Kontaktbeschränkungen und die Maskenpflicht.
Es war natürlich verführerisch, sich bei schönem Wetter am Bodenseeufer mit Freunden zu treffen. Aber es war eben nicht erlaubt. Wir erinnern uns an die Bilder der berittenen Polizei am Seeufer. Die Stadt Radolfzell hat Strenge walten lassen, was sich in der Höhe der Bußgelder bemerkbar machte.
Singener Gastronomen halten sich an den Lockdown
In Singen stellt sich die Situation wesentlich milder dar. „Wir haben vom 16. März bis heute 598 Verfahren eingeleitet“, erklärt der Leiter des Ordnungsamtes, Marcus Berger. „Davon sind alleine 530 Verstöße gegen Kontaktbeschränkungen bis Ende Mai. Rekordverfahren mit 25 000 Euro Bußgeld haben wir in Singen nicht.“ Will heißen, dass sich Singener Gastronomen an den Lockdown gehalten und ihre Betriebe nicht illegal geöffnet haben.
Die meisten Anzeigen kamen von Bürgern, die sich direkt beim Ordnungsamt gemeldet haben. Heißt das, dass Corona dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet hat?
Das will Marcus Berger keinesfalls gelten lassen. „Die Leute gehen essen und fühlen sich unsicher, weil der Kellner seine Mund-Nasenbedeckung nicht richtig trägt. Es ist ihnen unangenehm, die Servicekraft direkt darauf anzusprechen. Sie wollen ja bedient werden. Und dann melden sie es lieber bei uns.“ Die Ortspolizeibehörde schaut dann mit einem Verwaltungsmitarbeiter in diesen Betrieben vorbei.
Gastwirte werden regelmäßig besucht
Eigentlich wollte die Stadt längst einen kommunalen Ordnungsdienst aufbauen. Doch die Pandemie hat diese Pläne vorerst vereitelt. Deshalb finden die Kontrollen zur Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln mit Bordmitteln statt. So schauen die beiden Sachbearbeiterinnen der Gaststättenbehörde mit je einem Mitarbeiter des Gemeindevollzugsdienstes regelmäßig bei den Gastwirten vorbei.

Werden dort nach zweimaliger Ermahnung immer noch Mängel in der Umsetzung der Landesvorschriften festgestellt, dann wird ein Bußgeld fällig. Wer mehrfach aufgefallen ist, bekommt häufiger Besuch von den Kontrolleuren. Zum Teil sind es auch uneinsichtige Touristen, die sich weigern eine Maske zu tragen.
Als Einstiegsbußgeld hatte das Land Baden-Württemberg 100 Euro vorgegeben, wenn die Kontaktbeschränkungen nicht eingehalten wurden. Anfangs durften ja immer nur zwei Personen gemeinsam unterwegs sein, wenn sie nicht einem Haushalt angehörten.
„Die Polizei hat uns am Anfang bis Ende Juni sehr stark bei den Kontrollen unterstützt“, erinnert sich Berger. „Oft handelte es sich einfach nur um Nachlässigkeiten. Partys mit 300 Personen hatten wir hier nicht.“
Von den 101 000 Euro verhängten Bußgeldern sind bei der Stadt bisher knapp 40 000 Euro bezahlt worden. Vor allem gegen die Bußen wegen missachteter Kontaktbeschränkungen hätten viele Bürger Einspruch erhoben. Die Begründung lautete dann meistens, dass man mit einer Person unterwegs gewesen sei und zufällig noch andere getroffen habe.

Ein Blick ins Umland zeigt, dass die Zahl der Verstöße abnimmt, je kleiner die Gemeinde ist. In Engen sind dem Ordnungsamt nur zwei oder drei konkrete Beschwerden gegen Gastwirte bekannt, die ihre Maske nicht ordnungsgemäß trugen oder die Kontaktverfolgung nicht korrekt ausführten.
Allerdings ist die Stadt auch nicht für die Verfahren zuständig. Dies sei Sache des Landkreises und damit im Konstanzer Landratsamt angesiedelt. So geht es allen Gemeinden im Landkreis mit Ausnahme der kreisfreien Städte Singen und Radolfzell. Bei denen fließen dann auch die Bußgelder in die Stadtkasse. „Es wäre schön, wenn das bei uns auch so wäre“, sagt der Engener Hauptamtsleiter Patrick Stärk. Aber Bußgelder, die in Engen verhängt werden, bleiben beim Landkreis.
Kaum Verstöße in kleinen Gemeinden
Wie es zum Beispiel in Gottmadingen, Engen und Rielasingen-Worblingen aussieht, beantwortet die Pressesprecherin des Landratsamtes, Marlene Pellhammer. Es entsteht tatsächlich der Eindruck, dass die Menschen in kleineren Gemeinden sich genauer an die Vorschriften halten. In Gottmadingen wurden seit Mitte März bis heute 57 Verstöße gemeldet. In Engen waren es 48 und in Rielasingen-Worblingen nur 20. „In diesem Zusammenhang festgesetzte Bußgelder belaufen sich auf 12 000 Euro“, so Pellhammer.