Singen Diese Feier werden die weit über 100 Bürgerinnen und Bürger nicht so schnell vergessen. Am Tag der Befreiung anlässlich 80 Jahre Kriegsende, dem 8. Mai, hat die Initiative Stolpersteine einen weiteren Stein für ein Mitglied der Familie Guttmann in der Scheffelstraße 26 verlegt. Tana Guttmann war am 13. Juli 1942 zusammen mit ihrer Mutter Johanna und vielen anderen als Baby im Alter von gut vier Monaten nach Auschwitz transportiert worden und brutal ums Leben gekommen. Der Historiker Axel Huber hat diese Biografie recherchiert.
Das Läuten der Glocken von St. Peter und Paul, das kurz vor Beginn der Feier wohl aufgrund der erfolgreichen Papstwahl erklang, war an diesem Abend nur eine laute Randerscheinung. Vielmehr waren die Teilnehmer der Gedenkfeier sehr bewegt über das, was ihnen nun erzählt werden sollte. Axel Huber begann seine Ansprache mit Fakten über das Lied „Unter Deinen weißen Sternen“, das am Ende von Gabriele Haunz, begleitet von Schülern des Orchesters des Hegau-Gymnasiums, gesungen wurde. „Dieses Lied von Abraham Sutzkver ist vielleicht eines der traurigsten Schriftzeugnisse, das während der Shoa entstanden ist“, so Huber. Abraham Sutzkver habe die Zeilen 1943 im Ghetto von Wilna geschrieben, zu einem Zeitpunkt, als seine Frau und sein Kind sowie die Hälfte der Juden von Wilna schon ermordet worden waren. „Sein Gedicht findet sich im Büchlein mit dem unglaublich traurigen Titel ‚Gesänge vom Meer des Todes‘. Dieses Meer des Todes beschreibt das Unfassbare, was damals live geschah. Den Massenmord an den Juden“, sagte Axel Huber.
Einige Stolpersteine erinnern schon in der Scheffelstraße 26 an die Kaufmannsfamilie Guttmann. Das Baby Tana ist nun als letztes Familienmitglied hinzugekommen. Von 1907 bis 1939 lebte die Familie Guttmann in Singen. Siegfried und Salomon Guttmann führten ein sehr angesehenes Kaufhaus. „Dass die Guttmanns Juden waren, war nicht wichtig. Die Guttmanns waren Singener. Bis 1933“, so Huber. Als der Zweite Weltkrieg am 1. September 1939 ausbrach, endete nach 32 Jahren die Zeit der Guttmanns in Singen. Nach und nach verließen sie die Hohentwielstadt unfreiwillig. Bei Kriegsausbruch verließ die damals 22-jährige Johanna Guttmann auch die Stadt und zog nach Stationen in Baden-Baden und Kippenheim am 1. August 1940 nach Stuttgart. „Wir können gesichert davon ausgehen, dass Johanna in Stuttgart Zwangsarbeit leisten musste“, so Huber. Nachdem sie schwanger wurde, kam am 26. Februar 1942 Tochter Tana zur Welt. Vor dem Abtransport vom Stuttgarter Nordbahnhof nach Auschwitz am 13. Juli 1942 hatten Johanna und Tana Guttmann noch drei Monate auf der Schwäbischen Alp verbracht.
Es sei der erste große Vernichtungstransport aus dem Deutschen Reich nach Auschwitz-Birkenau gewesen. Eine Augenzeugin habe berichtet, dass neben schwer kranken Menschen auch ein Säugling dabei gewesen sei. „Nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau führten SS-Männer die verunsicherten Menschen zu einem umgebauten Bauernhaus. Dort mussten sie sich nackt ausziehen und eintreten. Johanna hielt ihr Baby fest im Arm. Hunderte von Menschen warteten. Nackt. Und dicht gedrängt. Bis ein SS-Mann das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B einwarf. Tana Guttmann und Johanna Guttmann starben an einem sonnigen Julitag des Jahres 1942 in Auschwitz-Birkenau einen qualvollen Tod“, so Huber.
Liliane Greze, eine Nachfahrin der Familie Guttmann, hatte Axel Huber kürzlich geschrieben: „Es ist keine Beerdigung, sondern ein Ehrenfest, sogar eine Art Freude, das Kind neben die Mutter hinzulegen.“ Axel Huber wird in diesen Tagen nach Israel fliegen, um die Unterlagen über Tana Guttmann an die Gedenkstätte Yad Vashem persönlich zu überreichen. „Tanas Name wird bald in der Internationalen Gedenkstätte auftauchen.“ Viktoria Hartmann hatte die Gedenkstätte am Stuttgarter Nordbahnhof erst kürzlich besucht und den Namen von Tana Guttmann dort nicht gefunden. Sie hat deshalb mit dem Verein „Zeichen der Erinnerung“ Kontakt aufgenommen, damit er ergänzt wird.
Bei der Gedenkfeier betonten sowohl Hans-Peter Storz als Sprecher der Initiative Stolpersteine als auch Oberbürgermeister Bernd Häusler, wie wichtig es gerade heute sei, dass man Tag für Tag für die Demokratie kämpfe. Als Zeitzeugin berichtete die 88-jährige Roswitha Besnecker, wie sie die Zeit des Zweiten Weltkriegs als Kind erlebt hat. Als damals in Singen die Verhaftungswelle begann, sei auch ihr Adoptivonkel Jäckle unter den 16 Verhafteten gewesen, auch wenn man ihr damals gesagt hatte, er sei verreist gewesen.
Das Lied „We shall overcome“, in seiner bekanntesten Version einst von Joan Baez als musikalischer Protest gegen jede Art von Missständen gesungen, passte hervorragend zu dieser Feier. Andrea Fink-Fauser und Asem Butt sprachen für das Forum der Religionen ein Gebet und Perry Braunstein sprach als Vertreter der Jüdischen Gemeinde das Totengebet. Eine Live-Übertragung der Feier für Hinterbliebene in anderen Ländern haben Schüler der Zeppelin-Realschule eingerichtet. Achtklässler des Friedrich-Wöhler-Gymnasiums hatten sich künstlerisch mit dem Werk „Krieg und Frieden“ von Otto Dix auseinandergesetzt. Das Puzzle-Bild präsentierten sie bei der Steinverlegung.