Singen Auch für die Guten geht es nicht immer gut aus. Aber für wen gibt es schon ein Happy End. Bei Ödon von Horvath eigentlich für niemanden. Eine Volkskomödie hat er vor etwa 100 Jahren geschrieben – und das Volk leidet bis heute an den gleichen Symptomen und die Welt stolpert von einer Krise in die nächste. Was gut und was böse ist, lässt sich ohnehin nur schwer ausmachen.

Schnell zeigt sich aber, dass die Weltlage weiter schwierig ist. Auch in der Schaubühne des Färbegartens. Da leiht Elmar F. Kühling dem Ganoven Merkl Franz die Überheblichkeit des Kleinkriminellen, der glaubt, im Verborgenen zu agieren. Mindestens ebenso leidenschaftlich mimt Ralf Beckord den Kommerzienrat Rauch, der ebenso vergeblich hofft, dass seine lüsternen Gedanken nicht enttarnt werden. Beide scheitern ebenso, wie all die Liebenden auf dem Jahrmarkt der Hoffnungen, die das Sommertheater im Färbegarten zum Saisonabschluss inszeniert.

In über 100 Szenen hat Horvath die episodenhafte Handlungsführung auf einem Rummelplatz konzentriert. Die sehr kurze Szenen schimmern wie Schlaglichter, Bierzelt-Musik wummert weit im Hintergrund. Doch wer hat Grund zu feiern, wenn das Leben abseits der Oktoberfeststimmung ganz anders aussieht. Manche hofft auf Ablenkung von den drückenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen, andere auf eine weitere, austauschbare Beziehung.

Klassiker präsentiert sich zeitlos

Den von Jocelyne C. Dala gestaltete Guckkasten sprengt Regisseur Andreas von Studnitz mit der Singener Inszenierung gekonnt. Mal blickt der Zuschauer auf die Szenerie, als könnte sich jederzeit der Vorhang senken, mal baumeln die Füße über die Brüstung und oft spielt das Stück direkt vor dem Publikum – dann aber wieder so weit entfernt, dass nur noch ein Sprecher darüber informieren kann, was gerade geschieht.

Einen Tag vor der großen Premiere des Volksstück Kasimir und Karoline von Ödön von Horváth mit Carla Striewe als Karoline und Nikkel Schüler als Kasimir haben die SÜDKURIER-Gewinner Winfried Lehn, Petra Schlatter und Monika Groppe samt Begleitung die Generalprobe bei bestem Wetter im Färbegarten verfolgt. „Der Färbegarten wird zur Münchner Wiesn, wo die Gäste an der Open-Air-Bühne mit kleinen Speisen und Getränken bewirtet werden“, begrüßt Färbe-Chefin Cornelia Hentschel die Gewinner – und muss gleich Einschränken, dass die Improvisation einer kleine Kirmes-Besenwirtschaft erst am nächsten Tag genossen werden kann – und dann für den Rest der Sommertheaterspielzeit.

Dem Genuss hat es keinen Abbruch getan. „Es ist einfach eine tolle Atmosphäre im Färbegarten“, so SÜDKURIER-Gewinnerin Monika Groppe. Aufgefallen ist den kritischen Zuschauern zur Generalprobe, dass der moderne Klassiker alte und doch immer aktuelle Themen anspricht – von der sozialen Frage bis zu Emanzipation und Anzüglichkeit, wie Ulrike Martin-Lehn anmerkt. „Die anhaltende Abwertung der Frau wird sehr deutlich“, bilanziert auch Monika Groppe. Und Petra Schlatter hat die besonderen Momente genossen. „Es gab immer wieder Wow-Effekte“, sagt sie.

„Der von den Nazis verfolgte und 1936 aus Deutschland verwiesene österreichisch-ungarische Schriftsteller Ödön von Horváth hat mit seinem komödiantischen Volksstück eine Ballade voll stiller Trauer gemildert durch Humor geschaffen“, verweist Hentschel auf die Intention des Autors – die alltägliche Erkenntnis laute: Sterben müssen wir alle! Und davor gibt es vielleicht zu viel oder aber auch zu wenig zu erleben. „Da fliegen droben zwanzig Wirtschaftskapitäne und herunten verhungern derweil einige Millionen“, lautet Kasimirs Erkenntnis angesichts damals wie heute weit auseinanderklaffenden Vermögensverhältnissen: „Der Zeppelin, verstehst du mich, das ist ein Luftschiff und wenn einer von uns dieses Luftschiff sieht, dann hat er so ein Gefühl, als tät er auch mitfliegen – derweil haben wir bloß die schiefen Absätz‘ und das Maul können wir uns an das Tischeck hinhaun!“

Im Trubel des Oktoberfests

Anno 1932 hat Ödön von Horváth die Uraufführung in Leipzig erlebt. Auch in Singen werden die Besucher in den Trubel des Münchner Oktoberfestes entführt – ob die Handlung tatsächlich zur Zeit der großen Weltwirtschaftskrise im vorigen Jahrhundert spielt, oder sich nicht doch auch heute fast ähnlich abspielen könnte – das lässt Regisseur von Studnitz bewusst im Dunkeln. Der Reiz bestehe doch gerade darin, dass das Thema zwischen Alltagssorgen und Sehnsüchten zeitlos sei. Die Suche nach Zerstreuung führe nicht immer zum gewünschten Ziel, das müssen auch Kasimir und Karoline feststellen. Die Eine sucht Halt beim Kommerzienrat, der Andere bei Merkl Franz seiner Erna, die von Magdalena Herzberg herrlich im Vexierspiegel zwischen den späten Zwanziger-Jahren des vorigen Jahrhunderts und heute gespielt wird. Ob die Karoline schließlich mit Zuschneider Schürzinger, gespielt von Julius Barner, glücklich werden wird? Wer weiß es. „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen“, lautet die finale Weisheit, sie Carla Striewe als Karoline den Gästen mit nach Hause sendet.

Die Open-Air-Bühne im Färbegarten wird zur Münchner Wiesn, wo die Gäste trotz noch laufender Umbauarbeiten im Färbegebäude stilvoll improvisiert mit kleinen Speisen und Getränken bewirtet werden. Bei Regen gibt es wieder eine attraktive Bühne in der Basilika, sodass die Vorstellungen in jedem Fall stattfinden können. „Über den Spielort wird am jeweiligen Tag je nach Wetterlage entschieden“, sagt Hentschel und rät den Gäste auf jeden Fall wetterfeste Kleidung einzupacken.

Das Ensemble: Regie führt Andreas von Studnitz mit einem für die Färbe ungewöhnlich großen Ensemble: Neben Julius Barner, Ralf Beckord, Magdalena Herzberg, Elmar F. Kühling, Nikkel Schüler und Carla Striewe spielen Daniel Leers, Jocelyne C. Dala,
Penelope Kühling, Winona Kühling und
Stefan Wallraven.