Martin Fecher bezeichnet sich selbst als sozial eingestellten Menschen. Deshalb vermietet er möblierte WG-Zimmer mit Wohnzimmer, Küche, Terrasse und Garten in der Singener Nordstadt an finanziell bedürftige Menschen. Doch in letzter Zeit kommt der Mitinhaber der Zimmerei Fecher immer wieder an seine Grenzen, weil er sieht und erlebt, dass ein großer Teil seiner Mieter sich nicht um Arbeit bemüht und gar nicht auf die Beine kommen will.
Hilfe für die, die sich anstrengen
Er sei ein absoluter Befürworter unseres Sozialsystems, aber es gebe vom Staat zu wenig Druckmittel, wenn jemand das System ausnutze. „Wenn ich sehe, dass sich jemand bemüht, Arbeit zu finden oder eine Ausbildung zu machen und er muss zum Beispiel eine Anschaffung machen oder eine Rechnung bezahlen, dann habe ich vollstes Verständnis und erlasse auch mal die Miete“, erklärt Fecher.
Er habe auch schon Mietern das Geld vorgeschossen, wenn sie den Führerschein machen wollten. Wenn er aber mitkriege, dass sich ein Mieter nur zurücklehne, habe er inzwischen kein Verständnis mehr und will auch nicht mehr an solche Menschen vermieten.
WG-Zimmer-Vermietung als Sozialprojekt
Fecher hat vor sechs Jahren ein Zweifamilienhaus in der Nordstadt zur Altersvorsorge gekauft. Aus der vorüber eingerichteten WG-Zimmer-Vermietung entwickelte sich ein Sozialprojekt. Er und seine Freundin wählen die Mieter nach eigenen Angaben nicht danach aus, ob sie ihre Miete sicher zahlen könnten, sondern danach, ob sie finanziell bedürftig seien.
Projekt soll in ein eigenständiges Leben helfen
Das Zimmer solle ein Sprungbrett in ein eigenständiges, finanziell unabhängiges Leben sein. Er hat Männer vieler verschiedener Nationen, auch Flüchtlinge, untergebracht. Auch für von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen hat er eine Unterkunft organisiert.
„Die ersten drei Jahre verliefen mit wenigen Ausnahmen reibungslos“, berichtet Fecher. Dann kam Corona und die Hälfte der Bewohner, die meist einen gering qualifizierten Job ausübten, habe ihre Arbeit verloren. Anstatt sich dann aber neue Arbeit zu suchen, richteten sie sich im Sozialsystem ein.
Das passiert, wenn in Singen jemand obdachlos wird
Viele lassen sich im Sozialnetz hängen
Er sei immer ein Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens gewesen. Doch das, was er in den letzten drei Jahren erlebt habe, habe ihn gelehrt, dass sich viele lieber ins Sozialnetz hängen als Verantwortung zu übernehmen. Das Sozialsystem sei richtig und wichtig, für die, die wirklich Hilfe bräuchten und nicht arbeiten könnten. Er kenne in der Verwandtschaft einen Fall, der diese Hilfe aus gesundheitlichen Gründen nötig habe, aber trotzdem kleine Arbeiten übernehme und versuche, sich nützlich zu machen.
„Da kommt man sich blöd vor, wenn man arbeitet“
Aber es gebe einfach zu viele, die es einfach nur ausnutzten. Da komme er sich manchmal blöd vor, dass er sein ganzes Leben lang gearbeitet habe. „Mein Großvater hat nach dem Verlust beider Beine und mit nur einem Auge drei Kinder ernährt, eine Firma aufgebaut und sich mit seinem Handwerk einen gewissen Wohlstand erarbeitet“, berichtet er.
Großvater musste sich alles erarbeiten
Der Großvater habe vom Staat nichts bekommen und trotz seiner Einschränkungen für den Unterhalt der Familie sorgen müssen. Das erzähle er den teilweise 30-jährigen Sozialhilfeempfängern, die behaupteten, aus für ihn nicht nachvollziehbaren Gründen Monate und Jahre lang nicht arbeiten zu können.
Teilweise hat er auch Mieter, die einfach zwei oder drei Monate verschwunden seien und sich um nichts mehr kümmerten. Martin Fecher ärgert dann auch, dass sie sich im Recht fühlten und allen anderen das Gefühl gäben, selbst Schuld zu sein, wenn sie arbeiteten. „Ich selbst habe dann eigentlich keine Lust mehr, meinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten“, sagt Fecher.
Ein paar Mieter haben den Sprung geschafft
Warum er trotzdem weitermache? „Wegen der 20 Prozent, denen man tatsächlich weiterhelfen kann“, erklärt der Zimmermann. Bei ein paar seiner Mieter sei das tatsächlich gelungen und sie seien wieder auf die Beine gekommen.
Einer habe zum Beispiel eine Ausbildung bei einem Sicherheitsdienst begonnen und sei seither ein neuer Mensch, ein anderer arbeite in einer Bäckerei. Einer geflüchteten Familie aus der Ukraine habe er eine Wohnung vermitteln können. Seiner Meinung nach fehlen aber die Druckmittel, um Drückeberger zum Umdenken und Handeln zu bewegen.