Es ist ein Vorwurf, der immer wieder laut wird: Deutsche Familien würden benachteiligt, wenn sie in einer Notlage die Stadt oder den Staat um Hilfe bitten. Auch Madeleine Kupatt und Daniel Böttcher wünschen sich mehr Unterstützung.
Das Paar lebte nach eigenen Angaben zwei Jahre lang in einer Wohnung in Engen. Die Kinder von Madeleine Kupatt, fünf und sieben Jahre alt, besuchen Kindergarten und Schule in dem Ort. Doch dann meldete der Eigentümer Eigenbedarf an.
Anmerkung der Redaktion: Nach Veröffentlichen dieses Artikels meldete sich der ehemalige Vermieter Jürgen Gruber und erklärte, dass er nicht wegen Eigenbedarf gekündigt hat. Die Kündigung des Mietverhältnisses sei ein Prozess über ein Dreivierteljahr gewesen – mit vielen Gesprächen, wie Gruber betont. Den Ausschlag habe ein nächtlicher Polizeieinsatz gegeben, in dessen Folge die Feuerwehr die Tür aufgebrochen habe. Bilder belegen den Schaden, der dadurch entstanden ist.
Nach einer Räumungsklage wurden sie obdachlos und kamen in einer Notunterkunft unter. Dass es ihnen dort nicht gefällt, ist das eine. Doch die Familie stört sich besonders daran, dass ihnen eine benachbarte städtische Wohnung versagt wird.

Kritikpunkt 1: Die Notunterkunft
„Wir denken nicht, dass das ein Hotel ist, aber bisschen Sauberkeit, Ordnung und Struktur hätten wir schon erwartet“, sagt die 28 Jahre alte Madeleine Kupatt. Sie führt durch die Notunterkunft, die sich die Familie mit weiteren Menschen teilt.
Wer eine Treppe erklommen hat, erblickt einen langen Flur. Rechts gehen erst die Küche, dann Bad und Toilette ab. Anschließend sind die einzelnen Zimmer aufgereiht. In zwei davon lebt die Familie: Das Paar teilt sich das eine Zimmer, in dem neben einer großen Matratze ein Tisch, ein Schrank und ein Kühlschrank Platz finden.
Die Kinder bewohnen gemeinsam das andere Zimmer. Außer zwei Betten findet sich hier auch etwas Spielzeug, das die Familie mitnehmen konnte. „Es war alles viel zu kurzfristig, daher haben wir keine eigenen Möbel“, sagt Madeleine Kupatt.
Von der Eigenbedarfs-Kündigung ihrer Wohnung bis zur Räumung seien nur drei Monate vergangen – auch wenn sich solche Verfahren normalerweise deutlich länger hinziehen können. Wo das Hab und Gut aus der vorherigen Wohnung ist, wisse sie nicht, denn auf die Schnelle habe sie keinen Container oder Ähnliches organisieren können. Die meiste Einrichtung habe die Stadt zur Verfügung gestellt.
Doch die Umstände seien nicht kindgerecht, kritisiert die Mutter: „Meine Kinder haben Angstzustände und können nachts nicht schlafen.“ Denn der Flur sei allgemein zugänglich, es seien regelmäßig Fremde im Haus.

Außerdem fehle der Familie Zugang zu Informationen und Unterhaltung: Fernsehen, Telefon oder Internet gibt es nicht. Das erschwere ihnen die Wohnungssuche, kritisiert Daniel Böttcher: „Wir müssen immer hoch zum Rathaus, weil es da kostenloses WLan gibt.“ Sie hätten schon angeboten, einen Techniker zu organisieren, doch das habe die Stadt abgelehnt.
Zugesagt habe die Stadt hingegen eine Putzfirma, die vor ihrem Einzug reinigen sollte. „Da ist nichts passiert, das musste man alles selber machen“, sagt Madeleine Kupatt. Im Bad gebe es Schimmel, ihr Partner gehe inzwischen nur noch in Adiletten duschen. Und die Waschmaschine sei dauerbelegt.
„Dass die einen so sitzen lassen, ist mir unbegreiflich“, sagt Madeleine Kupatt zusammenfassend. Ihr Partner ergänzt: „Obdachlosenheim heißt nur Obdach, mehr nicht.“
Das sagt die Stadt dazu: Es ist ausgelegt für den Notfall
Wenn Engens Bürgermeister Johannes Moser die Umstände der Obdachlosenunterbringung schildert, fallen Worte wie menschenwürdig, aber auch zivilisatorisches Minimum. „Es soll nur eine aktuelle Notlage beseitigt werden“, erklärt er auf Anfrage. Die Stadt habe vier Notunterkünfte für Obdachlose, die gerade so ausreichen würden. Denn die Anfragen seien in den vergangenen Jahren gestiegen. Aktuell seien insgesamt 23 Menschen untergebracht, davon vier Familien mit Kindern.
Zum zivilisatorischen Minimum, das laut Vorgaben der Obdachlosenunterbringung gewährleistet werden müsse, gehört nicht viel, wie der Bürgermeister aufzählt: ein hinreichend großer Raum, hygienische Grundanforderungen wie eine Waschmöglichkeit und ein WC, eine einfache Kochstelle, eine notdürftige Möblierung mit Bett und Schrank, Stromanschluss, Beleuchtung, Kühlschrank und eine Waschmaschine. All das ist in Engen gegeben.
Was nicht vorgeschrieben sei: Rundfunk- und Fernsehempfang oder ein Internetzugang. „Eine nachträgliche Verlegung von Strom-/Internetleitungen von der Erschließungsstraße in die Notunterkunft wäre zu teuer und zu aufwendig“, sagt Moser. Allerdings könnten Bewohner eine Satellitenschüssel anbringen.
Für Sauberkeit werde gesorgt
Kritik an der Sauberkeit und Hygiene der Notunterkunft weist der Bürgermeister zurück: Nachdem der Vorwurf verschimmelter Matratzen im Raum stand, seien sie erst vergangene Woche in der Unterkunft gewesen. „Es war alles in Ordnung und die Mutter hat nichts beanstandet“, betont der Bürgermeister.
Und sobald Obdachlose die Notunterkunft wieder verlassen haben, werde eine externe Firma beauftragt, die benutzten Zimmer zu reinigen und zu desinfizieren. Auch die Gemeinschaftsräume würden regelmäßig gereinigt und desinfiziert.
Kritikpunkt 2: Andere bekommen die ersehnte Wohnung
Was Familie Kupatt-Böttcher noch mehr belastet als die aktuelle Wohnsituation, ist die Perspektivlosigkeit. „Wir sind erstmal für drei Monate hier, aber andere leben hier schon bis zu zwei Jahre. Ich habe das Gefühl, dass man hier nicht raus kommt“, sagt Daniel Böttcher. Dabei läge eine Lösung ganz nah: Am anderen Ende des Flurs ist die Tür zu einer größeren Wohnung. Diese habe vier Zimmer und rund 90 Quadratmeter, sagt Madeleine Kupatt. Und sie stehe aktuell leer.

Nachdem sie auf diese Wohnung hingewiesen worden sei, habe sie sich direkt an die Stadt gewandt, sagt die 28-Jährige. Doch da hätten sie immer wieder andere Informationen erhalten: „Keiner hat einen Plan, was mit der Wohnung ist. Jeder verweist auf einen anderen.“ Schließlich habe man ihnen mitgeteilt, dass dort geflüchtete Menschen einziehen sollen. Das findet die vierköpfige Familie unfair, denn auch sie bräuchten Hilfe.
Das sagt die Stadt dazu: Selbstständigkeit ist gefragt
„Vielfach meinen die Menschen, die Stadt könne ihnen eine günstige Wohnung zur Verfügung stellen, nur weil sie vom bisherigen Vermieter gekündigt wurden“, sagt Johannes Moser. Doch dem sei nicht so, die Stadt Engen sei für die Obdachlosigkeit nicht verantwortlich und behebe mit Notunterkünften nur einen kurzfristigen Notstand. „Die Personen sind aufgerufen, am freien Wohnungsmarkt alsbald wieder selbstständig eine Wohnung zu finden.“
Bei Geflüchteten sei das etwas anders: „Flüchtlinge werden den Kommunen zugewiesen und sind nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz nach den Grundsätzen dieses Gesetzes mit Wohnraum zu versorgen“, so Moser. In der Regel seien geflüchtete Menschen nicht in Notunterkünften, sondern in angemieteten Wohnungen.
Eine solche Wohnung sei direkt neben der Notunterkunft, in der Familie Kupatt-Böttcher lebt. „Diese Wohnung wird frei, aber es hat noch keine Abnahme stattgefunden“, sagt Moser. Schon als klar wurde, dass die jetzige Mieterin ausziehen wird, sei die Wohnung für die Unterbringung von Geflüchteten verplant worden. Das war, bevor Familie Kupatt-Böttcher in die Notunterkunft zog.
„Wir ziehen da niemanden jemand anderem vor“, erklärt Hauptamtsleiter Jochen Huck. Mit solchen Vorwürfen würden sie selten konfrontiert. Die meisten Menschen seien dankbar und motiviert, schnellstmöglich selbst eine dauerhafte Unterkunft zu finden.
Familie hofft auf eine eigene Wohnung
„Wir wollen einfach hier raus“, sagt Madeleine Kupatt frustriert. Gesucht wird eine Wohnung, die bis zu 1100 Euro Warmmiete kostet. Sie hätten eigentlich schon zum 1. Juni eine Wohnung gefunden gehabt, erzählt die zweifache Mutter, doch das Mietverhältnis sei wegen eines kurzfristigen Verkaufs der Wohnung dann doch nicht zustande gekommen. So seien sie erst in die Notsituation geraten und obdachlos geworden.
Die Kosten für die künftige Wohnung übernimmt das Amt. Madeleine Kupatt habe bislang im Einzelhandel gearbeitet, sei während der Pandemie gekündigt worden und ab 1. August wieder in einem Minijob beschäftigt. Daniel Böttcher könne wegen Verletzungen und einer möglicherweise anstehenden Operation momentan nicht arbeiten, wie er erklärt.
Dennoch wollen sie das Beste für die Zukunft erreichen – auch für die wachsende Familie: Inzwischen erwartet Madeleine Kupatt mit ihrem Partner das erste gemeinsame Kind, sie sei in der achten Woche schwanger.