Wo fängt Rassismus in Ihren Augen an?
Rassismus beginnt dort, wo Menschen ausgegrenzt und diskriminiert werden, weil sie als minderwertig bewertet oder ethnisch eingruppiert werden. Mögliche Merkmale dabei sind zum Beispiel Hautfarbe, Herkunft, Kultur oder Religion. Auch abwertendes Reden über Menschen aufgrund der benannten Merkmale ist rassistisch. Rassismus ist oft Teil unseres Alltags, ohne dass er als solcher erkannt wird. Im Zeitalter der sozialen Medien nimmt diese Problematik neue Dimensionen an.
Wer sagt denn, was rassistisch ist?
Diskriminierung muss derjenige beurteilen, der betroffen ist. Man muss die Berichte, Ängste, Nöte von Menschen, die sich diskriminiert fühlen, ernst nehmen. Es geht darum, die Perspektive zu wechseln und dabei empathisch zu sein. Ich habe zum Beispiel selbst einen Migrationshintergrund und finde es nicht schlimm, darauf angesprochen zu werden. Bei anderen kann das aber verletzend sein. Das sollte man nicht verurteilen und abtun. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht richtig, wenn Menschen, die nicht den richtigen Ausdruck wählen, als dumm oder rassistisch bezeichnet werden. Es gibt da ganz viel Verunsicherung und Verkrampfung. Und es braucht noch ganz viel Aufklärung. Wobei man aufpassen muss, dass die Diskussion nicht zu abgehoben ist: Wenn es zu komplex wird, steigen die Leute aus, das erlebe ich immer wieder in Singen.
Einige sagen: Warum ist ein Mohr auf einmal kein Mohr mehr, das heißt doch schon immer so. Wie sehen Sie das?
Debatten wie um die Mohren-Apotheke in Konstanz sind für mich eine Grundlage für ein Gespräch. Wir müssen über Rassismus in all seinen Formen reden, nur so können wir ihn wirkungsvoll bekämpfen. Deshalb finde ich es gut, wenn hier sensibilisiert wird. Mich stört der Begriff Mohren-Apotheke persönlich nicht. Aber ich bin nicht das Maß. Das Maß sind die Menschen, die sich dadurch abgewertet fühlen. Wenn es jemanden stört, muss man sich die Argumente anhören und Verständnis füreinander aufbringen.
50 Prozent der Menschen in Singen haben einen Migrations-Hintergrund: Ist Rassismus hier deshalb mehr oder weniger präsent als anderswo?
Singen setzt sich schon sehr mit Rassismus auseinander und hat viel Erfahrung im Umgang mit Migranten. Es ist Normalität, dass hier Menschen mit verschiedener Herkunft und Kultur zusammen kommen. Durch die Fluchtthematik haben wir seit 2015 aber auch eine neue Debatte. Vielen älteren Menschen macht es zum Beispiel Angst, wenn sie niemanden mehr kennen und fremde Männer in Gruppen zusammenstehen. Das muss man ernst nehmen. Deshalb gehen wir auf Seniorengruppen zu, um Vorurteile auszuräumen. Dabei hat zum Beispiel ein Kriminologe mal erklärt, wie kriminell junge Menschen mit Migrationshintergrund tatsächlich sind: Aauch unter Deutschen sind die jungen Männer diejenigen, die am meisten Straftaten begehen. Es liegt nicht an der Herkunft, wenn junge Männer kriminell sind. Aber grundsätzlich findet in Singen viel Austausch statt: Im gemeinsamen Erleben, in der Beziehungsarbeit, in der Begegnung, im Alltag. Das ist ganz wertvoll, um andere Perspektiven kennenzulernen und Verständnis füreinander zu entwickeln. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
Andererseits wählen in Singen bis zu 20 Prozent die AfD, die mit rechtspopulistischen Parolen auch gegen Ausländer auffällt. Wie ordnen Sie das ein?
Die aktuellen Zahlen der Landtagswahl zeigen, dass 14 Prozent die AfD gewählt haben, das sind rund 1900 Menschen. Nicht alle AfD-Wähler sind rechts, aber viele haben Vorbehalte. Da geht es auch um Protest, den Wunsch nach Veränderung, aber auch Unwissen. Wichtig ist, gegenzuhalten, wenn Fake News kursieren und mit objektiven Argumenten zu kontern.
Hat Singen ein Rassismus-Problem?
Ich glaube nicht, nein. Ich glaube, durch die Vielzahl der Rassismus-Debatten kann der Eindruck entstehen, dass Rassismus zunimmt. Für viele Jugendliche und für junge Menschen ist das aber gar kein Problem. In Gesprächen wird mir immer wieder bestätigt, dass das Zusammenleben zahlreicher Kulturen als ganz normal empfunden wird. Da gibt es keine Vorbehalte oder diese werden mit Humor umschifft. Auch Reisen hilft da sicherlich weiter. Insgesamt hat sich aber die Situation vor allem für Menschen mit Fluchtgeschichte, für Muslime und Roma wieder drastisch verschärft. Ein Erstarken autoritärer, extrem rechter Ideologien und menschenfeindlicher Positionen – oft verharmlosend als Rechtsruck beschrieben – geht auch mit einem Erstarken von Flüchtlingsfeindlichkeit, antimuslimischem und anti-schwarzem Rassismus sowie Feindschaft gegen Sinti und Roma einher.
Louis Feucht von der Mobilen Jugendarbeit meinte im SKP-Video, dass Menschen sich nur online solidarisieren. Wie kann man das ändern?
Das Internet hat eine gewaltige Kraft. Da reicht das Liken schon aus und bringt ein positives Gefühl: Ich habe mich positioniert! Oft fehlt da aber ein konstruktiver Austausch. Wir versuchen, Menschen zur Partizipation aufzurufen, und laden immer wieder zu Gesprächen ein oder veranstalten Arbeitskreise. Es hat auch mit Zivilcourage zu tun, sich mit Rassismus auseinander zu setzen. Deshalb sage ich: Macht bei Kundgebungen zu vernünftigen Themen mit, schließt euch Arbeitskreisen, Bündnissen und Gruppen an.
Online gibt es auch Gegenwind, oder?
Ja, wir erleben das selbst mit unseren Beiträgen, gerade im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus. Wir sind tagtäglich rassistischen Kommentaren ausgesetzt. Häufig kommt auch der Satz „Da haben wir echt andere Probleme“ oder es werden Probleme gegeneinander ausgespielt wie Altersarmut oder Obdachlosigkeit. Wenn wir reagieren, ist häufig keine sachliche Debatte möglich.
Wie soll man bei rassistische Aussagen reagieren?
Wenn etwas oder jemand gegen meine Werte verstößt, muss ich reagieren. Möglichkeiten gibt es viele, aber man sollte sich selbst nicht in Gefahr bringen. Ich finde gut, wenn man reagiert und zumindest sein Unbehagen ausdrückt. Man kann aber nicht von jedem Menschen erwarten, dass gleich wortreich argumentieren wird. Wenn man diskutiert, dann am besten sachlich und auf wertschätzender Ebene. Jeder darf eine Meinung haben, aber wenn es destruktiv wird, wird es schwierig.
Ist Singen schon tolerant und bunt?
Toleranz ist ein riesiger Begriff und bedeutet für mich, aufeinander zuzugehen. Wir sollten akzeptieren, dass andere Menschen anders ticken – das ist ja auch eine Bereicherung. Das Zusammenleben in Singen empfinde ich im Alltag als sehr tolerant. ‚Singen ist bunt‘ ist ein schon viele Jahre ausgerufenes Motto, bei dem es um ein friedliches Zusammenleben geht. Natürlich gibt es Parallelgesellschaften. Natürlich existiert hier in Singen auch ein Alltagsrassismus, den gibt es leider überall noch viel zu häufig. Rassismus ist für viele Menschen eine Alltagsroutine, und das als ein komplexes Problem zu erkennen, zu verstehen und zu verbannen, bleibt noch ein langer, gesamtgesellschaftlicher Prozess. Aber durch die Debatten kommen mehr Gespräche über Rassismus zustande. Das hilft, achtsamer miteinander umzugehen.