Über Nacht war es nicht mehr da: Das „M“ im Namensschriftzug der Mohren-Apotheke in der Konstanzer Wessenbergstraße. Wer den Buchstaben entfernt hat und warum, ist nicht geklärt. Der Inhaber der Apotheke will sich zu dem Vorfall nicht öffentlich äußern, wie er auf SÜDKURIER-Nachfrage betont. Und auch bei der Polizei ist bisher keine Anzeige eingegangen.
Das bestätigt Tatjana Deggelmann, Pressesprecherin des Polizeipräsidiums Konstanz. Sie schreibt: „Eine Recherche und Nachfrage auf dem hiesigen Revier ergab keinen Vorgang mit dem von Ihnen angeführten Sachverhalt.“
Dass aus der Konstanzer Mohren-Apotheke eine „Ohren“-Apotheke wurde, haben jedoch einige Konstanzer durchaus wahrgenommen, wie ein Blick in die Sozialen Netzwerke zeigt. Auf ihnen wurden vergangene Woche Bilder des Schriftzugs mit dem fehlenden „M“ geteilt.
In den Kommentaren darunter entluden sich teils hitzig geführte Diskussionen darüber, ob das Wort „Mohr“ rassistisch ist oder nicht. Beispielsweise schrieb ein Nutzer, der Begriff sei „direkt verlinkt mit der Versklavung schwarzer Afrikaner.“ In anderen Kommentaren hieß es derweil „Mohr kommt von Maure“ oder das Wort sei „in keinster Weise herablassend gegenüber schwarzen Mitmenschen.“
Wer hat Recht?
Das hat der SÜDKURIER Tobias Engelsing gefragt, Konstanzer Historiker und Leiter der Städtischen Museen.
Herr Engelsing, woher stammt der Begriff „Mohr“?
Tobias Engelsing: „Anders als es sich manche Wortführer von Identitätspolitik und Antirassismus vorstellen, sind die Ursprünge der Verwendung sogenannter Mohren auf weltlichen und kirchlichen Wappen, in Häusernamen und auf Gasthausschildern historisch überaus komplex und nicht zwangsläufig kolonialistisch hinterlegt. Je älter die Darstellung, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass damit der Heilige Mauritius gemeint ist. Mauritius war ein mutmaßlich aus Syrien stammender Heerführer aus der Zeit des römischen Kaisers Diokletian, der als Märtyrer starb, weil er sich weigerte, an Christenverfolgungen teilzunehmen. Im Konstanzer Münster finden wir übrigens auch eine Mauritiuskapelle zur Erinnerung an diesen im Mittelalter hochverehrten Schutzpatron.“
Warum findet sich der Mohr in den Namen einiger Apotheken wieder?
„Der Apotheken-‘Mohr‘ verwies auf die ‚Mauren‘. Das waren die Berber-Truppen der zeitweiligen Beherrscher Spaniens im 8. Jahrhundert. Europa verdankt diesem arabischen Einfluss wesentliche Innovationen in der Medizin und Pharmazie. Zudem gelangten im Zuge des beginnenden kolonialen Fernhandels mit Afrika heilende Wurzeln, Rinden und Heilkräuter in unsere Breiten. Wenn sich also eine Apotheke mit dem Signet des ‚Mohren‘ schmückte, eignete sie sich das Abbild des farbigen Menschen zwar an, sandte aber zugleich eine Markenbotschaft aus. Sie lautete: Hier gibt es die allerbesten Heilmittel.“
Hat der Begriff einen kolonialistischen oder rassistischen Bezug?
„Im Kern geht es in diesen Debatten um kulturelle Aneignung traditioneller Darstellungen, Symbole oder Riten einer Kultur durch eine andere – um die Frage: Handelt es sich um eine Würdigung oder um Ausbeutung der fremden Kultur? Ausbeutung liegt vor, wenn beispielsweise Menschen versklavt, Bodenschätze geraubt, Kunstwerke und religiöse Artefakte verschleppt wurden. Aus diesen historischen Verbrechen haben wir ohne Frage noch viel aufzuarbeiten. Melchior, der König aus dem Morgenlande in der Weihnachtskrippe, ist dagegen ein Fall von Würdigung. Doch das ficht Identitätsaktivisten nicht an: Zum Bildersturm reicht es mittlerweile aus, wenn selbst ermächtigte Kultur-Zensoren eine rassistische Herabsetzung nur behaupten und daraus automatisch ein Recht auf Darstellungsverbot oder Beseitigung abgeleitet wird.“
Soll man solche Symbole also aus dem öffentlichen Raum entfernen?
„Ich glaube, dass unsere kapitalistische Konsumwelt nicht weniger ausbeuterisch wird, wenn wir die ‚Mohren‘-Skulptur von der Apotheke reißen. Wir sollten vielmehr ihre historische Herkunft erklären und im Übrigen auch immer darauf hinweisen, dass unsere superbilligen T-Shirts, Schuhe oder Handybestandteile häufig aus heutigen Ausbeutungsverhältnissen stammen. Statt in identitärer Verengung zu versacken, sollten wir weiterhin universalistisch denken: Wer gegen Sklavenhalterei und Rassismus ist, muss auch sein heutiges Konsumverhalten unter die Lupe nehmen.“