Herr Professor Witt, Sie gelten als Bürgermeistermacher. In etlichen Hegaugemeinden hat es in der jüngeren Vergangenheit einen Generationswechsel an der Verwaltungsspitze gegeben. Tengen, Gailingen, Steißlingen, Aach, Volkertshausen: In diesen Kommunen haben die Bürger einen neuen Bürgermeister gewählt. Haben Sie mit Ihren Bürgermeisterkursen indirekt am Erfolg dieser zum Teil noch sehr jungen Rathauschefs mitgewirkt?
Ich habe mich selbst noch nie als Bürgermeistermacher bezeichnet, werde aber in den Medien oft so betitelt. Bürgermeister kann man nicht so einfach „machen“. Daher gibt es eigentlich auch keine Bürgermeistermacher. Selbstverständlich haben meine Referenten und ich schon viele Bürgermeisterkandidatenseminare durchgeführt und ich persönlich habe viele Kandidatinnen und Kandidaten beraten. Die Seminare haben wir zurzeit ausgesetzt. Ich habe die von Ihnen genannten Bürgermeister nicht persönlich beraten.
Beim Blick in die Landschaft fällt auf, dass Frauen an der Rathausspitze Mangelware sind, obwohl sich Frauen durchaus für die Verwaltungslaufbahn interessieren. Woran liegt das?
Obwohl in unserer Hochschule derzeit über 75 Prozent Frauen studieren, liegt der Frauenanteil bei Bürgermeistern mit acht Prozent auf sehr niedrigem Niveau. Das liegt nicht daran, dass Frauen schlechtere Chancen haben, gewählt zu werden, sondern daran, dass Frauen weit seltener kandidieren als Männer. Zum einen trauen es sich Frauen oft nicht zu, die Führungsaufgabe Bürgermeisterin erfolgreich wahrzunehmen. Zum anderen ist für viele Frauen die Vereinbarung von Familie und Bürgermeister-Beruf nicht wirklich vorstellbar.
Als Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl kennen Sie sicher die meisten Rathauschefs im Land. Die Hochschule in Kehl wird gerne als Bürgermeisterschmiede bezeichnet. Ist das Studium der Verwaltungswissenschaften eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Bürgermeisterkandidatur oder stehen die Chancen für einen fachfremden Bewerber gleich gut?
Das Studium an unserer Hochschule ist nicht wirklich Voraussetzung für eine erfolgreiche Bürgermeisterkandidatur. Gleichwohl sind in Baden-Württemberg 85 Prozent der Bürgermeister gelernte Verwaltungsfachleute. Ein Großteil kommt aus den beiden Verwaltungshochschulen Kehl und Ludwigsburg. Der Wähler in Baden-Württemberg wählt bewusst jemanden, von dem er den Eindruck hat, dass er den Beruf beherrscht und das sind eben die gelernten Verwaltungsfachleute. Selbstverständlich haben auch fachfremde Bewerber Chancen, denn es gibt ja immerhin 15 Prozent davon.
Wieviele Hegau-Bürgermeister haben zuvor bei Ihnen die Schulbank gedrückt?
Das habe ich nicht gezählt. Aber es sind bestimmt viele. Der Steißlinger Bürgermeister Benjamin Mors ist einer davon.
Kann man überhaupt den Beruf des Bürgermeisters erlernen?
Selbstverständlich kann man den Beruf des Bürgermeisters zumindest in Teilen erlernen. Die fachliche Qualifikation die kann man durch ein Studium erwerben. Das allein genügt allerdings nicht.
Welche Qualitäten sollte ein guter Bürgermeister Ihrer Meinung nach haben?
Ein Bürgermeister sollte zum einen fachlich qualifiziert sein, zum anderen aber auch soziale Kompetenzen mitbringen. Er sollte ein offener Typ sein, authentisch und sollte mit Menschen umgehen und auf sie zugehen können. Manche behaupten sogar ein Bürgermeister sollte Menschen „lieben“! Er sollte ein kommunikativer Typ sein und Visionen haben.
Wenn Sie die sozialen Kompetenzen ansprechen, die ein Gemeindeoberhaupt zweifellos mitbringen muss, so kann dieser Anspruch auch schnell zur Überforderung werden, zumal der Bürgermeister in Baden-Württemberg anders als in anderen Bundesländern nicht alleine Repräsentationspflichten hat. Zur fachlichen Qualifikation erwarten Bürger und Vereine die Omnipräsenz ihres gewählten Vertreters. Wie können sich Amtsinhaber davor schützen? Müssen die Bürger einer Gemeinde ihre Ansprüche reduzieren?
Ich denke schon. Ein Bürgermeister ist neben seinem Bürgermeisteramt auch noch Mensch und hat in der Regel auch eine Familie, für die er da sein sollte. Ich denke, das Thema Work-Life-Ballance spielt heutzutage auch bei Bürgermeistern eine Rolle. Die Bürger sollten akzeptieren, dass ein Bürgermeister nicht 24 Stunden im Dienst ist. Aber ich sehe gerade bei jüngeren Bürgermeistern, dass es da durchaus Modelle gibt, den Beruf und das Privatleben miteinander in Einklang zu bringen.
Was ist aus Ihrer Sicht der Hauptantrieb, sich für so ein aufreibendes Amt zu bewerben?
Die bei Befragungen von Bürgermeistern am häufigsten genannte Motivation sind die Gestaltungsmöglichkeiten, die ein Bürgermeister hat, und die Selbständigkeit seiner Tätigkeit. Ein Bürgermeister ist sein „eigener Chef“. Er hat eigentlich keinen Dienstvorgesetzten. Der Landrat übt zwar gewisse Dienstvorgesetztenfunktionen aus, ist aber nicht wirklich der Dienstvorgesetzte der Bürgermeister. Darüber hinaus ist es natürlich keine schlechte Karriere für einen Beamten des gehobenen Dienstes, zumal er mit der Wahl in den höheren Dienst aufsteigt. Nebenbei bemerkt ist auch das Gehalt der Bürgermeister nicht schlecht.
Welche Voraussetzungen muss ein Kandidat mitbringen?
Von Rechtswegen muss ein Kandidat mindestens 25 Jahre alt sein, Deutscher oder Bürger eines EU-Staates sein. Er darf nicht vorbestraft sein und nicht älter als 67 Jahre. Weitere Voraussetzungen sieht das Gesetz nicht vor. Aber wie schon erwähnt, ist es natürlich nicht schlecht, wenn ein Kandidat fachlich qualifiziert ist und gewisse soziale Kompetenzen mit sich bringt.
Welche Rolle spielt die Persönlichkeit?
Die Persönlichkeit spielt natürlich eine große Rolle. Ein unsympathischer Kandidat oder ein unnahbarer Mensch wird in der Regel nicht gewählt werden. Ich sage immer, es ist beides wichtig: die Persönlichkeit und die Fachlichkeit! Was von der Wichtigkeit her überwiegt, ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich.
Wie groß ist angesichts der Aufgabenfülle das Interesse am Amt des Oberbürgermeisters oder Bürgermeisters? Oder anders: Wird es schwieriger, vakante Stellen wieder zu besetzen?
Die Aufgabenfülle, aber auch die Verantwortung von Bürgermeistern ist groß. Ein Bürgermeister ist Vorsitzender und stimmberechtigtes Mitglied im Gemeinderat, er ist Chef der Verwaltung und Dienstvorgesetzter aller Verwaltungsmitarbeiter und schließlich ist er auch rechtlicher Vertreter und Repräsentant seiner Gemeinde beziehungsweise seiner Stadt! Das ist auf der einen Seite sehr reizvoll, schreckt aber auf der anderen Seite auch manchen Kandidaten oder manche Kandidatin ab. Es hat den Anschein, dass es schwieriger wird, vakante Stellen wieder zu besetzen. Jedoch hat die Anzahl der Kandidaturen in den letzten 30 Jahren in der Summe nicht abgenommen.
Können Sie das Phänomen der sogenannten Jux-Kandidaturen erklären? Es gibt ja auch Beispiele von Kandidaten, die gewählt wurden, obwohl sie gar nicht Bürgermeister werden wollten. Wie kann eine Gemeinde einen unfähigen Bürgermeister wieder loswerden? Das Beispiel Rickenbach zeigt ja, wie schwierig das ist.
Jux-Kandidaten gab es schon immer. Ihre Namen haben sich im Laufe der Zeit geändert, aber es wurde bisher noch keiner von dieser Spezies gewählt. Ich würde empfehlen, Unterstützungsunterschriften auch in kleineren Gemeinden einzuführen. In Städten über 20 000 Einwohnern ist das ja heute schon vorgeschrieben. Das würde sicher den einen oder anderen Jux-Kandidaten abschrecken.
Wie man einen „unfähigen“ Bürgermeister wieder los wird, regelt Paragraph 128 der Gemeindeordnung, der auch als „Trottelparagraph“ bezeichnet wird. Allerdings sind die Voraussetzungen dieses Paragraphen so hoch, dass er seit Bestehen der Gemeindeordnung noch nie zum Zug gekommen ist, beziehungsweise noch nie angewendet wurde. Die meisten Fälle, wie auch der Fall Rickenbach, wurden durch den Amtsarzt gelöst, indem der Bürgermeister nach einer längeren krankheitsbedingten Auszeit für dienstunfähig erklärt worden ist.
War es Ihre Idee, Seminare für Bürgermeisterkandidaten anzubieten?
Es war in der Tat vor vielen Jahren meine Idee, Seminare für Bürgermeisterkandidaten anzubieten. Ich konnte dann Referenten, wie Professor Hans-Georg Wehling und Professor Berthold Löffler, aber auch Bürgermeisterin Isolde Schäfer als Lehrkräfte gewinnen können. Viele Bürgermeister sind aus diesen Seminaren hervorgegangen. Derzeit ruhen diese Seminare allerdings, weil die Nachfrage nachgelassen hat.
Sie machen ja nicht nur Bürgermeister, sondern bilden an der Hochschule hauptsächlich Beamte für den gehobenen Dienst aus. Was ist das Besondere der Verwaltungshochschule?
Das Besondere am Studium beziehungsweise an der Ausbildung eines Beamten des gehobenen Dienstes an unserer Hochschule ist, dass wir die Studenten generalistisch ausbilden. Etwa die Hälfte der Vorlesungsinhalte sind juristischer Art: Zivilrecht und öffentliches Recht. Die andere Hälfte besteht aus Finanzwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Psychologie, Informatik, Management und anderen Disziplinen. Der entscheidende Vorteil dabei ist, dass unsere Absolventinnen und Absolventen breit eingesetzt werden können. Von der kleinsten Gemeinde bis zur größten Stadt, in der Kommunalverwaltung, in der Landesverwaltung und in der Bundesverwaltung! Das erhöht ihre Chancen auf Jobs im Anschluss an das Studium.
Ist es schwerer geworden, Nachwuchs für den Beamtendienst zu finden?
Selbstverständlich ist es auch bei uns schwieriger geworden, Nachwuchs für den Beamtendienst zu finden. Unsere Bewerberzahlen sind seit drei Jahren rückläufig. Das ist aber auch ein Trend, den andere Hochschulen wahrnehmen. Wir haben allerdings immer noch die Möglichkeit unter den Bewerbern auszuwählen. Darüber hinaus hat die aktuelle Studentenstudie von Ernst & Young ergeben, dass Vater Staat der beliebteste Arbeitgeber für Hochschulabsolventen ist. Gut vier von zehn Studierenden finden eine Berufstätigkeit im öffentlichen Dienst sehr attraktiv – deutlich mehr als vor zwei Jahren.
Hat sich das Klima an Ihrer Hochschule verändert, als der Volkswirt Professor Jörg Meuthen als AfD-Spitzenkandidat antrat? Wie haben Sie als Rektor der Hochschule auf das politische Engagement Ihres Lehrers reagiert? Damals hagelte es Kritik.
Überhaupt nicht! Als Professor Jörg Meuthen in den Landtag gewählt wurde, haben wir ihn unmittelbar beurlaubt, wie das übrigens für alle Landtagsabgeordneten der Fall ist. Herr Meuthen hat seit seiner Beurlaubung keinerlei Lehrveranstaltungen an unserer Hochschule mehr durchgeführt. Wenn Sie unsere Hochschule kennen, beziehungsweise auch unsere Homepage sehen, dann firmieren wir als „Weltoffene Hochschule gegen Fremdenfeindlichkeit“. Das haben wir in vielen Projekten und Aktionen auch unter Beweis gestellt.
Herr Witt, bisher sind Sie und Ihre Frau Berufspendler zwischen Steißlingen und Kehl. In einigen Monaten steht der Ruhestand bevor. Dann werden Sie dem Hochschulrektorat den Rücken kehren. Werden Sie dann ganz nach Steißlingen ziehen?
Nein, ich habe eigentlich außer an den Wochenenden nie gependelt. Wir haben ein Haus in Kehl und eine Wohnung in Steißlingen. Während der Woche und teilweise auch an Wochenenden bin ich berufsbedingt in Kehl und – wenn es möglich ist – beispielsweise im Urlaub und an freien Wochenenden in Steißlingen. Das wird sich nach meinem Ruhestand wohl etwas verschieben. Wir werden aber beide Wohnsitze aufrechterhalten. Ich werde auch nach meinem Ruhestand die eine oder andere Aktivität an der Hochschule weiterführen, zum Beispiel meine Bürgermeisteraktivitäten.
Was gefällt Ihnen an der Region Hegau besonders? Die Nähe zum Wassersport auf dem Bodensee?
Meine Frau und ich lieben den Hegau und den Bodensee. Die Landschaft ist wunderschön und die Menschen sind bodenständig, nett und offen. Ich habe zwar vor drei Jahren das Bodenseeschifferpatent mit Erfolg absolviert, habe allerdings kein Segelschiff auf dem Bodensee. Ich werde auch in Zukunft keines haben. Zwar bin ich Mitglied im Segelclub Iznang und kann das Club-Boot benutzen, habe aber seit meinem Segelschein keine Aktivitäten in dieser Hinsicht mehr entwickelt. Das wird sich allerdings in meinem Ruhestand auch ändern.
Können Sie sich vorstellen, den einen oder anderen Bürgermeister auch im Ruhestand noch Tipps zu geben?
Das kann ich mir sehr gut vorstellen, zumal ich meine Forschungen zum Thema Bürgermeister und Kommunalpolitik auch im Ruhestand noch eine Weile weiter führen möchte.
Zur Person
Professor Paul Witt (64) wurde in Kenzingen geboren und wuchs in Rheinhausen (Landkreis Emmendingen) auf. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne (Johannes und Cornelius) sowie eine Enkelin. Den Traum, am Bodensee oder in Bodenseenähe zu wohnen, erfüllte sich das Ehepaar Witt vor drei Jahren. Durch den früheren Bürgermeister Artur Ostermaier wurde Witt auf Steißlingen aufmerksam. "Steißlingen gefällt uns aufgrund seiner Lage in Bodenseenähe und wegen der tollen Hegaulandschaft", sagt Paul Witt. "Auch den Steißlinger See genießen wir im Sommer sehr." Dennoch werde das Paar auch im Ruhestand nicht ganz nach Steißlingen ziehen, sondern den Zweitwohnsitz Kehl behalten. Es seien noch einige Projekt an der Hochschule durchzuführen. Das Paar will aber künftig mehr Zeit in Steißlingen als am Zweitwohnsitz in Kehl verbringen.