Äußerlich sieht es um das Gebäude in der Langen Straße in Steißlingen, in der sich in der Nacht zum Freitag, 15. Dezember, ein tödlicher Konflikt abspielte, unauffällig aus. Auf der gegenüberliegenden Baustelle wird gearbeitet, die Nachbarn gehen ihrem Tagwerk nach. Wenn da nicht auffällige Details wären. Zum Beispiel heruntergelassen Rollläden an dem Gebäude mit der Nummer 75 und ein dunkelblauer Lieferwagen vor dem Haus, der so gar nicht zu einem Gebäude passen will, in dem Menschen leben, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind.
Der Bus ist offenbar kein Campingfahrzeug, das sieht man, wenn die Türen geöffnet werden. Zwischen Haustür und Fahrzeug laufen Männer mit Handschuhen hin und her, die deutlich sichtbar die Aufschrift „Kriminalpolizei“ auf ihrer Kleidung tragen. Die Spurensicherer sind am Tatort beschäftigt, in dem in der Nacht zum Freitag ein Mensch mit einem Küchenmesser tödlich verletzt wurde, wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Samstagmittag gemeinsam mitteilten.
Wann die Tat sich konkret ereignete, das sei Gegenstand der Ermittlungen, sagt Andreas Mathy, Staatsanwalt und Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz, die die Ermittlungen leitet. Die Polizei gehe davon aus, dass der am Ende tödliche Vorfall sich in den frühen Morgenstunden ereignete, so Mathy. Um Todeszeitpunkt und -ursache herauszufinden, werde der tote Mann nun obduziert. Weitere Beteiligte an der Tat gab es laut Mathys Auskunft nicht.

Auch Anhaltspunkte für ein politisches Motiv lägen derzeit nicht vor, sagt der Staatsanwalt. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen deute alles auf einen außer Kontrolle geratenen Streit hin. Der genaue Tathergang sei aber ebenfalls Gegenstand der Ermittlungen, die von der Kriminalpolizeidirektion Rottweil geführt werden. Das 53 Jahre alte Opfer sowie der 61 Jahre alte Tatverdächtige hätten alleine, also ohne ihre Familien dort gelebt, so Mathy. Der Tatverdächtige sitzt laut der Mitteilung der Strafverfolger inzwischen in Untersuchungshaft.
Alkohol war bei den beiden Männern offenbar Gang und Gäbe
Laut der ersten Mitteilung der Strafverfolgungsbehörden hätten die beiden Männer zunächst miteinander Alkohol getrunken. Das kam offenbar nicht zum ersten Mal vor, wie Viktor Anisikov berichtet. Auch er ist nach eigenen Angaben aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine geflüchtet, genauer gesagt aus Mariupol. Mit seinem Onkel und seiner Familie lebe er nun in dem Gebäude, in dem die Tat geschehen ist und in dem die Gemeinde Steißlingen laut Bürgermeister Benjamin Mors geflüchtete Menschen per Anschlussunterbringung beherbergt. Die Familie sei geschockt gewesen, als klar geworden sei, was sich in dem Gebäude ereignet hat, sagt Anisikov nun, ein paar Tage nach dem Vorfall. Der Stress des ersten Tages sei allerdings erst einmal vorbei, man wolle wieder in das Gebäude einziehen, sagt er.

Denn unmittelbar nach der Tat seien die Bewohner des Mehrfamilienhauses zunächst anderweitig untergebracht worden, bekommt man mit, wenn man sich rund um den Tatort umhört. Von einer Nachbarin heißt es, die beiden Männer, die nach jetzigem Stand in den Streit verwickelt waren, hätten eher flüssig eingekauft – im Klartext: Sie hätten viel Alkohol getrunken. Man habe mit ihnen auskommen können, sie seien aber eher unter sich geblieben, sagt die Frau. Unsicher fühle sie sich nun nicht. Der Tatverdächtige sei ja jetzt in Untersuchungshaft, die anderen Bewohner des Hauses seien nette Leute. Dass in der Nachbarschaft eine Gewalttat passiert ist, habe sie indes durch den SÜDKURIER erfahren.
Bürgermeister spricht von einem tragischen Vorfall
Und wie sieht es der Bürgermeister? Immerhin handelt es sich bei dem Gebäude um ein Haus, das die Gemeinde für die Anschlussunterbringung von Geflüchteten in eigener Regie angemietet hat. „Es ist tragisch, wenn solche Dinge passieren“, sagt Benjamin Mors. Er ist hörbar um Mäßigung bemüht. Rund um Flüchtlingsunterkünfte gebe es immer wieder Themen wie zum Beispiel Ruhestörungen. „Doch diese Dimension gab es noch nie“, so Mors. Er weist aber auch darauf hin, dass der Vorfall sich nicht im öffentlichen Raum abgespielt hat, wie ein Vorfall in Engen, bei dem zwei Asylbewerber miteinander in Streit gerieten und einer den anderen mit einem Messer verletzte.
Damals hatte der damalige Engener Bürgermeister Johannes Moser gefordert, gegebenenfalls auch ausländerrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Dem widerspreche er nicht im Grundsatz, sagt Benjamin Mors heute. Doch der Fall in Steißlingen liege völlig anders, die tödlichen Messerstiche seien in einem Privatraum in einer Wohnung passiert. Daher handele es sich nicht um ein politisches Thema, denn es gebe keinen unmittelbaren öffentlichen Zusammenhang. Mors gibt zu bedenken: „Der Tatverdächtige ist in Untersuchungshaft, das ist wichtig für die Gemeinde.“ Die Sicherheitsdienste an den Unterkünften habe man verstärkt. Aber: „Auch ein Sicherheitsdienst hat keinen Einfluss, wenn etwas in Privaträumen geschieht.“ Was in der Nacht zum Freitag konkret passiert ist, das wird man wohl erst in einiger Zeit erfahren.