Von vier Angeklagten blieb am Ende nur noch einer übrig und der Geschädigte ging sogar mit dem Richter auf Konfrontationskurs. So ungewöhnlich und geradezu kurios verlief eine Verhandlung wegen Körperverletzung am Jugendschöffengericht in Konstanz gegen vier junge Männer aus dem Raum Stockach.
Es ging um zwei zusammenhängende Schlägereien in einer Bar im Raum Stockach. Was damals wirklich passiert ist, stellte sich im Verlauf der Verhandlung aber als gleichermaßen klar und verwirrend dar. Zwei der vier Männer gestanden, jemanden geschlagen zu haben.
Inwieweit die anderen involviert waren, klang vor Gericht ganz anders als in früheren Zeugenaussagen. Es kam sogar so weit, dass der Geschädigte mit seinen aggressiven Worten bei Richter Franz Klaiber aneckte.
Geschehnisse und Anklage
Im März 2018 schlug ein junger Mann aus Stockach einen heute 33-Jährigen in der Toilette einer Bar im Raum Stockach mit der Faust ins Gesicht. Laut Anklage soll das Opfer geflüchtet sein. In einem anderen Raum in der Bar soll er dann von Freunden des Angreifers ebenfalls geschlagen worden sein. Deshalb erhielten vier junge Männer in unterschiedlichen Abstufungen Anklagen wegen vorsätzlicher und/oder gefährlicher Körperverletzung.
Was die vier Männer sagen
Ein heute 21-jähriger Mann war der Haupttäter und hatte Ingo Lenßen als Verteidiger. Er gestand, den 33-Jährigen geschlagen zu haben, und schilderte, wie es dazu gekommen war. Es habe vier Wochen zuvor in einem Stockacher Supermarkt einen Streit gegeben. Bei einer Feier in der Bar habe er den Mann dann wiedergesehen. „Er ist auf die Toilette, ich bin ihm gefolgt und habe ihn geschlagen“, fasste der 21-Jährige zusammen. Seine Freunde hätten nichts getan.
Ein 24-jähriger Angeklagter erzählte, er habe Geschrei in der Toilette gehört und sei nachschauen gegangen. Dort habe er gesehen, dass der 33-Jährige am Ohr blute, und sei zwischen die beiden Männer gegangen. Er sei dann mit dem 33-Jährigen in einen anderen Raum gelaufen, um ihn zu fragen, was los sei. „Er wurde mir gegenüber aggressiv“, sagte der 24-Jährige. Aus Angst, dass der andere zuschlage, habe er ihm einen Schlag gegen die Wange gegeben. Aus einer folgenden Rangelei habe er sich dann aber herausgehalten, betonte der 24-Jährige.
Die beiden weiteren Angeklagten erzählten, dass sie nicht an den Streitereien beteiligt gewesen waren. Einer sagte, er sei von seinem anwesenden Vater zurückgehalten worden, damit er sich nicht einmische. Der vierte gab an, dass er zum Zeitpunkt der Schläge gerade Geld holen gewesen sei.
Zeugen nicht mehr notwendig
Bereits zu Beginn der Verhandlung, zu der neun Zeugen geladen waren, zeichnete sich ab, dass diese nicht alle gebraucht würden. So konnten alle bis auf den 33-jährigen Geschädigten und seinen damaligen 36-jährigen Begleiter gehen.
Geld für das Opfer
Die Anwälte der beiden jungen Männer, die den 33-Jährigen jeweils geschlagen hatten, boten direkt in der strafrechtlichen Verhandlung jeweils 500 Euro für einen zivilrechtlichen Täter-Opfer-Ausgleich. Der Anwalt eines weiteren Angeklagten legte 200 Euro dazu, weil sein Mandant nicht eingegriffen und somit Verletzungen nicht verhindert hatte.
Geschädigter auf Konfrontationskurs
„Er ist mir aufs Klo gefolgt und hat mir zwei, drei Mal auf den Kopf geschlagen“, sagte der 33-jährige Mann sagte zu dem Angriff. Sein 36-jähriger Begleiter sei dazwischen gegangen. Als er selbst in einen anderen Raum gelaufen sei, habe er einen Schlag vom 24-jährigen Kumpel des Angreifers erhalten. Plötzlich seien dann auch andere da gewesen.
Auf die Entschuldigungsversuche der beiden jungen Männer und ihrer Verteidiger reagierte der 33-Jährige ablehnend und aggressiv. Er lehnte zunächst den Täter-Opfer-Ausgleich kategorisch ab: „Das Schmerzensgeld interessiert mich nicht, ich will eine Strafe.“ Er stellte sogar in den Raum, dass es sich dabei um eine Bestechung handle.
Der Richter erläuterte aber deutlich: „Es ist das Recht des Angeklagten, sich zu entschuldigen. Ihr Recht ist es, das abzulehnen. Das hat nichts mit dem Urteil zu tun.“ Ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe erklärte dem Mann zudem den Unterschied zwischen Straf- und Zivilrecht. Die Anwälte schlugen dem 33-Jährigen noch vor, das Geld an eine wohltätige Organisation zu spenden, wenn er es nicht für sich wolle. Er nahm die 1200 Euro schließlich an.
Begleiter sagt jetzt anders aus
Der 36-jährige Begleiter des Opfers erklärte im Zeugenstand, er sei in der Toilette zwischen die Streitenden gegangen sei. In seiner Aussage erwähnte er nichts von einem anderen jungen Mann, der eingegriffen hat. Er konnte sich im Gegensatz zu einer damaligen Aussage bei der Polizei nicht mehr erinnern, wer genau in die Auseinandersetzungen involviert gewesen war. Zudem gab er an, dass er mit dem Geschädigten nichts mehr zu tun haben wolle.
Drei Anklagen fallen weg
Richter und Schöffen zogen sich im Lauf des Vormittags mehrfach zu Beratungen zurück. Nach der ersten ließen sie die Anklagen gegen zwei der vier Männer fallen, da diese nicht mehr haltbar waren. Bei einem der anderen war das Problem, dass er noch eine laufende Bewährungsstrafe wegen einer Drogen-Sache hatte.
Da er sein Leben inzwischen aber mit einer gut laufenden Ausbildung sowie einem anderen Wohnort im Griff hat und Reue wegen des Schlags zeigte, strebte das Gericht bei ihm die Einstellung des Verfahrens an. Die Staatsanwältin stimmte zu. Der junge Mann muss nun eine Geldauflage in Höhe von 500 Euro an den Förderverein Kinderklinik Konstanz zahlen.
Forderungen in den Plädoyers
Die Staatsanwältin folgte der Einschätzung der Jugendgerichtshilfe, dass Jugendstrafrecht angewendet werden sollte. Der 21-Jährige zeige eine Entwicklungsverzögerung. In Hinblick auf das Geständnis, den Täter-Opfer-Ausgleich, aber auch frühere Vergehen hielt sie es für notwendig, dass er ein Anti-Gewalt-Training mache. Eine Geld- oder Haftstrafe forderte sie nicht.
Verteidiger Ingo Lenßen sagte in seinem Plädoyer: „Der Antrag der Staatsanwaltschaft ist tatsächlich auch mal meiner.“ Er betonte, dass sein Mandant auf dem richtigen Weg sei, aber die Schulung dies festigen werde.
Das Urteil
Das Jugendschöffengericht verurteilte den 21-Jährigen wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem dreimonatigen Anti-Gewalt-Training. Er muss außerdem die Kosten des Verfahrens tragen. Auch bei ihm sah das Gericht eine gute Prognose.
Lediglich dass der 21-Jährige zuvor gesagt hatte, dass er das Anti-Gewalt-Training nicht brauche, kam nicht gut an. Der Richter betonte extra: „Wenn Sie es nicht machen, muss ich einen Arrest verhängen.“
Das Urteil ist bereits rechtskräftig, da beide Seiten auf Rechtsmittel verzichteten.
Rechtsbereiche
- Im Strafrecht klagt die Staatsanwaltschaft aufgrund des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eine Person an. In der aktuellen Verhandlung am Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Konstanz gegen zunächst vier junge Männer aus Stockach ging es um vorsätzliche und gefährliche Körperverletzung.
- Im Zivilrecht handelt es sich um rechtliche Auseinandersetzungen zwischen zwei Personen, zum Beispiel wegen Schmerzensgeld. In der aktuellen Verhandlung am Jugendschöffengericht in Konstanz vermischten sich Straf- und Zivilrechts leicht, da die Angeklagten von sich aus den Täter-Opfer-Ausgleich anboten und der Geschädigte so nicht selbst aktiv werden musste, falls er es gewollt hätte. (löf)