Beim Wort Punk fällt wohl einem Jeden etwas ein: Irokesen-Haarschnitt, Lederjacke, zerrissene Klamotten, eine Sicherheitsnadel im Ohr. Menschen, die so aussehen, kann man gewöhnlicherweise in großen Städten begegnen, wie in Berlin oder Hamburg, selbst heute noch. Dabei war die Hoch-Zeit der Punks in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts – und eben da fand sich diese Subkultur, vornehmlich bei Jugendlichen, auch in unserer Region.
Ein Zeitzeuge, der Mitglied der Punkszene war, ist Jörg Kraus, den alle nur „der Kraus“ nannten. Geboren 1965 in Singen, wohnte er bisher zeitlebens stets im Stockacher Raum. Als Kind besuchte er zunächst die Grundschule in Wahlwies, dann das Gymnasium in Stockach und war Dauergast im Jugendhaus in Stockach.
Der Punk-Trend stammt aus England
Seine ersten Punk-Begegnungen hatte er, wie er erzählt, im Jahr 1977 im Ursprungsland des Punk – in England. Damals lebte er in Wahlwies, hatte jedoch eine Tante, die in London wohnte. Jene habe er dort im Sommer für drei Wochen besucht, wobei ihm die bunten, nicht gesellschaftskonformen Menschen mit den lustigen Frisuren und der „No-Future-Einstellung“ begegnet waren. Dies habe ihn, wie er sagt, damals sehr beeindruckt, da es das in unserer Region so nicht gab.
Im Jahr 1976 hatte die Punk-Band „The Ramones“ ihr erstes, beinahe sagenumwobenes Konzert in London gespielt und damit den Punk-Trend so richtig losgetreten. Dieser Trend schwappte dann in den Folgejahren aus England auf das europäische Festland hinüber und kam dann auch nach Deutschland. Etliche Künstler sprangen auf den Zug auf und machten die Subkultur in Deutschland bekannt, welche dann auch zu kommerziellen Zwecken, beispielsweise zur Erfindung einer neuen Moderichtung, genutzt wurde.
Die Gruppe, in der sich Jörg Kraus damals bewegte, bezeichnet er heute als „Punk-Touristen“. Er erklärt diesen Begriff so: „Wir trugen kaputte Klamotten, bemalten uns selber T-Shirts und fuhren an alle möglichen Orte um dort Party zu machen. Wir fanden die Musik cool, die Lebensweise der Punks und das viele Feiern.“ Auch ein Ohrloch habe sich Jörg Kraus damals gestochen.
Sein Vater habe abrupt reagiert und sei spontan vom Esstisch aufgestanden mit den Worten „Mit Schwulen und Zigeunern sitze ich nicht an einem Tisch!“ Als Folge trug Kraus seinen Ohrring nur noch, wenn er ausging. Überhaupt sei er tagsüber braver Schüler gewesen, habe seine Lust am Punk-Sein dann nur abends oder am Wochenende ausgelebt.
Im Jugendhaus Stockach legte damals Egon Blocher Platten auf. Die Partys hießen „Himmel auf Erden“ oder „Die zwei von der Punkstelle“ und es kamen alle dort zusammen, die was mit Punk am Hut hatten, aber auch andere: „Da waren manchmal auch Popper auf unseren Jugendhauspartys. Gegenseitig haben wir uns dann alle skeptisch beäugt.“

Sie seien aber auch in der Gegend herumgefahren, erzählt Kraus, zu verschiedenen Treffen in Jugendhäusern im ganzen süddeutschen Raum: Besonders in Freiburg sei die Punk-Szene sehr groß gewesen, in Vorarlberg sei die Rockabilly-Szene Zuhause gewesen, während in Bad Saulgau die Psychobillies (eine Hybridform von Punk und Rockabilly) das Sagen hatten: „Mit denen gab es manchmal auch richtig Zoff, bis hin zu Baseballschlägern und kaputten Autos“, weiß Jörg Kraus sich zu erinnern.
So richtig politisch motiviert sei das Punk-Dasein von Jörg Kraus aber wohl nicht gewesen, erzählt er. Er und seine Kumpels liebten hauptsächlich die Punk-Musik, das Feiern und die anarchische Kein-Bock-Lebensweise. Ausleben konnten sie dies im Jugendhaus Stockach, in welchem Jörg Kraus 1984-86 im Vorstand gewesen sei: „Wir haben beim Jugendhaus auch schon mal ein Banner runtergelassen, wo wir irgendwas Aktuelles anprangerten, hauptsächlich was uns in Stockach missfiel.
Party ja, aber keine Drogen
Hin und wieder gab es davon ein Bild in der Zeitung, auch mit mir darauf. Das war ungünstig, weil meine Eltern damals nichts davon wussten, was ich im Jugendhaus so machte“, berichtet Kraus. Mit Drogen habe er im Übrigen nie etwas am Hut gehabt, sagt er: „Das war mir schon immer zu blöd. Aber da waren einige Leute, die auch anderes ausprobierten als Alkohol und Kiffen, also Koks und Heroin. Und so Einige davon leben auch nicht mehr.“
Ab Mitte zwanzig sei Jörg Kraus dann weggekommen vom Punk, erzählt er. Er sei dann insgesamt viel ruhiger geworden. Punk-Musik hört der 56-Jährige auch heute noch gerne, sein Musikgeschmack hat sich allerdings um alternativen Indie-Rockerweitert. Ab und zu gehe er auch noch gerne zum Southside-Festival. Beim FC Winterthur, so sagt Kraus, gebe es noch immer viele Punks und Kraus findet das super: „Ich fühle mich wohl unter den Leuten – die sind extrem entspannt.“