„So einen Mandanten wie Sie habe ich vor Gericht schon lange nicht mehr erlebt“, schallt es in einer fünfminutigen Verhandlungspause wütend vom Flur des Stockacher Amtsgericht bis hinein in den Gerichtssaal. Der Angeklagte, ein 36-jähriger Mann, der im Raum Stockach gemeldet ist, aber im Landkreis Sigmaringen lebt, erhält gerade eine ordentliche Standpauke – und zwar von seinem eigenen Verteidiger. Zuvor hatte er im Gerichtssaal mit hanebüchenen und sich teils widersprechenden Ausflüchten für Verwunderung, Amüsement und vor allem Ärger gesorgt. Was war passiert, dass ein Anwalt so aus der Haut fährt?
Vorgeworfen wurde dem Angeklagten, zu Beginn des Jahres 2023 ein gefälschtes iPhone 14 sowie dazugehörige Kopfhörer für 1400 Euro verkauft zu haben. Der Käufer habe es dann, ohne um die Fälschung zu wissen, wenige Tage später weiterverkauft. Der Endkäufer habe die Fälschung nach Öffnen der Verpackung sofort entdeckt und Anzeige erstattet, weshalb die Staatsanwaltschaft den 36-Jährigen nun wegen Betrugs vor dem Stockacher Amtsgericht anklagte.
Angeklagter bringt vermeintlichen Nachbar ins Spiel
Gegen den Strafbefehl über 3000 Euro hatte der Mann Einspruch eingelegt, um vor Gericht eine wilde Geschichte zu seiner Verteidigung zu präsentieren. Tatsächlich sei er selbst gar nicht der eigentliche Verkäufer des Smartphones gewesen, erklärte er. Sein Nachbar, den er in seiner Aussage bei der Polizei jedoch noch nicht erwähnt hatte, habe es in einem Handyladen in Albstadt-Ebingen gekauft, dann aber nicht mehr gewollt.
Er selbst habe diesem lediglich bei der Suche nach einem Käufer geholfen und dabei an einen alten Bekannten aus Singen gedacht – Opfer Nummer Eins. Doch warum gerade er? „Ach, der kauft alles mögliche“, erklärte der Angeklagte auf Nachfrage von Richterin Melina Michalski.
Zur Handyübergabe sei er mit seinem Nachbarn gefahren, schließlich kenne dieser sich in Singen nicht aus. Bei der Frage, wer von ihnen das Handy final an den Geschädigten übergeben habe, druckste der 36-Jährige zunächst rum. Letztlich legte er sich fest: Er selbst sei unten vor dem Haus geblieben, sein Nachbar sei hoch zur Wohnung des Geschädigten.
Opfer widerspricht dem Angeklagten
Dieser Aussage widersprach der Geschädigte vor Gericht jedoch. Der Angeklagte sei alleine zur Übergabe gekommen, von einem Nachbarn wisse er nichts. Er habe das Handy als Geschenk für seine Ehefrau für 1400 Euro gekauft, doch die habe dann kein iPhone gewollt, sie sei nur mit Samsung vertraut. Daher habe er es sofort weiterverkauft über Ebay Kleinanzeigen – an den zweiten Geschädigten.
Dieser trug als einziger einen wirklichen Schaden davon, da er die 1400 Euro bis heute nicht zurückerhalten hat. Er bestätigte die Schilderungen des ersten Opfers weitgehend. Ob dieser glaubhaft auf ihn wirkte oder nicht, konnte er jedoch nicht sagen. Das Handy sei tatsächlich noch originalverpackt gewesen. Nach dem Öffnen habe er die Fälschung jedoch sofort erkannt. Auf dem Handy habe Apfel statt Apple gestanden.
Der Angeklagte verstrickte sich in der Folge in weitere Widersprüche. Über den vermeintlichen Nachbar sagte er aus, dieser habe immer wieder Drogengeschäfte gemacht – und schon einmal gefälschte Produkte verkauft. Warum er sich für so jemanden dann überhaupt als Vermittler angeboten habe, wollte Richterin Michalski wissen. Eine zufriedenstellende Antwort blieb der 36-Jährige schuldig. Michalskis Fazit: „Ich habe ihre Geschichte verstanden, nachvollziehen kann ich sie aber nicht.“
Gibt es ein zweites gefälschtes Handy?
Zudem sprach der 36-Jährige, schwer verständlich und noch schwerer nachzuvollziehen, von einem weiteren Handyverkauf, in dem er von dem ersten Geschädigten ebenfalls zu Unrecht der Fälschung beschuldigt werde. Eine Gruppe um diesen würde ihn erpressen, bedrohen und ihm die Schuld zuschieben, obwohl er nichts damit zu tun habe. Das Interesse der Prozessbeteiligten an dieser Geschichte war gering. „Wir verhandeln hier heute nur den einen Verkauf, von einem weiteren weiß ich nichts“, ermahnte Richterin Michalski mehrmals.
Zwischendurch gerieten dem Angeklagten bei seinen Aussagen auch die Namen der Beteiligten durcheinander – wenn er überhaupt so konkret wurde. Immer wieder ermahnte ihn sein Verteidiger, nicht von „wir“ zu sprechen, sondern die konkreten Namen zu nennen, wenn er verstanden werden und Erfolg haben wolle. Die Ermahnung nutzte wenig bis nichts, die Geschichten strapazierten lediglich spürbar die Geduld von Richterin, Staatsanwaltschaft und Verteidiger.
Der Verteidiger versuchte noch, ein Vorladen des angeblichen Nachbarn sowie die Beschaffung der Kaufbelege des Smartphones als Beweise zu beantragen. Doch Richterin Michalski hielt den angekündigten Beweisantrag für „nicht zielführend“. Sie werde so oder so zu einer Verurteilung kommen – und dann gebe es eine Freiheitsstrafe. „Wenn ich mir Ihre Vorstrafen so anschaue, sind Sie mit den 100 Tagessätzen aus dem Strafbefehl gut bedient. Das war ein Friedensangebot“, sagte sie.
Angeklagter und Verteidiger geraten aneinander
Sie ermöglichte daher eine fünfminütige Pause, damit der Angeklagte und sein Anwalt sich auf dem Flur besprechen konnten. In dieser brachte der 36-Jährige den Geduldsfaden seines Anwalts endgültig zum Reißen. Denn er tischte diesem, bis in den Gerichtssaal gut hörbar, eine neue Geschichte auf: Zur Übergabe sei er weder alleine noch mit seinem Nachbarn gekommen. Nein, es habe sogar eine dritte Person gegeben, die mit ihm nach oben sei, während sein Nachbar im Auto geblieben sei. „Von dieser Person höre ich zum ersten Mal, sie ändern alle zehn Minuten ihre Geschichte“, schrie sein Verteidiger.
Nach der Rückkehr in den Gerichtssaal zog er den Einspruch gegen den Strafbefehl mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft zurück. Der Angeklagte muss nun 100 Tagessätze zu je 30 Euro Geldstrafe bezahlen.