War es sexuelle Belästigung oder sogar sexuelle Nötigung? War vielleicht sogar nichts? Bei einem Fall am Stockacher Amtsgericht gingen die Aussagen des mutmaßlichen Täters und seines Opfers sehr weit auseinander. Der Angeklagte soll eine Stockacherin am 8. März dieses Jahres laut Staatsanwaltschaft gegen ihren Willen umarmt, angefasst und mit einem Zungenkuss geküsst haben, wogegen die Frau sich gewehrt habe. Er war daher nach Paragraf 184i des Strafgesetzbuchs wegen sexueller Belästigung angeklagt.

Der 36-Jährige, der inzwischen in der Schweiz lebt, erzählte zwar ausführlich von der merkwürdigen Beziehung mit der Stockacherin, aber irritierte Richterin und Staatsanwältin mit seiner Weigerung, sein Einkommen zu nennen, um später im Falle einer Geldstrafe einen Tagessatz festsetzen zu können.

Erstes Rätsel lässt sich weitgehend lösen

Im Lauf der Diskussion stellte sich schließlich heraus, dass er zwar ein gutes Einkommen hatte, aber auch viele Zahlungsverpflichtungen, darunter auch Schulden. „Die Schulden erklären den Mindestunterhalt für das Kind“, folgerte Richterin Melina Michalski.

Der Mann berichtete, wie er die Stockacherin im vergangenen Oktober in einer Singener Diskothek kennengelernt hatte. Sie hätten sich in der folgenden Zeit immer wieder auf WhatsApp geschrieben oder gegenseitig besucht. Er beschrieb das Verhalten der Frau als merkwürdig und launisch. Schließlich hätten sie die Beziehung beendet und sich mehrere Monate nicht gesehen.

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Der Vorfall geschah am Weltfrauentag

Aus seiner Sicht sei am Tattag alles einvernehmlich abgelaufen. Der 8. März ist Weltfrauentag und er gratuliere an diesem Tag immer Kolleginnen oder Bekannten. Auf dem Heimweg von einem Besuch bei seinem Sohn sei er mit dem Auto durch Stockach gekommen und habe die frühere Freundin zufällig gesehen. Er habe umgedreht und sei in die Straße gefahren, in die sie mit ihrem Hund gelaufen sei. Er habe noch ein paar Tafeln Schokolade im Auto gehabt und ihr eine geben wollen.

Weiter schilderte er, wie er sich erst durch das Autofenster höflich mit ihr unterhalten habe und dann ausgestiegen sei. Er habe ihr angeboten, sie heimzufahren. Zum Abschied hätten sie sich wie immer umarmt und kurz auf den Mund geküsst – ohne Zunge. „Ich weiß nicht, wo meine Hände waren, aber ich habe keinen Widerstand gespürt“, schilderte er die Situation.

Der Eingang zum Amtsgericht Stockach.
Der Eingang zum Amtsgericht Stockach. | Bild: Löffler, Ramona

Stockacherin schildert ihre Angst

Das mutmaßliche 38-jährige Opfer stellte den Vorfall ganz anders dar. Sie habe bereits im Vorfeld Angst vor dem Ex-Freund gehabt, da er sich während und nach der kurzen Beziehung merkwürdig verhalten habe. So habe er ihr nach der Trennung zwei Mal abends geschrieben und gefragt, ob sie alleine zuhause sei.

Am 8. März habe er plötzlich mit dem Auto neben ihr angehalten. „Ich war überrascht, ihn in dieser Straße zu sehen, weil das keine typische Durchfahrtsstraße ist“, erklärte sie. Der Mann habe sie überreden wollen, bei ihm einzusteigen, sie habe aber abgelehnt. Angebotene Schokolade habe sie nur angenommen, weil sie gehofft habe, dass er sie dann in Ruhe lasse. Sie habe die Tafel nachher weggeworfen. „Ich hatte panische Angst vor ihm. Er war aggressiv und hat gesagt, ich soll einsteigen.“

Der Mann sei bei laufendem Motor ausgestiegen, habe sie gewaltsam umarmt, ihr an den Po und Busen gegriffen und sie geküsst. „Er hat mir seine Zunge in den Hals gesteckt“, beschrieb sie. Bei der Umarmung habe sie versucht, ihn wegzudrücken.

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Verteidigerin zweifelt an der Aussage

Im Rahmen der Fragen der Richterin bestätigte die Frau, dass es in der zurückliegenden Beziehung einvernehmlichen Sex gegeben hatte. Sie sagte zudem, sie habe den Eindruck gehabt, dass mit dem 36-Jährigen psychisch etwas nicht in Ordnung sei. Die Stockacherin machte ihre Angst vor ihm hauptsächlich an den Fragen fest, ob sie alleine zuhause sei. Sie habe befürchtet, dass er vor der Tür stehe.

Obwohl die Stockacher diese Beschreibungen auf Rückfragen mehrfach wiederholte, war dies der Verteidigerin nicht genug. Sie hakte nach, ob es wirklich ein Zungenkuss gewesen sei und ob sie dann nicht die Zähne zusammengebissen habe, wenn sie das nicht gewollt hätte. Sie äußerte auch Zweifel, da ihr die Aussage „sehr flach und zu glatt“ vorgekommen sein. Die Angst sei nicht nachvollziehbar. „Da kenne ich andere Aussagen“, so die Verteidigerin.

Ein Blick in den Gerichtssaal vom Platz der Richterin aus.
Ein Blick in den Gerichtssaal vom Platz der Richterin aus. | Bild: Löffler, Ramona

Staatsanwaltschaft sieht ein heftigeres Delikt

Die Staatsanwältin hatte genau den entgegengesetzten Eindruck. Sie fand die Schilderungen der Frau beklemmend und warf auf, dass daher vielleicht sogar der falsche Tatvorwurf angeklagt sein könnte. Statt Belästigung könnte es sich schon um Nötigung handeln, wofür eine Freiheitsstrafe drohe.

Sie bemerkte, der Angeklagte wäre besser dran, wenn er den ursprünglichen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 30 Euro, also 2250 Euro, für sexuelle Belästigung annehmen und seinen Einspruch zurückziehen würde. Damit wäre der Fall abgeschlossen.

Geldstrafe, aber kein Urteil

Die Richterin ergänzte, dass der Vorwurf der sexuellen Nötigung vor dem Schöffengericht in Konstanz verhandelt werden müsste und sie dann an diesem Tag nicht entscheiden könnte. Sie gab dem Angeklagten und seiner Anwältin daher die Gelegenheit, sich kurz zu beraten. Beide fanden die Entwicklung im Gerichtssaal zwar unglaublich, nahmen aber den Einspruch zurück. Somit wurde der ursprüngliche Strafbefehl gültig.