Es war ein Fall, bei dem die Situation des Angeklagten für Mitgefühl, sein Verhalten jedoch für Unverständnis im Saal des Stockacher Amtsgerichts sorgte. Die Staatsanwaltschaft warf einem 37-jährigen Mühlinger vor, im Januar dieses Jahres einen tätlichen Angriff auf einen Polizisten in Tateinheit mit Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung begangen zu haben.
Laut Anklageschrift habe er am Tattag größere Mengen Alkohol und Tabletten konsumiert, um Suizid zu begehen. Als deren Wirkung einsetzte, habe er jedoch die Polizei alarmiert und um Hilfe gebeten. Nachdem die drei Beamten in dessen Wohnung eingedrungen waren, sei der 37-Jährige nach seiner Rettung zunehmend aggressiv geworden und habe einen der drei beleidigt. Anschließend habe er den Beamten bedroht und mit den Fäusten in Richtung von dessen Gesicht geschlagen – einmal davon erfolgreich.
Angeklagter kann sich an Tat nicht erinnern
Der Angeklagte, der zum Tatzeitpunkt einen Blutalkoholwert von 3,36 Promille hatte, räumte den Vorwurf vor Gericht grundsätzlich ein, sagte aber auch aus, sich nicht mehr daran erinnern zu können. Seine letzte Erinnerung sei der Anruf bei der Polizei, danach könne er sich erst wieder an den Tag danach erinnern, als er im ZfP auf der Reichenau aufwachte.
Der 37-Jährige berichtete, bereits seit einigen Jahren alkoholkrank zu sein. Er habe über Jahre hinweg vier bis sechs Flaschen Wein täglich konsumiert. Zum Tatzeitpunkt sei er, wie auch heute noch, in einer besonders schwierigen Situation gewesen, da die Scheidung von seiner Ehefrau laufe und man um das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn streite. Zudem sei er hoch verschuldet.
Am Tattag im Januar habe er daher versucht, seinem Leben mit Alkohol sowie Tabletten ein Ende zu setzen. Warum er die Polizisten angriff, wisse er hingegen nicht mehr.
Alkoholtherapie nach acht Wochen abgebrochen
Wegen seiner Alkoholsucht sei er bereits in Therapie gewesen. Einen letzten stationären Entzug wenige Wochen nach der Tat habe er nach acht von zwölf Wochen jedoch abgebrochen, da er im April zur Kommunion seines Sohnes gewollt, jedoch keinen Ausgang bekommen habe.
Seither trinke er aber weniger, nur noch zwei bis drei Gläser Wein auf einmal und dies nicht mehr täglich, versicherte er. Um eine erneute Therapie habe er sich nicht bemüht. Er wolle jedoch „gleich morgen“ bei der entsprechenden Stelle anrufen, versicherte der Angeklagte auf Nachfrage von Richterin Rebecca Jenike.
Angeklagter war der Polizei bereits bekannt
Es war die erste von mehreren Aussagen, durch die sich sein Stand bei ihr zunehmend verschlechterte. So sagten zwei der drei beteiligten Polizisten vor Gericht aus, dass sie den Angeklagten bereits aus vorherigen Einsätzen kannten – unter anderem wegen ähnlichen Selbstmorddrohungen und wegen häuslicher Gewalt und Streitigkeiten mit der Ehefrau.
Auch deshalb seien sie nach dem Anruf direkt zur Wohnung ausgerückt und in sie eingedrungen. Dort hätten sie den 37-Jährigen stöhnend und benommen vorgefunden. Als er nach einigen Minuten etwas klarer wurden, hätten sie einen Alkoholtest durchgeführt.
Der Angeklagte habe danach eine Zigarette rauchen wolle und sei dabei plötzlich aggressiv geworden. „Die Stimmung ist schlagartig gekippt. Er hat mich beleidigt, mit der Faust gedroht und drei mal ganz schnell mit den Fäusten in Richtung Kopf geschlagen“, erklärte einer der Beamten, der von leichten Schmerzen am Kinn als Folge sprach.
Zwei Vorstrafen wegen Angriffen auf Polizisten
Hinzu kamen elf Einträge im Bundeszentralregister des Angeklagten. Neben Vorstrafen wegen Körperverletzung, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und einem Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, mit dem Menschen vor gewalttätigen Partnern geschützt werden sollen, fanden sich dort auch zwei Einträge wegen des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. Einmal gab es eine Geld-, einmal sogar eine Bewährungsstrafe. „Die hat wohl nicht so gefruchtet“, kommentierte Richterin Rebecca Jenike.
Der Staatsanwalt forderte in seinem Plädoyer schließlich eine erneute Bewährungsstrafe von sechs Monaten und eine Alkoholtherapie als Auflage. Geldstrafen hätten bisher keine Wirkung gezeigt, allerdings seien die schwierige Situation des Angeklagten und die verminderte Schuldfähigkeiten aufgrund der Alkoholisierung zu berücksichtigen.
Verteidigerin Ilka Ackermann wies ebenfalls auf die extreme Belastung und Trunkenheit ihres Mandanten hin. Zudem würde er sich bemühen, eine Therapie zu machen und seine Sucht hinter sich zu lassen.
Richterin spricht von „letzter Chance“
Dies sah Richterin Rebecca Jenike jedoch anders. Sie verurteile des 37-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten. Allerdings sei die Entscheidung für Bewährung knapp gewesen. „Man fragt sich schon, wo hier die positive Sozialprognose sein soll. Sie rufen selbst jemanden zu sich nach Hause. Die kommen, um Ihnen zu helfen. Und zum Dank werden sie beleidigt und geschlagen. Das ist die letzte Chance“, sagte Jenike.
Eine Therapie als Auflage lehnte sie ab. „Ich sehe hier geringe Erfolgsaussichten“, sagt sie. Schließlich habe der 37-Jährige eine von der Rentenkasse finanzierte Therapie abgebrochen und sich seither nicht um Ersatz bemüht.
Sie sehe keinen Anlass, dass ihm eine erneute Therapie bezahlt werde. „Entweder sie machen das selbst – oder eben halt nicht“, so die Richterin. Stattdessen muss der Mann als Auflage nun 150 soziale Arbeitsstunden ableisten.