Was ist wirklich bei einer Hochzeitsfeier in Stockach passiert, die im vergangenen Jahr mitten in der Nacht mit einem Polizeieinsatz endete? Diese Frage konnte im Gerichtssaal nicht vollständig geklärt werden. Für Richterin Rebecca Jenike zeichnete sich letztendlich nicht ab, dass der angeklagte Gastgeber und Brautvater wirklich die Verfolgung von Straftaten vereitelt hat.
Die Staatsanwaltschaft warf dem Mann vor, einen Vorfall heruntergespielt zu haben, bei dem ein Gast einen Polizisten beleidigt und angegriffen habe. Der 56-Jährige habe der Polizei den Zutritt zum Haus verweigert und so dem Täter im Haus die Flucht ermöglicht, hieß es vor Gericht. Daher war er wegen der Vereitlung einer Strafverfolgung angeklagt.
Ausführliche Schilderung der Ereignisse
Der Angeklagte wollte keine Angaben zu seiner Person machen, beschrieb aber ausführlich seine Sicht der Ereignisse. Da zeigte er sich sehr kooperativ und beantwortete ausführlich alle Fragen zum Haus. Er räumte ein, dass es gegen 3.30 Uhr nachts wirklich die Ruhestörung durch die Feier gegeben habe, wegen der Nachbarn die Polizei gerufen hatten. Vorher habe sich niemand beschwert, daher habe er sich gewundert. Er habe gesehen, wie der besagte Gast sich der Polizei gegenüber verhalten habe und sei entsetzt gewesen. Was weiter passiert sei, habe er dann aber nicht alles mitbekommen.
„Ich habe niemanden beleidigt“, betonte der 56-Jährige. „Ich hatte Angst, als Besitzer des Hauses bestraft zu werden. Ich dachte auch bis zuletzt, dass es nur um die Ruhestörung geht.“ Da die Polizei ihn aufgefordert habe, als Gastgeber für Ruhe zu sorgen, habe er genau das tun wollen.
Was war an der Haustür los?
Auf eine konkrete Rückfrage der Richterin sagte der Angeklagte, er habe sich außen nur im Bereich der Haustür aufgehalten, weil der Hund nicht aus dem Haus wegrennen sollte. Er könne sich nicht daran erinnern, dass die Polizeistreife, die aus zwei Männern bestand, Zugang zum Haus gefordert habe. Allerdings seien in einem Zimmer im Haus kleine Kinder gewesen, die er vor einer Durchsuchung gerne rausgeholt hätte. Doch ein Polizist habe das nicht zugelassen.
Die Situation im Inneren des Hauses mit Hund und Kindern sorgte im Verlauf der Verhandlung für etwas Verwirrung. Er wiederholte immer wieder, ihm sei in jener Nacht erst nicht klar gewesen, dass die Polizei einen der Gäste suche. Als die Richterin ihn fragte, wie viel er getrunken gehabt habe, sagte der Mann: „Ich habe sicherlich ordentlich was getrunken gehabt.“ Er glaube aber, dass er noch einen sicheren Gang und normale Aussprache gehabt habe.
Angst vor einer Strafe
„Ich wollte alles richtig machen und verhindern, dass ich bestraft werde“, sagte er immer wieder. Er hätte nie gedacht, dass man ihm vorwerfen würde, die Polizei behindert zu haben. „Ich kann mir nicht vorstellen, aktiv im Weg gestanden zu sein“, ergänzte er. Irgendwann habe er lediglich nach der rechtlichen Grundlage und dem Namen eines Polizisten gefragt.
Die beiden Polizisten, die als erstes vor Ort gewesen waren, sagten als Zeugen aus. Diese Aussagen ergaben verschiedene Bilder eines Kernmoments der Ereignisse. Ein Polizeihauptkommissar schilderte die Ereignisse wie in der Anklage: Der Gastgeber habe den Einsatz behindert und dem Täter zur Flucht verholfen.
Er schilderte zudem eine sehr aufgeladene Situation, in der die Gäste beide Polizisten bedroht, angefasst und voneinander getrennt hatten. Der Gastgeber habe gesagt, dass doch nichts passiert sei. Er wiederum habe erwidert, dass er ins Haus müsse, um den Mann zu verfolgen, da mit der Beleidigung und dem Angriff eine Straftat passiert sei. „Er hat sich immer wieder vor mich gestellt und gesagt, wir dürfen nicht ins Haus“, so der Polizist. Es sei Verstärkung samt Hundestaffel angefordert worden. Erst später sei der 56-Jährige zugänglicher gewesen.
Kinder haben das mitbekommen
Als die Richterin ihn nach den Kindern im Haus fragte und ob man diese nicht erst hätte rausholen können, antwortete der Polizist, dies sei während der Suche nach einem Beschuldigten nicht so relevant gewesen. Jenike bemerkte dazu im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, sie finde das nicht so glücklich, da Kinder im Alter von zwei und vier Jahren keinen solchen Polizeieinsatz mitkriegen müssten.
Der Gesuchte sei trotz Durchsuchung nicht gefunden worden. Man habe ihn später über eine Abfrage der Kennzeichen der geparkten Autos vor dem Haus ausfindig machen können, so der Polizeihauptkommissar. So habe man seine Identität herausfinden können.
Zweiter Polizist erzählt etwas anderes
Der zweite Polizeibeamte beschrieb ebenfalls eine aufgeladene Situation, in der er und sein älterer Kollege angegriffen und getrennt worden seien. Er wisse nicht mehr genau, ob der Eigentümer wirklich den Zutritt zum Haus verweigert habe. Allerdings hätten er und sein Kollege zu diesem Zeitpunkt noch auf Verstärkung gewartet, um ins Haus zu gehen. Als Jenike nachhakte, bestätigte er, dass die Polizei erst nach dem Eintreffen der Verstärkung ins Haus gewollt habe.
Über‘s Ziel hinausgeschossen?
Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sah die Vorwürfe in ihrem Plädoyer als erwiesen an: Der 56-Jährige habe tatsächlich versucht, die Polizei vom Betreten des Hauses abzuhalten. „Sie haben versuchte Strafverteilung begangen“, sagte sie und forderte eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 60 Euro, also 3000 Euro.
Das Plädoyer des Verteidigers war das genaue Gegenteil. Er hob hervor, dass die Polizei zum Zeitpunkt, für den seinem Mandanten die Strafvereitelung vorgeworfen werde, noch nicht gesagt gehabt habe, dass sie ins Haus wolle. „Der Polizist hat es vielleicht anders wahrgenommen, als mein Mandant“, sagte er. Vielleicht sei der Polizeihauptkommissar auch über das Ziel hinausgeschossen.
Freispruch für den Angeklagten
Richterin Rebecca Jenike sprach den 56-jährigen Stockacher schließlich frei. Sie begründete das damit, dass der jüngere Polizist eindeutig ausgesagt habe, dass die Streife zu zweit nie in das Haus gegangen wäre, sondern erst mit der angeforderten Verstärkung. So habe sich der Angeklagte gar nicht in den Weg stellen und den Zugang verweigern können.
Und was ist mit dem Mann, der nachts im Haus gesucht worden war? Auf SÜDKURIER-Nachfrage erklärte die Richterin, er habe gegen den Strafbefehl keinen Widerspruch eingelegt. Ohne Widerspruch gibt es keine Verhandlung. Der Strafbefehl sei gültig geworden.