Die Senioren und Kinder sitzen im Kreis. Soeben hat Pflegefachkraft Jennifer Gräble aus Watterdingen aus dem SÜDKURIER vorgelesen. Jetzt wissen die Gäste der Tagespflege das Neueste aus der großen Weltpolitik und aus dem kleinen Tengen. Die Zeitung liegt zusammengeklappt neben Gräble auf dem Sofa. Und so spannend die Lektüre auch gewesen sein mag: Jetzt um 10.30 Uhr findet der Höhepunkt des Morgens statt. Die Tür öffnet sich – und die Senioren lächeln. Denn soeben kommen die Kinder aus der angrenzenden Kinderkrippe Kastanienzwerge. „Linus, willst du zu mir sitzen?“, fragt Tagespflege-Gast Barbara Gehring aus Tengen-Beuren. Prompt setzt der Zweijährige sich vor ihr auf ein Kissen. Sie legt die Hand auf seinen Kopf. Beide lächeln.
Für Bürgermeister Selcuk Gök ein Paradebeispiel: „Das Projekt hat mich überzeugt, als ich zum ersten Mal davon gehört habe“, sagt er. Aber es sei heutzutage nicht mehr üblich, dass drei oder vier Generationen unter einem Dach zusammenleben. So ein Mehrgenerationenprojekt – wenn auch nur für ein paar Stunden täglich – würde dazu beitragen, dass Menschen weniger vereinsamen. Das könne einer Demenz bei den Senioren vorbeugen. „Die größte Bestätigung ist zu sehen, wie glücklich Jung und Alt miteinander sind und wie gering die Hemmschwellen zwischen den Generationen sind“, so der Bürgermeister.
Nun soll wissenschaftlich untersucht werden, wo das Konzept tatsächlich gut funktioniert und wo man noch nachbessern kann.

Stefan Gebauer, Leiter des Geschäftsbereich Altenhilfe und Pflege im Caritasverband Singen-Hegau, bezeichnet das Ganze als ein Herzensprojekt. Viele würden zum Teil von weit her anreisen und sich das Projekt anschauen: Delegationen der Caritas, Gemeinderäte und Studenten. Manchmal höre er die Frage, ob es für die Senioren nicht zu laut und zu turbulent sei. Die Gäste würden es jedoch lieben, mit den Kindern zusammen zu sein, betont er. Es habe in den bisherigen drei Jahren noch kein einziger Gast gekündigt, weil es ihm bei den Kindern zu unruhig war.
Gebauer erklärt: „Unser Herz schlägt für das Projekt. Es ist klar, dass wir es gut finden. Aber jetzt haben wir durch das Forschungsprojekt der Studentinnen die Chance zu erfahren: Wie sieht es eigentlich von außen aus?“
Marianum-Dozent bringt den Stein ins Rollen
Sigrun Korynta ist Leiterin der Tengener Kindertagesstätte einschließlich der Kinderkrippe Kastanienzwerge: „Wir sehen, dass die gemeinsame Zeit die Entwicklung beeinflusst. Jetzt haben wir die Chance, auch Beweise zu bringen“, erklärt sie. In der Tagespflege und der Kinderkrippe würde der Anfang und das Ende des Lebens zusammenkommen.

Clemens Luft, Pädagoge und langjähriger Dozent am Marianum Zentrum für Bildung und Erziehung, hat den Kontakt zu den Hochschulen hergestellt und das Projekt ins Rollen gebracht. „Eine Evaluationsstudie soll nun den Status sichern. Die Studie ist neutral. Sie zeigt, wo etwas gut läuft und wo man noch nachbessern kann“, erklärt er. Die beiden Studentinnen, die das Tengener Projekt im Rahmen ihrer Masterarbeit inspizieren, würden den Blick damit nicht nur ins Jetzt richten – sondern ins Nachher.
Zusammenarbeit zwischen Thurgau, Konstanz und Hegau
Die beiden Studentinnen Mareike Raif und Janine Juchter können es kaum erwarten, das Evaluation-Projekt „Alt trifft Jung“ zu starten. „Wir freuen uns sehr über die Möglichkeit, im Rahmen einer Projektarbeit der Pädagogischen Hochschule Thurgau und der Universität Konstanz eine Evaluation des Projekts durchführen zu dürfen“, erklären sie. Dies biete den beiden Masterstudentinnen im Studiengang „Frühe Kindheit“ die Chance, ein spannendes Projekt im Hegau genauer zu untersuchen und wertvolle Einblicke in das Konzept zu gewinnen.
„Unsere Neugierde und Faszination für die besondere Form des Zusammenseins zwischen den Jüngsten und den Ältesten unserer Gesellschaft wurden geweckt, ebenso wie das Interesse an der Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team“, lautet Reif und Juchters Antwort auf eine SÜDKURIER-Anfrage. Durch die Evaluation dieses Projekts möchten sie die Wirksamkeit ergründen, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten davon profitieren.
Gleichzeitig wollen sie einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion über intergenerationelle Projekte leisten. „Die Ergebnisse könnten als Grundlage oder Inspiration für weitere Forschungsarbeiten in diesem Bereich dienen“, zeigen sie sich überzeugt, dass mit dem Austausch allen Projektbeteiligten eine spannende Zeit bevorsteht.