Eine kleine, dafür feine Feierstunde veranstaltete der SV Großschönach zu seinem 60. Geburtstag, die der Verein schon 2019 hatte, aber wegen des prallen Terminkalenders eines ganz besonderen Ehrengastes erst vor wenigen Tagen offiziell beging. Bei der Fete im „Frieden“ in Aftholderberg gab sich ein Weltmeister die Ehre – Jürgen Kohler, der 1990 mit der deutschen Fußballnationalmannschaft den Titel geholt hatte.

Die Talkrunde mit Kohler und dem Vereinsvorsitzenden Michael Rothweiler wurde von Richard Nestvogel moderiert, der auch den Kontakt zu Jürgen Kohler hatte, der als einer von wenigen Spielern mehr als 100 Länderspiele für Deutschland bestritt.

„Ich war kein Sonnyboy“

Richard Nestvogel fragte Kohler, warum er nie als Trainer für die Nationalmannschaft in Frage gekommen ist. Sehr offen und spontan antwortete der symphatisch auftretende 54-Jährige, dass es dafür wohl drei Gründe gab. Zum einen, weil er kein Sonnyboy und nicht blond sei, und zuletzt, weil er immer zu ehrlich gewesen ist. Der Ex-Profi begeisterte die Besucher mit seiner offenen humorvollen Art und beantwortete Fragen immer wieder mit einer lustigen Anekdote aus seiner Karriere.

Er konnte auch immer wieder über sich selbst lachen, so zum Beispiel, als er mehrmals darauf hinwies, dass er ja bekannt gewesen sei für seine „filigrane Art“ Fußball zu spielen – seine Gegenspieler bekamen dies leider allzu oft schmerzlich zu spüren. Auf Nachfrage aus dem Publikum bekannte er, dass er einst nur wegen des Geldes nach Italien gewechselt sei. Die fehlende Offenheit und Ehrlichkeit bemängelt Jürgen Kohler indes am heutigen Profifußball, und nach seiner Ansicht dürfen die heutigen Profis leider nicht immer die Wahrheit sagen.

Als glückliche Fügung bezeichnete er die Tatsache, dass er während seiner Karriere von großen großen Verletzungen verschont geblieben war. In seinen zwei Jahren bei Bayern München, so Kohler, habe er dann noch die „Siegermentalität“ eingeimpft bekommen, denn Uli Hoeneß habe damals schon die Mentalität „der Zweite ist der erste Verlierer“ vorgelebt. Den Videobeweis in der aktuellen Form sieht Jürgen Kohler äußerst kritisch, ebenso die Diskussionen um die Handspielregelung. Nach seiner Einschätzung wird durch die neuen Regelungen, zum Nachteil des Fußballs und der Spieler, alles nur noch komplizierter.

„In Italien lockte das Geld“

Auf die Frage, warum der deutsche Fußball derzeit international nicht richtig konkurrenzfähig ist erklärte Jürgen Kohler, dass nach seiner Ansicht in den letzten Jahren die ganzen Tugenden und Werte, die den deutschen Fußball ausgezeichneten, sukzessive über Bord geworfen wurden. Erst wenn man wieder daran anknüpfe, werde der deutsche Fußball international wieder auf Augenhöhe mit den anderen Ländern spielen können.

Erinnerungsfotos mit den Fans

Weltklasseverteidiger Jürgen Kohler (links) mit Stürmer und Sponsor Corc Taraca.
Weltklasseverteidiger Jürgen Kohler (links) mit Stürmer und Sponsor Corc Taraca. | Bild: Simon Klaiber

SVG-Vorsitzender Michael Rothweiler war angetan von der offenen, ehrlichen und humorvollen Art von Jürgen Kohler. „Überhaupt nicht abgehoben, sondern ein Mensch, der anderen auf Augenhöhe begegnet“, erklärte er im SÜDKURIER-Gespräch. Dass dieses Verhalten nicht aufgesetzt war, zeigte sich beim Abschied, als Jürgen Kohler jedem Besucher die Hand gab und sich dann Richtung Überlingen aufmachte, wo er übernachtete.

Ehrung für Gründungsmitglieder

Michael Rothweiler hatte zu Beginn die zahlreichen Gäste begrüßt und kurzweilig einen Rückblick auf die Vereinsgründung sowie auf die Höhen und Tiefen des Vereins in den vergangenen sechs Jahrzehnten gegeben. Sein Dank galt dabei den noch lebenden Gründungs- und Ehrenmitgliedern Kurt Scherzinger, Willi Straßer, Gerhard Huber, Karl Steurer, Anton Bühler und Ernst Ill. Für deren langjährigen Einsatz für den Verein und erhielten sie eine Dankesurkunde.