Vor 50 Jahren hat Hans Dackweiler die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Lautenbach gegründet. Mit seiner Frau Marga und Sohn Michael siedelte er vom Lehenhof im Deggenhausertal auf den umgebauten Brunnenhof um und startete dort sein in dieser Form neuartiges, integratives Konzept des gemeinsamen Wohnens, Lebens und Arbeitens von Menschen mit und ohne Assistenzbedarf. Der SÜDKURIER sprach mit Sohn Michael Dackweiler über diese aufregende Zeit und wie er das Wirken seines Vaters in Lautenbach erlebt hat.
Positive Aufbruchsstimmung begeisterte auch den Sohn
Schon mit zwölf Jahren war Michael Dackweiler mit seiner Mutter Marga und Vater Hans in die Camphill-Dorfgemeinschaft Lehenhof im Deggenhausertal gezogen. Den Umzug aufs Land aus dem rheinländischen Krefeld sei ihm damals leicht gefallen, erinnert sich der heute 68-Jährige. „Das war eine super Entscheidung meiner Eltern“, schildert Dackweiler. Am Lehenhof, das damals die erste Camphill-Dorfgemeinschaft in Deutschland gewesen sei, habe damals schon eine positive Aufbruchsstimmung geherrscht. „Es ist mir dort sehr gut gegangen“, berichtet der gebürtige Rheinländer. Nur zur Schule sei es etwas weit gewesen: „Ich musste mit dem Fahrrad täglich nach Wilhelmsdorf radeln“, schildert er schmunzelnd.
Tolle und kreative Situation in den Begegnungen
Berührungsängste bezüglich eines gemeinsamen Lebens mit Menschen mit Assistenzbedarf habe er damals keine gehabt, sagt Michael Dackweiler auf Nachfrage. „Natürlich hatte ich mir darüber im Vorfeld Gedanken gemacht, aber es war in Windeseile klar, dass ich keinerlei Ängste zu haben brauchte“, erinnert er sich. Und ergänzt: „Es waren besondere Beziehungsgestaltungen, weil es besondere Menschen sind. Genau genommen ist aber jeder Mensch besonders, nur ist das vom Einzelnen oft verborgen und versteckt.“ Menschen, die Unterstützungsbedarf haben, würden sich in der Regel viel klarer und offener zeigen. „Wenn man sich darauf einlassen kann, ist das eine total tolle und kreative Situation. Das war für mich von Anfang an so“, sagt Michael Dackweiler.
Als 18-Jähriger vom Deggenhausertal nach Großschönach gezogen
Vom Deggenhausertal ging es dann 1971 nach Herdwangen-Schönach, wo Hans Dackweiler seine Vision einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft verwirklichen wollte. „Als wir nach Lautenbach gezogen sind, war ich 18 Jahre alt und besuchte das Gymnasium in Überlingen“, erinnert sich Michael Dackweiler. Zunächst habe die Familie bei einem Bauunternehmer in Großschönach zur Miete gewohnt und während dessen den Umbau des Brunnenhofs ab 1970 begleitet, der als erstes Gebäude der neuen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft genutzt wurde. „Das war eine enorme Dynamik in dieser Anfangssituation. Ich war da ganz mit drin“, schildert er die Aufbruchstimmung. Hans Dackweiler hatte eine Gruppe von Mitarbeitern vom Lehenhof mit nach Lautenbach genommen.

Seinen Vater hat er von frühester Kindheit an als starke Persönlichkeit erlebt. „Es hat immer mal wieder gerieben zwischen uns beiden, das hat aber nichts daran geändert, dass wir beide für die selben Impulse gebrannt haben“, beschreibt er das Verhältnis. Das sei für ihn auch die Grundlage gewesen, nach Ausbildung und Studium später im Jahr 1979 wieder nach Lautenbach zurückzukehren und in einer Gruppe von Menschen mitzuarbeiten, der auch Hans Dackweiler angehörte. „Vom Lebensalter und von der Biografie her hatte mein Vater ein patriarchalisches Element. Das habe ich selbst deutlich weniger. Ich bin ein Teamspieler“, ergänzt er.

Was ihn heute noch beeindruckt und freut, ist, wie freundlich und offen die Gemeinde die neue Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Anfang der 70-er Jahre aufgenommen hat. „Ich kann mich an keinerlei Berührungsängste, Sorgen oder Probleme erinnern“, schildert er seine Jugenderinnerungen. Der Gemeinderat von Großschönach hatte vorher einen Ausflug zum Lehenhof gemacht und sei zu dem Schluss gekommen, dass man sich eine solche Gemeinschaft gut in der eigenen Gemeinde vorstellen könne. „Ich habe eine Offenheit in der Bevölkerung erlebt, die total super war“, freut sich Michael Dackweiler noch heute.
Erste Bewohner kommen aus der näheren Umgebung
Zunächst seien die Bewohner von Lautenbach aus der näheren Umgebung gekommen, erinnert er sich. Die Gründungsidee von Lautenbach sei gewesen, ein Angebot für junge Menschen mit Assistenzbedarf zu bieten, die von herkömmlichen Schulsystemen überfordert gewesen seien. „Dadurch, dass ich mit meinen Händen arbeite, lerne ich die Welt begreifen“, sei der Grundgedanke gewesen.
„Wenn jemand ein Vierteljahr in der Gärtnerei arbeitet, lernt er die Welt anders begreifen als bei einem Vierteljahr in der Wollwerkstatt. Deshalb gab es das Angebot, drei Jahre lang die verschiedenen Werkstätten zu durchlaufen und die Welt dabei im wahrsten Sinne des Wortes begreifen zu lernen“, sagt Michael Dackweiler. Das sei auch vom Verband Anthroposophischer Einrichtungen in Deutschland gezielt beworben worden, dadurch seien in der Folge Jugendliche aus ganz Deutschland nach Lautenbach gekommen.
Kompetente Handwerker aus der Region engagieren sich
Die Menschen, die in den Werkstätten die Jugendlichen unterrichtet und angeleitet haben, seien kompetente Handwerker aus der Region gewesen, die ihr handwerkliches Wissen sozial einsetzen wollten. „Das ist eine große Kunst, dass man das Gegenteil vom Rationalisieren macht. Dass Arbeitsprozesse so aufgliedert werden, dass man viele Menschen am Arbeitsprozess beteiligen kann. Das brauche viel Fantasie und eine besondere Arbeitseinstellung. Die örtlichen Handwerker Peter Reich, Helmut Maier und Otto Kohler fallen Michael Dackweiler spontan ein als wichtige Mitstreiter der Gründungsphase in Lautenbach. Die Mitarbeiter im Wohnbereich seien meist nicht aus der Region gekommen.

Als Mitarbeiter im Wohnbereich habe man in einem hohen Umfang das Leben in der Gemeinschaft miteinander geteilt. Michael Dackweiler und seine Frau haben auf diese Weise insgesamt 21 Jahre gelebt. Zuerst in Lautenbach, wo Michael Dackweiler eine sozialtherapeutische Großfamilie übernommen hatte. „Es war wie in einer Großfamilie. Wenn einer ein Problem hatte, halfen die anderen“, betont er – wenngleich seine Familie eine separate Wohnung im Haus mit eigenem Eingang hatte.
Neues Wohnkonzept bietet Nähe und Bindung für die Bewohner
Das familienorientierte Wohnkonzept hatte ein hohes Maß an Attraktivität für die Bewohner mit sich gebracht. „Es bietet grundsätzlich Nähe und Bindung sowie gesunde Rhythmen, auf die man sich verlassen kann. Der Mensch merkt, dass es einen sozialen Kontext gibt, der ihm Halt bietet“, schildert Michael Dackweiler. Grundsätzlich sei es im Konzept seines Vaters darum gegangen, zusammen und miteinander zu lernen, ein gutes, lebenswertes Leben zu führen. Man habe deshalb auch diejenigen Menschen zusammenfinden lassen, die genau diesen Impuls hatten.
Schon früh sozialtherapeutischen Unterricht angeboten
In diesem Kontext sei schon ganz früh der Wille dagewesen, in der Gemeinschaft junge Menschen unter den Mitarbeitern dabei zu haben und diesen eine Ausbildung anzubieten. „Wir haben schon früh sozialtherapeutischen Unterricht angeboten, der dann später in der Ausbildung zum staatlich anerkannten Heilerziehungspfleger mündete, schildert der studierte Theologe.

Auf die Frage nach der Finanzierung des Projekts in Lautenbach sagt er deutlich: „Es war nicht am Anfang das Geld da, sondern am Anfang stand nur die Idee. Und die war so gut, dass das Geld gefolgt ist.“ Das sei anders als heute, wo man erst einmal „Kohle“ brauche, bevor man ein Projekt starte. Dennoch sei nie eine Art von Reichtum oder ein einzelner großer Sponsor dagewesen; sein Vater und die Mitstreiter seien immer dabei gewesen, viele kleine Geldbeträge als Spenden zu sammeln. „Es war kein Nürnberger Trichter, sondern viele Menschen, die es mit kleinen Gaben möglich gemacht haben, die Idee zu verwirklichen“, betont Michael Dackweiler. Dazu kam dann noch die staatliche Unterstützung.
Lautenbacher Impuls nach Tennental getragen
Im Laufe der Jahre war Michael Dackweiler in Lautenbach mehr und mehr in die Leitungsarbeit mit eingestiegen und seit 1990 an der Entwicklung und Gründung der Dorfgemeinschaft Tennental bei Deckenpfronn beteiligt. „Ich bin mit einer ganzen Gruppe von Menschen mit Unterstützungsbedarf und Mitarbeitern von Lautenbach nach Tennental umgezogen“, berichtet er. „Wir haben den Impuls, der in Lautenbach seine Wurzeln hat, sozusagen in den Landkreis Böblingen getragen“, sagt Dackweiler. Auch dort lebte er mit seiner Familie in der Gemeinschaft.
Heute ist er als Coach und Berater tätig
Heute ist Michael Dackweiler neben seiner Rente selbständig im Bereich Bildung, Coaching und Beratung von Menschen und Initiativen tätig.