Noch ganz genau erinnert sich Rosemarie Jakob an den Tag, an dem sie in der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft in Lautenbach angekommen war, um dort fortan mit Menschen mit Assistenzbedarf zu leben und zu arbeiten. „Es war ein Sommertag im Jahr 1974 und in Aftholderberg wurde das Eulogiusfest gefeiert“, schildert sie. Wegen der prächtigen Pferde war dieses Fest bei den Bewohnern von Lautenbach besonders beliebt und so kann Rosemarie Jakob von einem Start in ihre neue Aufgabe voller Freude und strahlender Gesichter erzählen.

Von Amerika nach Herdwangen-Schönach hatte die damals 28-Jährige ihr beruflicher Weg geführt. In den Vereinigten Staaten hatte sie zwei Studienjahre der Sozialtherapie absolviert. Zuvor hatte sie sich im Camphill-Seminar, eine Fachschule für Sozialwesen mit der Fachrichtung Heilerziehungspflege, zur Heilpädagogin ausbilden lassen.
Hans Dackweiler kannte Rosemarie Jakob seit der Kindheit
Hans Dackweiler, der die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft vor 50 Jahren gegründet hat, und seine Familie kannte Rosemarie Jakob schon seit ihrer Kindheit. „Wir kommen alle aus dem Rheinland“, verrät sie. Große Lust hatte sie darauf, nach ihrer Studienzeit am Aufbau von Lautenbach mitzuwirken. „Ich war auch schon vor meiner eigentlichen Arbeit in Lautenbach zu Gast, besuchte den allerersten Tag der offenen Tür“, schildert die Heilpädagogin.

Zu dieser Zeit stand nur der Brunnenhof, den man in zwei Wohngruppen, später in drei Gruppen aufgeteilt hatte. „Damals hieß es nicht Wohngruppe, sondern Familie“, berichtet Jakob. In jeder Gruppe lebten die Mitarbeiter und ihre Familien mit rund zehn Menschen mit Assistenzbedarf zusammen.
So auch Rosemarie Jakob – damals hieß sie aufgrund der Heirat mit ihrem amerikanischen Mann noch Rosemarie Neal. Familie Neal zog mit ihrem Sohn in den Brunnenhof; das zweite Kind kam in Lautenbach zur Welt. „Meine Tochter war das erste Baby, das hier geboren wurde“, erinnert sie sich – und daran, wie die Lebensgemeinschaft generell jedes Mal voller Vorfreude bei der Ankunft von Babys mitfieberte.

„Meine Kinder sagen alle drei, dass sie in Lautenbach eine wunderbare Kindheit und Jugend verbracht haben“, erzählt die 75-Jährige. Jahre des Pioniergeistes und der Aufbruchsstimmung durfte sie ab 1974 erleben. Hans Dackweiler wollte seinen Wunsch umsetzen, dass auch junge Menschen mit Assistenzbedarf unter 18 Jahren in einer Gemeinschaft auf die Arbeitswelt vorbereitet werden sollten, was es damals noch nicht gab. Dackweiler schuf in Lautenbach eine Schule, in der auch Rosemarie Jakob unterrichtete, sowie Werkstätten, in denen die Jugendlichen ausgebildet wurden.

Schön war es für Rosemarie Jakob, hautnah dabei zu sein, wie Bewohner, Mitarbeiter, Eltern und Bürger aus der Gemeinde gemeinsam anpackten, um die Vision von Hans Dackweiler zu verwirklichen. „So war ein Vater Besitzer einer Baumschule. Eines Tages brachte er Bäume und Büsche zu uns und die Belegschaft war tagelang mit dem Pflanzen beschäftigt“, erzählt sie.
Jeder Mitarbeiter war mit einbezogen
In dieser ersten Zeit hätten sich die Mitarbeiter täglich getroffen und man sei über alles informiert worden. „Es lief so ab, dass jeder einbezogen war. Dieses gemeinsame Bewusstsein führte dazu, dass jeder bereit war, sich zu beteiligen – egal ob im Garten, in der Werkstatt oder im Haus“, erzählt die Rentnerin.
Hans-Sachs-Haus und Weberhaus entstanden als neue Unterkünfte
Nach und nach entstanden wuchs die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft: Das Hans-Sachs-Haus und das Weberhaus wurden als neue Unterkünfte gebaut. Rosemarie Jakob erinnert sich, wie ein Haus in den Sommerferien fertig wurde, die Betten aber nicht geliefert worden waren. „Die Menschen schiefen eine Zeitlang auf Matratzen und lebten aus dem Koffer. Das hat aber niemand moniert. Die Pionierzeit war einfach spannend“, sagt sie.
Neue Bewohner kamen auch aus Berlin
Die Bewohner seien zunächst aus der näheren Umgebung, wie etwa eine größere Gruppe von der Höri, gekommen, dann aber auch aus Berlin, auf die Vermittlung von Sozialarbeitern hin. Interessant war es für sie mitzuerleben, wie der Steinbildhauer und Künstler Hans Dackweiler die ersten Produkte der Gemeinschaft selbst entwarf und die Werkstätten aufbaute.
Hans Dackweiler kaufte Hof mit kleiner Kapelle
In der direkten Nachbarschaft gab es auch einen landwirtschaftlichen Hof, zu dem eine kleine Kapelle gehörte, die aus dem Jahr 1716 stammt. Hof und Kirchlein hat Hans Dackweiler dem Landwirt abgekauft. Die kleine Kapelle, in der früher auch der Großschönacher Pfarrer Gottesdienste, Taufen und Hochzeiten abhielt, gehört heute – genauso wie die große Kapelle – zu den Lieblingsplätzen von Rosemarie Jakob.
Magdalenenhof wurde Wohnort der Landwirte und einer Wohngruppe
„Früher wurde die Glocke der Kapelle täglich um 12 Uhr und zum Arbeitsschluss geläutet“, schildert Jakob. Am Brunnenhof wurde damals der erste Garten eingerichtet; der Magdalenenhof wurde Wohnort der Landwirte und einer Wohngruppe. Heute betreibt die Gemeinschaft Landwirtschaft und Gärten in Demeter-Qualität.
„Kleine Volkshochschule“ Lautenbach mit vielen Angeboten
Rosemarie Jakob hat sich auch in der sogenannten „Kleinen Volkshochschule“ engagiert. Dort konnten und können sich Bewohner am Freitagnachmittag weiterbilden bei Kursen, wie Gymnastik, Wandern, Naturbetrachtung, Fotografie, Eurythmie und Literatur. Rosemarie Jakob engagierte sich in der Schule und in der „Kleinen Volkhochschule“ im Malen. Als Rentnerin wohnt sie heute im Hans-Sachs-Haus.
Lautenbach wurde für Rosemarie Jakob ein Zuhause
Nach Jahren in England hat es sie wieder nach Lautenbach gezogen – ein Ort, mit dem sie wunderbare Erinnerungen an Erlebnisse der Gemeinschaft, der Freude und des Zusammenhalts verbindet, und wo sie eine gelungene Umsetzung der von anthroposophischer Menschenkunde geprägten Ideen Hans Dackweilers erleben durfte. „Für mich ist Lautenbach einfach mein Zuhause“, sagt die gebürtige Rheinländerin.