Beinahe 80 Jahre liegt die Reichspogromnacht zurück, eine gewalttätige Aktion der nationalsozialistischen Diktatur vornehmlich gegen die Juden im Deutschen Reich am 9. und 10. November. Das im Sprachgebrauch lang verwendete und zugleich verharmlosende Wort „Kristallnacht“ bezieht sich auf die überall verstreuten Glasscherben vor zerstörten Wohnungen, Läden und Büros, Synagogen und öffentlichen jüdischen Einrichtungen. Es war das offizielle Signal zum größten Völkermord in der Geschichte der Menschheit.
Auch das Hohenzollerische Land mit seiner Hauptstadt Sigmaringen erlebte diesen barbarischen Terrorakt der Sturmabteilung (SA), einer paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP. Mit weiteren Parteimitgliedern und HJ-Schülern nutzte der sich formierende Mob mit organisierten Schlägertrupps die Gelegenheit, jüdische Geschäfte und Gotteshäuser in Brand zu setzen oder zu plündern. Und der damalige Hechinger Landrat brüstete sich sogar für seinen Erfolg: Die Gestapo habe ihn ersucht, 15 der reichsten Juden verhaften zu lassen.
Dabei war der Anteil der jüdischen Bevölkerung wirklich überschaubar, wie Schülerinnen und Schüler das Hohenzollern-Gymnasiums für eine denkwürdige zweistündige Aufführung an ihrer Bildungsstätte vor fünf Jahren recherchierten: 1933 lebten 328 Juden in Hohenzollern. 213 waren es in Haigerloch, wovon 84 allein in der Reichspogromnacht ums Leben kamen, 110 Menschen überführten die Nazischergen in Konzentrationslager. 106 Juden lebten damals in Hechingen (14 wurden während der NS-Zeit in Vernichtungslager deportiert), und nur neun Juden lebten in Sigmaringen.
Blicken wir auf die historischen Ereignisse zurück, so hatte das jüdische Volk im Fürstentum Hohenzollern auch zuvor keinen leichten Stand. Erst als die beiden Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen 1850 an das Königreich Preußen gefallen waren, wurde die Judenemanzipation vollzogen. Und dennoch erfolgte ihre rechtliche Gleichstellung erst 1901, wodurch sie das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene erwarben.
Hohes Ansehen der Franks
Die kleine jüdische Gemeinde galt im Hohenzollerischen Lande als schnell und gut integriert. In Sigmaringen erfreute sich die Familie Frank sogar einer enormen Beliebtheit, die erst in Laiz und dann in Sigmaringen ansässig war. Sie hatte hohes Ansehen in der städtischen Bürgerschaft. So wurde Siegfried Frank bei der Fasnet 1910 als erster Jude in Sigmaringen gebräutelt. Die Brauereiinhaber Sigmund und Gustav Frank, die Fabrikanten Siegfried und Karl Frank waren sehr vielseitig unternehmerisch aktiv – zunächst im Brauereiwesen, dann in der Möbelherstellung, im Autohandel sowie im Immobiliengeschäft, wie es der Historiker und Kreisarchivar Edwin Ernst Weber detailliert bei seinem Vortrag im Staatsarchiv dargestellt hat.
Umso härter traf die jüdische Bevölkerung die brutale Zerstörungswut durch die während dieser Pogromnacht in Gang gesetzten SA-Horden. In Hechingen und Haigerloch wurden jeweils die Synagoge, das jüdische Schul- und Gemeindehaus vollkommen demoliert, Geschäfte jüdischer Einzelhändler und deren Wohnungen verwüstet. Sämtliche Juden mussten in diesem Fanal von Verhaftung und Verschleppung um ihr Leib und Leben fürchten. Ihre Besitztümer wurden arisiert und die Familien vertrieben. Juden durften fortan keinen Handel, kein Handwerk und kein Gewerbe mehr betreiben. Die Diskriminierungen, Verbote und Auflagen umfassten das alltägliche Leben.
Auch die Familie Frank hatte unter dem Einfluss der nazistischen Rassenpolitik ihr soziales Netz blitzartig verloren, sie wurden in der Stadtgesellschaft isoliert und sahen sich ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlagen beraubt, so Weber. Lisa Heymann, geborene Frank, war 1928 die einzige jüdische Schülerin auf dem staatlichen, heute: Hohenzollern-Gymnasium. Sie verließ die 1935 die Schule, weil sie dort förmlich herausgeekelt wurde. Die Franks wurden mit massiven Repressionen und Gewalt aus ihrer hohenzollerischen Heimat in die Emigration gezwungen – „ein bedrückendes Kapitel der Sigmaringer Stadt- und hohenzollerischen Landesgeschichte“, so Webers Fazit zu diesem verbrecherischen Novemberpogrom, der mit seinem Antisemitismus und Rassismus offizielle Staatsdoktrin geworden war.

In der Karlstraße sind Stolpersteine vor dem Finanzamt gelegt worden. Sie rufen das Schicksal der von den Nazis vertriebenen Familie Frank in Erinnerung, es sind die Spuren einer menschenverachtenden Ideologie. „Und wir wollen sie nicht verwischen, wir wollen die Spuren freilegen, uns auf den Spuren bewegen“, sagte die DGB-Kreisvorständlerin Susanne Fuchs zum Antikriegstag vor zwei Jahren: „Mahnmale, über die man stolpern soll, sichtbar – Stolpersteine als Spuren.“ Sie selbst hatte 2011 als Gemeinderätin mit ihren SPD-Fraktionskollegen die Aktion der Stolpersteinverlegung angestoßen – ein Motiv des Innehaltens.

Reichspogromnacht
Der Novemberpogrom kam in seiner Brutalität einer geschichtlichen Zäsur gleich. Die Judenpolitik des nationalsozialistischen Regimes war an einen Wendepunkt gelangt. Es gab kein Tabu mehr für tätliche Angriffe und körperliche Misshandlungen. Die Masse der Inhaftierten kam erst nach Auswanderungserklärungen frei, sofern sie nicht schon vorher zu Tode kamen.
In seinem Fernschreiben an Parteistellen der NSDAP, an Behörden sowie der SA hatte der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, die Staatspolizeistellen zu den antijüdischen Aktionen des 9. und 10. November 1938 unmissverständlich angeordnet:
Es dürften nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen (zum Beispiel Synagogenbrände nur dann, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung bestehe). Geschäfte und Wohnungen von Juden dürften nur zerstört, nicht geplündert werden. Die Polizei sei angewiesen, die Durchführung dieser Anordnung zu überwachen und Plünderer festzunehmen. In den Geschäftsstraßen sei besonders darauf zu achten, dass nichtjüdische Geschäfte unbedingt gegen Schaden gesichert würden.