Vier Tage haben sich Wissenschaftler zur Jahrestagung der Martin-Heidegger-Gesellschaft im Meßkircher Schloss getagt. Das Treffen stand unter dem Thema „Martin Heidegger und die Philosophie der planetarischen Technik“. Professor Harald Seubert (Basel, München), Vorsitzender der Heidegger-Gesellschaft, eröffnete und leitete die Tagung. Die Vorträge befassten sich mit dem Technik-Begriff Heideggers und führten aus, inwieweit sein Denken Relevanz in Beziehung auf die moderne technische Entwicklung hat.

Hilfe bei Antworten auf globale ethische Fragen

Heideggers Ausführungen zur Technik seien keine oberflächliche Technikkritik, sondern der Meßkircher Philosoph frage anders und tiefer, erläuterte Harald Seubert. Die Beschäftigung mit Heideggers Denken könne helfen, sich mit den großen ethischen Fragen auseinanderzusetzen und die neuen Chancen des Bewusstseins auszuloten. Seubert hält es für einen glücklichen Umstand, sich über die globalen Fragen in Heideggers Denken, „die Philosophie der planetarischen Technik“, mit internationalen Wissenschaftlern in Meßkirch auszutauschen, dem Ort des Lebens und der Freundschaften Martin Heideggers. „Meßkirch ist ein guter Ort. Wir wissen, dass wir willkommen sind“, richtete Harald Seubert sein Wort an Bürgermeister Arne Zwick. Dieser versicherte, dass die Stadt stolz darauf sei, eine solche Tagung hier zu Gast zu haben.

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Reaktion auf Digitalisierung nötig

Kurt Mertel aus Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstrich, dass die Digitalisierung eine globale Bedeutung habe, auf die dringend zu reagieren sei. „Wir müssen uns von Heideggers Philosophie anregen lassen“, erklärte er, um anthropologische und ethische Antworten auf die technische Herausforderung zu entwickeln.

Professor Harald Seubert, Vorsitzender der Heidegger-Gesellschaft, ging im Gespräch mit dem Philosophen und Ökonom Christoph Lütge auf ...
Professor Harald Seubert, Vorsitzender der Heidegger-Gesellschaft, ging im Gespräch mit dem Philosophen und Ökonom Christoph Lütge auf dessen Vortrag ein. | Bild: Isabell Michelberger

Zwei Neugründungen zu Heidegger in Osteuropa

Raivis Bicevskis aus Riga in Lettland beschrieb, dass Europa im Hinblick auf die Heidegger-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg gespalten sei. „In Osteuropa werden die Diskussionen um Heidegger nicht so ideologisch geführt“, berichtete er. Die Beschäftigung mit Heidegger sei dort auf seine Schriften konzentriert. In der jüngsten Zeit habe es zwei Neugründungen im zentralen Osteuropa gegeben: das Zentral- und Osteuropäische Zentrum der Phänomenologie, das sich auf das Denken von Husserl und Heidegger stütze, und in diesem Jahr die Heidegger-Gesellschaft in Lettland, die sich mit der Übersetzung der Texte ins Lettische befasse und ebenfalls Tagungen organisiere. „Heideggers Denken ist zukunftsweisend“, betonte Bicevskis. Es helfe dabei, neue Brücken in Europa zu finden. „Heidegger ist ein Denker der Zukunft Europas“, schloss er seine Ausführungen.

Arnulf Heidegger: „Es gibt nichts mehr, was zurückgehalten wurde“

Arnulf Heidegger, Enkel von Martin Heidegger, berichtete als Kuratoriumsvorsitzender der Heidegger-Gesellschaft und als Vertreter der Familie im Rahmen der Veranstaltung im Schloss über den Stand der Gesamtausgabe. Wie er von den Verlagen erfahren habe, sei das Interesse an Martin Heideggers Schriften ungebrochen groß. Darüber hinaus konnte Arnulf Heidegger melden, dass es keine weiteren ungesichteten Fließtexte mehr gebe, die von politischer Brisanz seien. „Es gibt nichts mehr, was zurückgehalten wurde“, versicherte er.

Tagung für Nachwuchs

Ein Novum beim Treffen der Heidegger-Philosophen bestand darin, der Haupttagung eine Nachwuchstagung vorangehen zu lassen, um Doktoranden und angehende Doktoranden die Möglichkeit der Präsentation und des Austauschs zu geben.

Technik-Begriff von Heidegger im Fokus

Zur Haupttagung waren sowohl renommierte Philosophen eingeladen als auch Professoren aus anderen Fachbereichen, um den Technik-Begriff von Martin Heidegger aus unterschiedlicher Warte zu beleuchten. Christoph Lütge, Ökonom und Philosoph, referierte über „Heidegger, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz: Wo steht der Mensch?“.

Fürsprecher künstlicher Intelligenz

Er verteidigte darin die Vorzüge der Künstlichen Intelligenz (KI), deren Risiken zum Nachteil der Chancen überbewertet würden. Die Chancen sieht er in der besseren Vernetzung von Menschen über riesige Distanzen hinweg, in der Telemedizin oder im autonomen, genauer hochtechnisierten Fahren, das durch Unfallvermeidung Leben rette. In Bezug auf die Big-Data-Technologie sei es entscheidend, mit welchen Daten die Algorithmen gespeist würden. Hier müsse auf Gleichberechtigung und Fairness geachtet werden. Einige Wortmeldungen aus dem Publikum machten jedoch deutlich, dass die Zuhörer den von Lüdge formulierten Chancen der KI nicht kritiklos folgten.

Auch weniger optimistische Prognosen

In den Ausführungen von Lutz Ellrich über das Thema „Lässt sich die KI durch ethische Richtlinien an die Leine des Menschen legen“ klangen die Prognosen weniger optimistisch. „Eine starke KI kann nur durch stärkere KI in Schach gehalten werden“, meinte Ellrich. Supermaschinen würden über die Entscheidungsfähigkeit des Menschen hinauswachsen. Die Herausforderung der Zukunft bestehe darin, dass die Ethik präzise und klar formulierbar sein müsse.