Unscheinbar lehnt sich das Häuschen an den Hang. Schindeln decken die Außenwände, die Holzfenster sind grün und blau und orange bemalt. Sonst ist die Hütte oberhalb von Todtnauberg schlicht, Dutzende solcher schlichten Anwesen stehen im Schwarzwald. Sie dienen als Unterstände gegen das Wetter oder fürs Heu.

Grüne Fensterläden am Waldrand: In dieser Hütte lebte und schrieb Martin Heidegger, wenn er Freiburg hinter sich ließ. Heute gehört sie ...
Grüne Fensterläden am Waldrand: In dieser Hütte lebte und schrieb Martin Heidegger, wenn er Freiburg hinter sich ließ. Heute gehört sie seinem Enkel Arnulf. | Bild: Fricker, Ulrich

Auch diese Hütte am Ende des Tales ist ein Schutzhaus, die Behausung eines Philosophen. In ihr dachte und schrieb der Philosoph Martin Heidegger.

Martin Heidegger war ein bedeutender deutscher Philosoph. Er wurde 1889 im badischen Meßkirch als Sohn eines Mesners geboren. ...
Martin Heidegger war ein bedeutender deutscher Philosoph. Er wurde 1889 im badischen Meßkirch als Sohn eines Mesners geboren. Ursprünglich sollte er Geistlicher werden, entschied sich dann aber für die Philosophie. Sein Hauptwerk heißt „Sein und Zeit“, es begründete seinen Ruf weit über die Universität Freiburg hinaus. Es wird bis heute gelesen und verkauft. | Bild: DPA

Wenn er Zeit fand, zog er sich mit seiner Frau Elfride in das Refugium zurück. „Wenn man alles zusammenzählt, dann verbrachte er zehn Jahre seines Lebens in dieser Hütte“, berichtet Ulf Heidegger. Der Enkel des legendären Philosophen ist von Haus aus Anwalt. Doch kennt er wie wenige andere das Leben des berühmten Vorfahren, ist er doch sein Nachlassverwalter und Eigentümer der Hütte.

Die Söhne tobten in der Hütte, der Professor floh

Sie ist bis heute Privatbesitz und soll es auch bleiben. Sie wird von den Nachkommen genützt, Sommer wie Winter. Immer wieder klopfen asiatische Wanderer an oder Professoren melden sich. Sie wollen den schlichten Ort sehen, in dem Bücher von Weltrang entstanden. „Sein und Zeit“, das Hauptwerk des Philosophen, wurde in diesem Winkel ausgedacht.

„Die meisten Seiten schrieb mein Großvater im Bühlhof im Dorf unten“, berichtet der Enkel schmunzelnd. Die beiden Söhne Hermann und Jörg tobten damals wild in der Hütte, so dass der Vater tageweise auszog, um das Manuskript einige hundert Meter entfernt fertigzustellen.

Kurze Betten auf hohen Füßen

Während Ulf Heidegger erzählt, öffnet er die Tür der Hütte. Er weist den Besucher auf eine Doppeltür hin. Dann steht man in der winzigen Stube, gefolgt von Küche und Schlafzimmer. Ganze 42 Quadratmeter groß ist das Anwesen. Sieben Schlafstellen. Um die Kälte in dem minimal isolierten Häuschen zu wehren, stehen die kurzen Betten auf hohen Füßen. Auf 1150 Meter Höhe wird es bald kühl. Selbst im Sommer schlüpfen Besucher gerne in den Schlafsack.

Man könnte meinen, dass der Denker das Anwesen nur kurz verlassen hat, um sich die Füße zu vertreten. Die Datscha wurde nie ausgebaut oder vergrößert. Keine Heizpilze, kein Kaffeeautomat, keine Dusche. Dafür fließt Elektrizität. Als Elfride Heidegger das Häusle bauen ließ, stand es noch ohne Strom da, was sie einige Jahre später korrigierte. Frisches Wasser fließt es aus dem Brunnen. Das reicht fürs Teekochen und das Zähneputzen. Mehr nicht.

Erst Holzherd, dann Elektroherd mit zwei Platten

Die Hütte ist bis heute ein Erinnerungsort. Auch der kleine Schreibtisch, an dem Martin Heidegger in einer Folklorejacke saß und über den Weltlauf rätselte, steht an der angestammten Stelle. Die Nachfahren würden ihn niemals verrücken oder entfernen. Er gehört zum Inventar. Nur der Zwei-Platten-Herd ist neu und leistet gute Dienste. „Auf dem Holzherd kann man die Hitze kaum regeln, er wird einfach zu heiß“, berichtet Silke Heidegger.

Damals wie heute wird dieser Holztisch im Freien genutzt zum Kaffeetrinken.
Damals wie heute wird dieser Holztisch im Freien genutzt zum Kaffeetrinken. | Bild: Fricker, Ulrich

Das Chalet war eine Idee von Elfride Heidegger, der Frau des Philosophen (1893-1992). Sie erwarb das Grundstück, zeichnete den Grundriss und beauftragte einen Bauern aus Todtnauberg mit dem Bau. Ihr Mann muss das Anwesen mit dem eigenen Brunnen und dem Sternwürfel geliebt haben.

Wenn möglich, floh er aus Freiburg und ließ sich von seiner Frau die etwa 30 Kilometer in den Hochschwarzwald hochfahren; er selbst besaß keinen Führerschein. Er lebte, meditierte und schrieb dort oben. Abseits der Stadt war es ihm offenbar am wohlsten. Den Feldweg zog er der Autobahn vor. Ein Minimalist der ersten Stunde.

Rund um die Hütte ist viel Handarbeit fällig. Die Bewohner haben das Sensen gelernt.
Rund um die Hütte ist viel Handarbeit fällig. Die Bewohner haben das Sensen gelernt. | Bild: Fricker, Ulrich

Auch äußerlich war er hier aufs Einfachste reduziert. Wer ihm begegnete, hielt ihn für einen verschmitzten Bauern aus dem Schwarzwald. In der Hütte trug er einen einfachen Leinenanzug oder Wanderhosen mit Joppe. Dazu häufig eine Zipfelmütze. Brille nie.

Bäuerlich mit Kappe: Martin Heidegger vor der geliebten Hütte.
Bäuerlich mit Kappe: Martin Heidegger vor der geliebten Hütte. | Bild: Archiv

Der gelebte Traum vom einfachen Leben ist eng an das Denken gekoppelt. Heidegger war akademischer Lehrer und hochberühmter Professor. Er verdiente seine Brötchen an der Universität. Gleichzeitig litt er unter der Distanz des städtischen Lebens zur Natur.

Er spürte die Entfremdung, wie sie Karl Marx 100 Jahre vor ihm, wenn auch in anderer Absicht, beschrieben hatte. In seinen Schriften redet Heidegger einer neuen Bodenständigkeit das Wort, einem Zurück zu den Wurzeln.

In Todtnauberg konnte er diese Sehnsucht einlösen. Hier lebte einfach wie ein Almbauer und war‘s zufrieden. Den Kaffee malt er in einer kleinen Handmühle, die bis heute vorgezeigt wird. Die Hütte war holzgewordene Philosophie – und stand zugleich in der Tradition der Asketen.

Die gute Stube mit dem Gästebuch. Rechts an der Wand das Porträt des alemannischen Landsmanns Johann Peter Hebel.
Die gute Stube mit dem Gästebuch. Rechts an der Wand das Porträt des alemannischen Landsmanns Johann Peter Hebel. | Bild: Fricker, Ulrich

Der gute Johann Peter Hebel darf nicht fehlen

Mehr als vier Jahrzehnte nach seinem Tod wird dieser Zustand noch immer sorgfältig bewahrt. Unverrückbar hängt das alte Bild von Johann Peter Hebel in der Stube, einem alemannischen Landsmann des Messkircher Professors.

Todtnauberg, Castro, Kuba

Noch immer steht das helle Grundig-Radio auf der Anrichte. Heidegger erwarb es 1962, weil er in Sachen Kuba-Krise auf dem Laufenden bleiben wollte.

Lange Zeit war dieses Radio das einzige Elektrogerät im Häusle.

Wenn heute die Kinder und Enkel kommen, legen sie selbstverständlich ihre Handys auf den schmalen Holzflächen ab. Die Zeiten ändern sich, doch die Hütte des Ahnen bleibt dieselbe.

Dieses Radio wurde 1962 angeschafft, um in Sachen Kuba-Krise auf dem Laufenden zu bleiben.
Dieses Radio wurde 1962 angeschafft, um in Sachen Kuba-Krise auf dem Laufenden zu bleiben. | Bild: Fricker, Ulrich

Schon zu seinen Lebzeiten war das Anwesen am Hang legendär. Professoren kamen, der Franzose Lacan, der Physiker von Weizsäcker. Trotz seines politischen Engagements in der NS-Zeit blieb Heidegger im Gespräch, seine Anhängerschaft wuchs. In der philosophischen Fachwelt ohnehin. Sie suchten den Denker Heidegger, nicht den Demokraten. Der Hüttenzauber wirkte.

Bild 8: Der Philosoph Martin Heidegger schrieb am liebsten in einer primitiven Hütte im Schwarzwald. Sein Enkel schloss das Refugium für den SÜDKURIER auf
Bild: Fricker, Ulrich

Der „Spiegel“ fing in der Hütte und im Freiburger Haus das wichtigste Interview seiner Geschichte ein. Dessen Chef Rudolf Augstein kam mit Gefolge und Fotografin 1966 von Hamburg herunter und und den Schwarzwald hinauf. Er interviewte den damals 77-Jährigen. Heidegger war bestens vorbereitet, die Spiegel-Leute nicht.

Damals: Spiegel-Chefredakteur Rudolf Augstein (rechts) vor der Hütte. Der Hausherr schließt auf. Bild: bpk/Digne Marcovicz
Damals: Spiegel-Chefredakteur Rudolf Augstein (rechts) vor der Hütte. Der Hausherr schließt auf. Bild: bpk/Digne Marcovicz | Bild: bpk/Digne Marcovicz

Das berühmte Gespräch wurde erst nach dem Tod des Hauswirts veröffentlicht, so war die Vereinbarung, an die sich Augstein hielt. Der Text erschien unter dem Titel „Der Philosoph und das Dritte Reich“ sowie „Nur noch ein Gott kann uns retten“ 1976.