Der kommende Sonntag trägt den Namen „Invokavit“ und ist der erste Sonntag der 40-tägigen Fastenzeit, die am Aschermittwoch begonnen hat. In den evangelischen Kirchen nennt man sie „Passionszeit“, in der römisch-katholischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanum „österliche Bußzeit“, in den orthodoxen Kirchen die „heilige und große Fastenzeit“. Wem das Wort „Buße“ zu altmodisch oder unverständlich geworden ist, der sei an das griechische Wort im Neuen Testament „metanoia“ erinnert – es bedeutet: „Umkehr“.
Die Dauer von 40 Tagen ist eine eher symbolische als mathematische Größe und hat eine lange Geschichte: 40 Tage dauerte die Sintflut, 40 Jahre lang zog das Volk Israel durch die Wüste, 40 Tage verbrachte Mose auf dem Berg Sinai in der Gegenwart Gottes, der Prophet Jona setzte der Stadt Ninive eine Frist von 40 Tagen, in der sie durch Fasten und Büßen ihren Untergang abzuwenden versuchten, Jesus fastete 40 Tage in der Wüste. Weil die Sonntage vom strengen Fasten ausgenommen sind, kommt man von Aschermittwoch bis Karsamstag auf 40 Tage.
„Invokavit – Er hat gerufen“
„Invokavit“ ist das erste Wort des Psalms 91,15 für diesen Tag und heißt übersetzt: „Er hat gerufen“. Dort heißt es: „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.“ Die folgenden Fasten- oder Passionssonntage sind ebenfalls nach an diesen Tagen gesungenen Psalmversen benannt: Reminiszere, Okuli, Lätare, Judika, Palmarum (Palmsonntag). Schüler lernen für alle Passionssonntage den Spruch auswendig: „In rechter Ordnung lerne Jesu Passion“. In den Anfangsbuchstaben der Wörter sind die Namen der Sonntage enthalten. Sie bereiten die Gemeinde auf das Ostergeschehen vor.
Umkehr, nicht Rückkehr
Die Reformatoren hielten nicht die äußeren Akte mit Hunderten von Speisevorschriften für wichtig, sondern die Gesinnung, die verinnerlichte Frömmigkeit. Wo heutzutage in den evangelischen Kirchen die Fastenzeit neu entdeckt wird, geht es nicht um eine Rückkehr zu überlieferten Regeln, sondern um die Umkehr. Aus der Stammtischidee des Hamburger Pressepastors Hinrich Westphal entwickelte sich 1983 die evangelische Fastenaktion „7 Wochen Ohne“, an der jedes Jahr Millionen von Menschen teilnehmen. Christen verbinden diese geistliche Praxis auch wieder mit einer körperlichen: dem Verzicht auf liebgewonnene Gewohnheiten wie rauchen, gut essen, Alkohol trinken, zu Süßigkeiten greifen oder stundenlang fernsehen.
Das Motto in diesem Jahr lautet: „Leuchten! Sieben Wochen ohne Verzagtheit.“ Es lädt uns ein, aus unserer Verzagtheit, unseren Gedanken an Inflation, Lohnkämpfe, Energiekrise, Klimawandel, Krieg in Europa, aus allem, was unsere Zuversicht erstickt, herauszutreten und auf das zu blicken, was leuchtet. So wie das Tageslicht von Tag zu Tag um einige Minuten länger leuchtet, so nähern wir uns dem österlichen Leuchten. Die Fastenzeit ist kein Verzicht um des Verzichts willen. Sie soll uns Tag für Tag zu neuen Erfahrungen führen. Eine Zeit lang auf etwas zu verzichten, macht uns dazu frei. Das wünsche ich mir und Ihnen.