Wie erleben Sie als Schulsozialarbeiter den von Corona geprägten Schulalltag?

Sehr intensiv. Wie es vermutlich bei den meisten ist, mussten wir unsere Arbeit in unserem Alltag neu organisieren. Eine spannende Geschichte!

Schulsozialarbeit fußt auf Vertrauen, auf Gespräche, auf das Miteinander, das Erleben des Gegenüber – wie kann dieser Anspruch in Corona-Zeit (unter anderem mit der zeitweisen Schulschließung) mit virtuellem Unterricht aufrechterhalten werden?

In der Zeit des Lockdown waren wir verstärkt auf die Rückmeldungen der Lehrkräfte angewiesen. Hier war es uns ein Anliegen, die Beteiligten dafür nochmals zu sensibilisieren. Die von den Schulen eingeführten digitalen Wege, nutzten wir, um Präsens zu zeigen, wie in einem virtuellen Schülercafé. Aber auch in den Schulen haben wir an den Abholorten beispielsweis Bastelecken mit Material für die Kinder aufgebaut, waren draußen an öffentlichen Plätzen unterwegs.

Momentan entstehen die meisten Kontakte über „Pausenhofgespräche“, Klassenprojekte und das Schülercafé (Kohortenbesuche). Wie schon eh und je läuft viel über Mund-zu-Mund-Propaganda, bzw. Empfehlungen von Freunden. Es spricht sich rum, dem wurde auch geholfen, vorhandene Beziehungen werden weiter gepflegt, müssen ja nicht neu entstehen.

Können Sie ein paar Unterschiede Ihres Alltages vor Corona und dem aktuellen Einsatz benennen?

Allein schon die Einschränkung des Erkennens der Mimik durch den Mund-Nasen-Schutz ist ein Beispiel. Es gilt, nun noch viel mehr in den Augen zu lesen. Außerdem haben sich verschiedenste Schulabläufe an den Schulen verändert, was auch Einfluss auf unsere Arbeit nimmt. Nehmen wir das Kohortenprinzip als Beispiel: während früher alle Schüler gleichzeitig das Angebot wahrnehmen konnten, besuchen sie nun nur in ihrer Kohorte das Schülercafé. Verschiedene methodischen Elemente in den Klassen müssen aufgrund der Abstandsregel angepasst werden. Natürlich müssen auch bei uns die möglichen Infektionsketten nachvollziehbar sein. Des Weiteren stellen wir fest, dass die Schulsozialarbeit als neutraler Rückzugsort an der Schule genutzt wird. Dies nur mal als ein paar Beispiele.

Haben sich die Sorgen/Nöte der Schüler verändert?

Teilweise natürlich auch, wie zum Beispiel die Sicherheit des Arbeitsplatzes der Eltern, aber nicht so gravierend. Einschränkungen im öffentlichen Leben bedeuten selbstverständlich ebenso eine Verschiebung mancher Themenfelder. Allerdings erscheint es viel mehr so, als durchleben die Schulsozialarbeiter ihre Themen viel intensiver. Eine generelle Verunsicherung der Schulsozialarbeit scheint erkennbar zu sein, da es eine allgemeine Ungewissheit über unser zukünftiges Leben gibt.

Erreichen Sie die Schüler, die vor Corona Probleme hatten (schwieriges familiäres Umfeld, private Sorgen etc.) aktuell in ausreichendem Maße?

Ja, die Schulsozialarbeiter sind ja momentan ohnehin vor Ort und wenn man schon im Kontakt ist, ist es auch leichter, im Falle einer „Schulschließung“ weiter den Kontakt zu halten.

Besuchen Sie Schüler auch Zuhause?

Besuche im Haushalt der Familien gibt es auch, allerdings eher weniger und zu Zeiten der Pandemie maximal 15 Minuten. Während des Lockdown sind wir vermehrt mit den jungen Menschen spazieren gegangen und haben diese dann von zu Hause abgeholt und wieder nach Hause gebracht. Es war auch sehr schön, mal zu sehen, wo die Schüler und Schülerinnen wohnen.

Sind die Appelle von Politik und Gesellschaft besonders an die Jugend, sich an Corona-Regeln zu halten, tatsächlich notwendig?

Viel wichtiger ist es, dass die Personen aus dem direkten Umfeld mit der Jugend ins Gespräch gehen. Die jungen Menschen erkennen hierdurch besser die Bedürfnisse und Ängste in unserer Gesellschaft.

In Deutschland beklagen sich Erwachsene über die ungleichen Corona-Regeln in verschiedenen Bundesländern. Ist das auch bei Jugendlichen ein Thema?

Gerade unsere Jugend erfährt, bzw. erlebt die ganzen Regeln aus den verschiedenen Gremien sehr konkret und direkt. Es geht also vielmehr um die Diskrepanzen und somit das Verständnis über die Sinnhaftigkeit verschiedener Regeln im Alltag sowie an der Schule.

Eine Forderung von Politik und Gesellschaft lautet, dass die Digitalisierung in der Schule ausgeweitet werden muss. Wie sehen Sie diesen Ruf nach mehr Technik?

Der technische Fortschritt war schon immer ein zentrales Thema in der Menschheit. Größtenteils tragen diese Entwicklungen zur Erleichterung unseres Alltags bei. Das Grundproblem ist, dass die Geschwindigkeit dieser Entwicklungen bzw. Veränderungen rapide zugenommen hat. Wesentliche Dinge bleiben immer mehr auf der Strecke. Unsere Kinder werden von Reizen überflutet und viele können diese Dinge nicht adäquat einordnen. Trotz allem ist es wichtig, dass unsere Schulen technisch gut ausgestattet sind und unsere Kinder eine zeitgemäße Bildung erfahren dürfen. Die Herausforderung, vor allem auch für uns als Schulsozialarbeit, ist es ein vernünftiger und respektvoller Umgang mit den digitalen Medien zu vermitteln.

Geht dies zulasten des Miteinanders, der Gemeinschaft und wie können Sozialkompetenzen wie Toleranz, Respekt entwickelt werden, wenn die Individualisierung vorangetrieben wird?

Individualisierung ist per se eine gute Sache. Jeder Mensch hat das Recht und sollte demnach darin unterstützt werden, sich frei zu entfalten. Individualisierung sollte nicht mit Egoismus verwechselt werden. Man könnte behaupten, dass die freie Entfaltung, also Individualisierung Dinge wie Toleranz und Respekt dem Anderen gegenüber, mit zu den Grundpfeilern gehören und daher lässt sich damit arbeiten. Die Arbeit an den Sozialkompetenzen wie Toleranz und Respekt sind natürlich weiterhin Themen, an denen wir arbeiten.

Fragen: Siegfried Volk