Das Waldgebiet Neidling ist nicht nur eine Ansammlung von Bäumen. Wenn die Sonnenstrahlen durch die Bäume glitzern, dann bekommt man ein Gefühl der Geborgenheit. Dass die Menschen schon immer den Neidling als einen mythischen Ort betrachtet haben, das kann man auch heute noch verstehen. Auslöser dürfte auch die Muttergotteseiche sein, die seit Jahrhunderten im Wald Gläubige angezogen hat. Und auch heute noch ist sie ein Platz für das Innehalten und die Zwiesprache mit Gott. Besonders aber mit der Mutter Maria. Am Samstag, 13. Mai wird es wieder eine Maiandacht geben und damit eine uralte Tradition neu belebt. Grund ist die Neugestaltung des Platzes, der zweifellos nicht nur ein Stück Stadtgeschichte, sondern auch einen Ort der Religiosität und des Volksglaubens ist. Und nicht zuletzt Inhalt einer Sage, die mit der Wallfahrtskirche Maria Schray zusammenhängt.
Gnadenbild entkommt dem Feuer
Der Legende nach soll das Gnadenbild Marias im Juli 1632 in einem „Kranz von Rauch und Feuer“ angeblich zum Dachstuhl der Kirche Maria Schray hinaus und in den Wald hineingeflogen sein. Das Geschehen ist auf einem alten Ölgemälde, das nach dem Bau des Kirchenschiffs von Maria Schray im Jahr 1666 an der Nordwand der Kirche aufgehängt wurde, im Stil der damaligen Zeit dargestellt. Die Schweden hatten das Gotteshaus im 30-jährigen Krieg angezündet. Der Name hat übrigens nichts mit einer schreienden Maria zu tun. Seitdem kommen immer wieder Gläubige in den Wald, um dort zu beten oder die Hilfe Mariens zu erbitten.
Die Legende erweiterte sich um die Muttergotteseiche im Neidling
Ursprünglich erwähnte die Legende nur das Gnadenbild, das auf wundersame Weise vom Feuer verschont blieb. Die Geschichte mit der Rettung auf der Eiche im Neidling kam erst später dazu und hat sich fest in den Erinnerungen der Menschen eingegraben. Eichen gelten im Glauben der Menschen schon seit jeher als besondere Bäume. Vielleicht auch deshalb, weil sie sehr alt werden. Ein ewiges Leben haben aber auch sie nicht. Und das gilt auch für die Muttergotteseiche, die immer mehr ihrem Ende entgegenging und letztendlich nur noch ein maroder Baumstumpf war, auf dem das Gnadenbild saß.

Stilvolles Holzgestell ersetzt Eiche
Auf Initiative des 1967 verstorbenen Schreinermeister Eduard Berenbold wurde bereits im Weltkriegsjahr 1944 eine neue Eiche gepflanzt, die später einmal die Tradition erhalten sollte. Denn bereits im Winter 1909/1910 hatte der alte Baum seine Krone komplett verloren. Alle Erhaltungsmaßnahmen nützten nichts. Der Baumstumpf musste im vergangenen Jahr weg. Ein von der Firma Künstle gebautes Gestell, das dem an der alten Eiche nachempfunden ist und auch die restaurierte Statue der Gottesmutter in einem Kasten mit Glasscheibe trägt, steht nun genau an der Stelle, wo der ursprüngliche Baum viele Jahrhunderte die Menschen angezogen hat.
Muttergottes wurde restauriert
Die Muttergottes-Statue wurde restauriert und am 17. Dezember vergangenen Jahres im Rahmen einer Wallfahrtsmesse in St. Jakobus von Pfarrer Martinho Dias Mértola gesegnet. Die angesammelten Devotionalien im Neidling wurden nicht weggeworfen, sondern an die junge Eiche, das Gestell mit dem Bildnis und den Rest der alten Eiche gelegt. Es ist unverkennbar, dass bereits neue Gegenstände dazugekommen sind.

Eichen schon immer heilige Orte
Wallfahrten und Prozessionen zu einer Muttergotteseiche sind übrigens gar nicht so selten, wie man vermuten könnte. In Radheim/Odenwald sind sie viele Jahrhunderte belegt und auch in anderen Orten gibt es solche Eichen oder die Reste davon. Bereits die Kelten verehrten diesen Baum in besonderer Weise. Durch Geschichtsschreiber ist überliefert, dass die Kelten ohne Eichenlaub keine kultischen Handlungen vollzogen. Und auch im Christentum hat die Eiche eine besondere Stellung, denn sie gilt als Lebensbaum. Das dauerhafte Holz und das lange Leben des Baumes stehen für das ewige Leben und das ewige Heil. Die Eiche findet sich in der Gotik und der frühen Neuzeit etwa auf Bibeleinbänden. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg gab es wohl Prozessionen von Zell aus zur Muttergottes im Neidling. Diese Tradition ist leider verloren gegangen. Aber vielleicht findet sich jemand, der sie wieder aufleben lässt.