Es kommt ihr manchmal vor, als ob es erst gestern gewesen wäre: Dabei ist es 20 Jahre her, als Geraldine Engel aus Pfullendorf in der fünften Staffel der TV-Reality-Show Big Brother dabei war. Noch heute erinnert sie sich gut an ihre Zeit als Bewohnerin im Container, in dem sie schnell einen Spitznamen erhielt.
Im Jahr 2000 lief die erste Staffel von Big Brother – einer neuen Fernsehshow, in der die Bewohner zusammen auf engstem Raum in einer hermetisch abgeriegelten Containerunterkunft wohnten, diverse Challenges machen mussten, einer nach dem anderen von den Zuschauern per Abstimmung nach Hause geschickt wurde, bis am Ende ein Bewohner als Sieger übrig blieb. „Ich habe die Sendung damals nie angeschaut, weil ich dafür gar keine Zeit hatte“, sagt Geraldine Engel im Gespräch mit dem SÜDKURIER.

Nach der Schule absolvierte sie ein Maschinenbaustudium in Ravensburg, war danach als Vertriebsingenieurin bei einer Firma in Weingarten beschäftigt. „An den Wochenenden war ich in ganz Deutschland viel für Promotion unterwegs“, so Engel. Dort traf sie häufiger auf Bekannte aus der Fernsehbranche, die sie überredeten, sich für Big Brother zu bewerben, obwohl die fünfte Staffel schon angefangen hatte. Also gab sie sich – obwohl sie die Sendung immer noch nicht kannte – einen Ruck, durfte das erste Casting überspringen, nahm an einer psychologischen Untersuchung teil und fuhr nach Köln zu einem Videocasting. „Ich passte wahrscheinlich gut ins Format, weil ich als junge Frau einen Männerberuf ausübte.“
Ihre Mutter weiß nichts davon
Dann ging alles ganz plötzlich. Am 9. September 2004 zog sie als 26-Jährige in den BB-Container ein. Niemand wusste etwas davon, nicht einmal ihre Mutter, die von den Plänen ihrer Tochter erst erfuhr, als sie schon ihre Koffer gepackt hatte. „Sie war eigentlich dagegen“, sagt Geraldine Engel.
Studium wird verschoben
Der Zeitpunkt ihres Einzugs am Standort in Köln-Hürth war wenige Wochen vor dem in ihrem Kalender markierten Start ihres Aufbaustudiums für internationales Marketing und Management in Reutlingen. Zeitlich sah sie darin keine Überschneidung. „Ich dachte, ich bin maximal zwei Wochen im Container, dann bin ich wieder draußen und kann zum Studieren.“
Die meiste Zeit im reichen Bereich
Doch das Semester Anfang Oktober ging ohne sie los. Ihre Prognose traf nicht ein, denn am Ende waren es 138 Tage, die sie im Container verbrachte – die meiste Zeit davon im reichen Bereich. Die fünfte Staffel war die erste mit drei Bereichen – reich, normal und arm. Pro Bereich wohnten je fünf Bewohner. „Ich kannte niemanden“, sagt sie. Niemand kannte sie. „Sie waren alle verblüfft, dass mir die Sendung nicht bekannt war.“
Geraldine war beliebt, überstand mehrere Nominierungen, die den sofortigen Auszug der Bewohner zur Folge hatten. „Ich war glaube ich die einzige Bewohnerin, die nicht über andere gelästert hat.“ Sie sei schüchtern gewesen, habe nicht viel geredet.
Keinen Kontakt mehr
Das Sagen im reichen Bereich hatte Sascha Sirtl, dem Sieger der fünften Staffel. „Mit ihm habe ich mich gut verstanden.“ Heute hat sie keinen Kontakt mehr zu ihm. Überhaupt ist kein einziger Name ihrer früheren Mitbewohner in ihrem Handy gespeichert. Ein Wiedersehen gab es lediglich bei einer BB-Party mit allen 15 Bewohnern.
Sie muss auf einem Schwein reiten
Geraldine Engel erinnert sich indes noch gut an ihre Challenges, die sie außerhalb des Sets auf einem Bauernhof absolvieren musste. Mit verbundenen Augen wurde sie dort hingefahren, bevor sie ihre Aufgaben erhielt. Sie musste barfuß einen Misthaufen ausmisten, „in dem mir die Jauche bis zu den Knien stand“. Sie musste einer freilaufen Gans eine rote Schleife vom Hals abnehmen, auf einem Schwein reiten und schon wieder in einem Misthaufen hinein – dieses Mal, um in ihm nach einem Schlüssel zu suchen. Sie schaffte alle Aufgaben.
„Ich war froh über jede Abwechslung.“Geraldine Engel, Bewohnerin bei Big Brother
Zur Belohnung gab es für ihre Mitbewohner im reichen Bereich gutes Essen und Kosmetikartikel und für sie selbst ein Fotoshooting mit einer Modelagentur, die sie hinterher sogar buchen wollte. „Ich war froh über jede Abwechslung“, ergänzt Geraldine, deren neunjährige Tochter im kommenden Schuljahr von der Grundschule in die fünfte Klasse des Staufer-Gymnasiums in Pfullendorf wechselt, wo die Mama 1998 ihr Abitur gemacht hat.
Die Tage im Container waren lang, oft sehr lang. Es gab keinen Fernseher, keine Zeitschriften, es gab Nichts, womit sich die Bewohner hätten ablenken können. „Auf Dauer wurde es schon langweilig.“ Also verbrachte die Pfullendorferin viel Zeit im Badezimmer, cremte ihren Körper ein, putzte sich mehrmals am Tag minutenlang die Zähne, duschte mindestens einmal pro Tag – auch im Freien bei kalten Temperaturen, als sie für eine gewisse Zeit in den armen Bereich wechselte.
Kameras stören sie nicht
Die damalige Moderatorin Ruth Moschner verlieh ihr deshalb den Spitznamen Zahnfee. Und die Zahnfee wurde ständig von den zahlreichen Kameras beobachtet. Darum ging es in der Show – auf Schritt und Tritt und rund um die Uhr, auch nachts im Bett, von den Kameras verfolgt zu werden. „Die Kameras haben mich eigentlich nicht gestört. Aber nackt wollte ich mich nicht zeigen, weil ich nicht wollte, dass ich so gesehen werde.“
Dass Geraldine doch noch motiviert war, länger im Container zu bleiben, lag an einem Mann, der Anfang November eingezogen war. Toni, den sie von ihrer Promotionstätigkeit kannte und mit dem sie ein Verhältnis hatte, wurde als neuer BB-Bewohner vorgestellt. „Da hatte ich wieder Lust, doch noch länger zu bleiben.“ Den mit Toni hatte sie wieder eine Bezugsperson, der sie sich anvertrauen konnte, obwohl er im armen Bereich wohnte. „Wir haben uns oft am Zaun getroffen.“ Und trotzdem kam der Tag des Auszugs – am 24. Januar, nach 138 Tagen, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen. „Ich war dann irgendwie froh, draußen zu sein, fühlte mich am Ende eingesperrt.“
Männer machen ihr Heiratsanträge
Doch Geraldine Engel unterschätzte, dass sie als BB-Bewohnerin bekannt war und von den Fans erkannt wurde. Auf ihrem Nachhauseweg von Köln an den Bodensee legte sie eine Rast ein, um in einem Restaurant zu essen. „Ich machte die Türe auf und wurde sofort von fremden Menschen angesprochen.“ Sie setzte ihre Fahrt hungrig fort. In einem Freibad in Reutlingen, wo sie ihr Aufbaustudium mit Verzögerung begann, aber nicht zum Abschluss brachte, „wollten die Leute Fotos und Autogramme von mir.“
Und sie erhielt Briefe von Männern, die sie heiraten wollten. Geraldine Engel wurde bewusst, dass Millionen von Fernsehzuschauern die Staffel verfolgten, in der sie viele Sympathien erwarb. „Dieser ganze Rummel war mir unangenehm.“

Inzwischen ist Geraldine Engel 46 Jahre alt, optisch jung geblieben, reifer und wie sie selbst über sich sagt – „nicht mehr so naiv wie früher“. Sie ist Nachhilfelehrerin für Deutsche und Mathematik, hilft als Servicekraft in einer Pizzeria aus. Zuvor machte sie in ihrem Job als Vertriebsingenieurin in der Region weiter, ehe sie sich dazu entschloss, sich beruflich anders zu orientieren. „Ich war einfach nicht mehr glücklich mit dem, was ich getan habe.“ Jetzt ist sie glücklich, hat einen Partner an ihrer Seite und geht in ihrer Rolle als Mutter auf.
Ob sie es je bereut hat, bei BB als Bewohnerin mitzumachen. „Nein“, sagt sie. Aber sie könne nicht sagen, ob sie es jemals wieder machen würde. Ihre Oma jedenfalls schaute sich alle Sendungen mit ihrer Enkeltochter an.