Nach jahrelanger Vorarbeit soll im Sommer der Regionalplan des Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben verschiedet werden, der die Entwicklung der Landkreise Sigmaringen, Bodenseekreis und Ravensburg die nächsten zwei Jahrzehnte vorgibt. Wobei der Protest gegen die Ausweisung neuer Wohn- und Gewerbegebiete, Rohstoffabbau und Straßenbauprojekte sich in den vergangenen Monaten erhöhte und die Wortwahl aggressiver wurde.
„Kesseltreiben gegen den Regionalplan„
Als „Kesseltreiben gegen den Regionalplan„ bezeichnete Thomas Kugler, Vorsitzender des Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben, die jüngsten Proteste von Umwelt- und Klimaschützern, die darin gipfelten, dass Aktivisten in Ravensburg auf das Dach des Verbandsgebäudes kletterten, was als Hausfriedensbruch gewertet werden könnte. Kugler, Bürgermeister von Pfullendorf und Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion, beleuchtete mit den Fraktionschefs Doris Schröter (Freie Wähler) und Matthias Seitz (SPD), seinem CDU-Stellvertreter Stefan Bubeck sowie Landrätin Stefanie Bürkle bei einem Pressegespräch im Rathaus Mengen den Regionalplan aus Sicht des Landkreises Sigmaringen.
Chance, um das drängendste soziale Problem zu lösen – die Wohnungsnot
In den nächsten 15 bis 20 Jahren sollen in der Region Bodensee-Oberschwaben rund 2700 Hektar Fläche verbaut werden, um ein prognostiziertes Bevölkerungswachstum von rund 65 000 Menschen zu bewältigen, beziehungsweise den Leuten Wohnung und möglichst auch ortsnahe Arbeitsplätze bieten zu können, mitsamt der nötigen Verkehrsinfrakstruktur. 1000 Hektar sollen für Wohngebiete, 800 Hektar für Gewerbeflächen und 300 Hektar für Straßenbau versiegelt werden, was Kritiker als „Flächenfraß“ bezeichnen.
Als große Chance für den Landkreis Sigmaringen sehen hingegen die heimischen Kommunalpolitiker den Regionalplan, auch um das drängendste soziale Probleme der Zeit zu bewältigen – den Mangel an Wohnraum. Auf die SÜDKURIER-Frage, ob die von Kritikern als akzeptabel geltende Ausweisung von 1500 Hektar Fläche ausreichend wäre, schüttelten alle Kommunalpolitiker den Kopf.
„Kommunen sind nicht die Schmutzfinken der Nation“

Für Doris Schröter, Bürgermeisterin von Bad Saulgau, ist es nicht nachvollziehbar, dass der demokratische Willensbildungsprozess des Regionalplans als intransparent kritisiert wird. Sie wies auf die Bürgerbeteiligung hin, denn allein in der ersten Offenlegung habe es mehr als 3200 Stellungnahmen von Bürgern, Verbänden und Organisationen zu dem Entwurf gegeben. Dass Kommunen „als Schmutzfinken der Nation“ bezeichnet würden, sei für sie nicht hinnehmbar, denn Gemeinden und Landkreise legten großen Wert auf nachhaltige Entwicklung.
Vorschriften erschweren Suche nach Flächen für Wohn- und Gewerbebauten
Immer wieder betonten die Kommunalpolitiker, dass der Wunsch vieler Menschen nach eigenem Wohnraum, zu dem auch Einfamilienhäuser gehörten, ein Grundbedürfnis ist, das immer schwieriger zu erfüllen sei. Der Flächenmangel, die Konkurrenz zur Landwirtschaft, die berechtigten Belange von Umwelt- und Naturschutz und auch viele Vorschriften erschwerten die Grundstückssuche. Doris Schröter nannte sie als Beispiel die Einhaltung von Emissionsabständen gegenüber landwirtschaftlichen Betrieben, obwohl diese nicht mehr bewirtschaftet werden. Und junge Leute, die heute im Namen des Klimaschutzes gegen neue Wohngebiete protestierten, fragten in zehn Jahren bei Rathäusern nach Wohnraum nach, mutmaßt Thomas Kugler.
Landrätin: „Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie“
Rund 44 500 Hektar des Kreisgebiets seien im Landkreis Sigmaringen als Biotopfläche ausgewiesen, und der zusätzliche Flächenbedarf des neuen Regionalplanes betrage 500 Hektar, ist für Landrätin Stefanie Bürkle der Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie gesichert. Im Landkreis sind nach ihren Angaben nur 10,1 Prozent der Fläche überbaut, während der Landesdurchschnitt 14,6 Prozent beträgt. Auch die Transformation der Wirtschaft benötige Fläche, berichtete Bürkle von der Gewerbeflächenanfrage eines Batterieherstellers vor Jahren, der 30 Hektar für seine Produktionsstätte benötigte, die im Kreis Sigmaringen aber niemand anbieten konnte.
Kommunalpolitiker sind enttäuscht und verärgert
Deutlich wurde bei dem Pressegespräch, dass die Kommunalpolitiker von der Wucht des Protestes gegen den Regionalplan und der Wortwahl ihrer Kritiker gleichermaßen überrascht, enttäuscht und verärgert sind. Überzeugt sind alle, dass der Kreis Sigmaringen als „Hinterland des Bodensees„ von zusätzlichen Einwohnern, neuen Wohn- und Gewerbegebieten langfristig profitieren wird.