Ein wahres Meer an roten Flaggen flatterte am Freitag auf der Straße vor der Firma Kramer im Wind, Transparente wurden hochgehalten, Pfiffe und „Buh“-Rufe ertönten vor dem Gebäude. Die IG Metall hatte zum Warnstreik mit Kundgebung aufgerufen; sie fordert in der laufenden Tarifrunde eine Entgelterhöhung von acht Prozent für die Beschäftigten. Dafür war bereits am 2. November bei der Firma Kramer gestreikt worden.
Produktion soll stillgestanden haben
Laut Einschätzung von Frederic Striegler, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall in Friedrichshafen-Oberschwaben und Singen, waren dieses Mal rund 400 Personen zur Kundgebung gekommen. In den Hallen des Unternehmens stand derweil die Produktion komplett still, wie Marcel Scharlach vom Kramer-Betriebsrat dem SÜDKURIER berichtete. „Nur vereinzelte Produktionsmitarbeiter sind drinnen geblieben“, sagte er.

Natürlich hatte die IG Metall den Termin am 11.11. um 11.11 Uhr nicht zufällig gewählt. Das wurde deutlich, als Frederic Striegler die Kundgebung mit den Worten: „Eine glückselige Fasnet!“ eröffnete. Er selbst sei Mitglied in einem Narrenverein und normalerweise sei es eine Pflichtveranstaltung für die Mitglieder, am 11.11. gemeinsam die Fasnet einzuläuten. „Aber ich kann Euch eines sagen: Ich finde nichts geiler und schöner, als mit Euch heute hier die Fasnet einzuläuten“, rief Striegler unter begeisterten Rufen und dem Applaus der Teilnehmer der Kundgebung aus.
Solidarität von anderen Firmen
„Als Metaller ist man nie alleine, als Metaller hat man immer Solidarität“, betonte Striegler. Diese Solidarität habe die IG Metall heute organisiert. Es seien unter anderem Kollegen der Firmen Amcor, Constellium, 3A Composites (alle Singen), Hymer (Bad Waldsee) sowie MTU/Rolls-Royce Solutions und ZF (beide Friedrichshafen) anwesend, um die Kramer-Mitarbeiter zu unterstützen.
„Buh“-Rufe wegen der Tarifflucht
„Sie alle sind da, um Euch zu unterstützen – nicht nur, weil sie auch gerade die achtprozentige Erhöhung fordern, sondern weil sie es auch eine Unverschämtheit finden, dass Kramer Tarifflucht betreiben will“, rief Frederic Striegler aus. Laut ertönten die „Buh“- und „Pfui“-Rufe als Antwort. Striegler bezog sich damit auf den angekündigten Ausstieg der Firma Kramer aus der Tarifbindung, den die IG Metall seit Anfang Oktober anprangert. Er hätte sich heute am liebsten gewünscht, so Striegler, dass die Narren die Geschäftsführung an diesem 11.11. stürmen würden. „Denn dann wäre dieses Geschäft in Zukunft besser geführt“, so sein bissiger Kommentar.

Was die IG Metall in den vergangenen Tagen bei der Firma Kramer erlebt habe, sei ziemlich heftig und er zolle den Betriebsräten den höchsten Respekt. Die Betriebsratsspitze sei in ihrer Arbeit massiv behindert worden. Striegler schilderte, dass die IG Metall wegen der Behinderung der Betriebsratsarbeit Strafanzeigen gegen einige Mitarbeiter der Firma stellen werde. Die Geschäftsführung wollte dazu auf Nachfrage des SÜDKURIER keine Stellungnahme abgeben.
„Und ich weiß auch, dass die Leute Euch unter Druck gesetzt haben, damit Ihr heute nicht am Warnstreik teilnehmen sollt“, rief Frederic Striegler am Freitag in die Menge. Deshalb sei er doppelt stolz, dass so viele dennoch am Streik und an der Kundgebung teilnahmen. „Wir streiken heute für acht Prozent mehr Entgelt, weil wir uns das verdient haben“, betonte Helene Sommer, erste Bevollmächtigte der IG Metall in Friedrichshafen-Oberschwaben und Singen. Man sei derzeit mitten in der Tarifrunde, am Donnerstag sei die nächste Verhandlungsrunde angesetzt, so Sommer.
Tarifverträge mit 35-Stunden-Woche sollen gelten
Sie räumte ein, dass viele Kramer-Mitarbeiter auch deshalb am Streik teilnehmen würden, weil sie sich Sorgen machen über die Tarifflucht der Firma. In Richtung Geschäftsführung sagte Helene Sommer: „Ich glaube, es ist das richtige Zeichen an die da oben, dass wir sagen, dass wir arbeiten wollen und dass wir finden, dass Kramer ein großartiges Unternehmen ist. Aber wir wollen fair behandelt werden. Wir wollen, dass unsere Tarifverträge gelten und dass in der Firma in Zeiten, in denen sie gut verdient, dann auch wieder auf einer vernünftigen Basis gearbeitet wird, mit einer 35-Stunden-Woche“, rief sie aus.
Mitarbeiter sollen zusammenhalten
Roberto Salerno vom Betriebsrat der Firma ZF ermunterte die Kramer-Belegschaft, zusammenzuhalten. „Es ist wie mit den Zahnstochern. Einen einzelnen Zahnstocher kann man brechen, ein ganzes Bündel nicht“, sagte Salerno. Auch Achim Zinser, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von MTU/Rolls-Royce Solutions, bezeichnete die Tarifflucht als „unanständig“.

Es gelte der Grundsatz: „Faire Arbeit wird fair bezahlt“. Er sagte den Pfullendorfern uneingeschränkte Unterstützung zu. Janusz Eichendorff, Vorsitzender des Betriebsrats von Hymer, prangerte ebenfalls die Tarifflucht an. „Für unsere Kinder und Enkel kann doch keine Tarifflucht die Zukunft sein“, sagte er.