Unabhängig voneinander sind die Eheleute Ulrike und Mario Castagna sowie Beatrix Amann und ihre Tochter Leonie – alle aus Gutenstein auf dem Jakobsweg gepilgert. Beide Familien waren fast zeitgleich auf dem Camino Francés in Nordspanien unterwegs und erst ein paar Wochen vor Beginn erfuhr die eine Familie vom Vorhaben der anderen. Die Castagnas starteten in Leon und pilgerten bis Santiago de Compostela und dann weiter zum Kap Finisterre, „an das Ende der Welt“, die Amanns begannen den Weg nahe der französisch-spanischen Grenze in St. Pied de Port und wanderten bis Leon. „Total beeindruckt, geflasht, einfach wunderbar, unbeschreiblich“, mit diesen Superlativen beschrieben die Pilger ihr Abenteuer im Gespräch mit dieser Zeitung.
Härtetest in den Pyrenäen

Einen anfänglichen Härtetest mussten Mutter und Tochter gleich bei der ersten Etappe, einer sehr anspruchsvollen über die Pyrenäen führende Etappe, bestehen. „Der Beginn gleich mit der Pyrenäenetappe ist schwierig“, so Beatrix Amann, „über 20 Kilometer ging es bergauf.“ Über Pamplona führte der Weg weiter Richtung Burgos und durchquert die „wüstenähnliche“ und wenig bewachsene und besiedelte Gegend der Meseta bis Leon. Auch das Ehepaar berichtete von anfänglichen Problemen. „Ich habe drei Tage gebraucht, um mich auf dem Weg zurecht zu finden. Nach anfänglichen Schmerzen habe ich mich schon gefragt, warum mache ich das?“, so die Ehefrau und ihr Mann meinte: „Auf den Schotterwegen habe ich auch Schmerzen gespürt.“ Ihr Weg führte über Astorga, ehe der Camino Francés durch die Regionen Kastilien und Galicien nach Santiago führt.
Am höchsten Punkt des spanischen Jakobsweges

Auf dem höchsten Punkt des spanischen Jakobsweges steht das Cruz de Ferro auf einem Steinhaufen, ein Eisenkreuz, das auf einem hohen Baumstamm montiert ist. Das Ablegen eines mitgebrachten Steins, so heißt es bei den Pilgern, symbolisiert die Sünden, die man hinter sich lässt. Diesem Brauch kamen auch die Castagnas nach. Beeindruckt zeigten sich Amanns von einem Brunnen in Ayegui, bei dem über einem Becken zwei Hähne angebracht sind, einer für Wasser, einer für Wein und sich die Pilger mit Wasser oder mit Wein stärken können. Übernachtet haben die vier Wanderer in Herbergen, Klöstern, ehemaligen Klöstern, Gemeindehallen, privat oder Hotels, Corona-bedingt gab es keine hundertprozentige Auslastung. Die Gemeindeherbergen seien meist günstig, so Ulrike Castagna, aber sie mussten auch öfters mit mehreren Pilgern in einem Saal übernachten. Alle hoben die Sauberkeit der Unterkünfte und die Hilfsbereitschaft der Pilger hervor. Man werde belohnt durch die vielen Kontakte und menschlichen Begegnungen mit Pilgern aus aller Welt. Jeder sei für den anderen da, man kümmere sich umeinander.
Die Küchen in den Herbergen waren aus Pandemiegründen geschlossen. Zur Verpflegung berichtete Beatrix Amann: „Wir haben im Supermarkt eingekauft und das Vesper für den nächsten Tag gerichtet. Das Frühstück besorgten wir in einer Bar oder frühstückten in der Bar.“ Und Ulrike Castagna ergänzt: „Abends aßen wir im Restaurant, ein Drei-Gänge-Menü mit einer Flasche Wein und Wasser für 12 Euro, einfach genial.“ Beim Gepäck waren die empfohlenen Packlisten ein Anhaltspunkt. Ulrike Castagna musste etwa neun Kilo schleppen, ihr Mann packte 14 Kilo zusammen. Offensichtlich war ihm der Rucksack zu schwer, nach der dritten Etappe schickte er sieben Kilogramm an den Zielort Santiago. Amanns Rucksäcke wogen etwa 7,5 Kilogramm, ohne Verpflegung.
Einen Traum erfüllt
Wie kommt man darauf, auf dem Jakobsweg zu pilgern? „Es war immer schon mein Traum, den Jakobsweg zu gehen“, sagte der 64-jährige Mario Castagna: „Immer mal wieder habe ich diesen Gedanken ins Gespräch gebracht, nach der Rente immer öfters.“ „Da wir bisher alles zusammen gemacht haben, geht er doch nicht alleine“, waren die Gedanken seiner Frau. Nach dem Lesen von Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“, sei sie ganz fasziniert gewesen. Was macht der Weg mit mir? Wie kann ich mit meinem Körper umgehen? Schaff ich das noch? Diese Fragen hätten sich aufgetan. „Ich bin dann mal weg“ war auch der Auslöser bei Beatrix Amann. „Dass ich den Weg mal laufen will, war schon vor einigen Jahren klar.“ Da sie nicht alleine unterwegs sein wollte, habe sich ihre Tochter Leonie, 24 Jahre alt, entschlossen, mitzupilgern. Auch bei Amanns stellten sich die Fragen: Was kommt auf uns zu? Auf was lässt man sich da ein? Schaffen wir das? Beide Familien, die schon immer viel gewandert sind, verstärkten ihre Wanderaktionen und absolvierten dreimal die Woche zehn bis 30 Kilometer. Sie eigneten sich über Bücher und eine Camino-App ein Basiswissen für Pilger an.

Den Camino Francés haben sie ausgewählt, weil er eine gute Infrastruktur habe. „Der Weg hat alles mit mir gemacht, von Wut, von Zorn, bis zur absoluten Versöhnung. Es ist eine Selbstfindung auf eine bestimmte Art und Weise. Freiheit zu erfahren, vogelfrei zu sein, ist etwas Einmaliges“, blickte Ulrike Castagna auf die drei Wochen zurück. Auch ihr Mann zeigte sich begeistert: „Die gesamte Strecke hat mir sehr gut gefallen. Die Strapazen bei hohen Temperaturen freiwillig auf sich zu nehmen, ist eine Leistung. Bin stolz, dass ich es geschafft habe. Der Weg hat mich geprägt.“ Und Beatrix Amann sagte: „Das kann man nicht erzählen, das kann man spüren, es ist eine Droge. Es sind viele Menschen, besondere Menschen, mit denen man ins Gespräch kommt und es sind meist sehr wertvolle Gespräche. Anfangs waren wir schon aufgeregt bei dem Gedanken, was auf uns zukommt.“ Auch ihre Tochter Leonie war begeistert. „Beim Abendessen am letzten Tag hieß das Motto: Wir kommen wieder! Und das gilt heute auch noch. Wir sind ja erst auf der Hälfte des Camino Francés gepilgert“, sagte Ulrike Castagna ganz entschlossen. Dem schloss sich Beatrix Amann an: „Ja, wir machen weiter!“