Die christlichen Kirchen in Deutschland stecken in der Krise. Besonders die katholische Kirche ist von Missbrauchsskandalen und Austritten betroffen. Doch muss es bereits in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts Anlass für den Wunsch nach Veränderung gegeben haben. „Macht die Fenster der Kirche weit auf“, soll Papst Johannes XXIII. gesagt haben. Der Initiator des Zweiten Vatikanischen Konzils, das von 1962 bis 1965 dauerte, starb zwar noch während des Treffens der mehr als 2000 stimmberechtigten Teilnehmer. Sein Nachfolger Papst Paul VI. führte das Konzil zu Ende, das zum Ziel hatte die weltweit größte religiöse Institution zu öffnen und zu erneuern.

Im Bildungszentrum Gorheim in Sigmaringen, einer Einrichtung der Erzdiözese Freiburg, beschäftigten sich unter dem Titel „Geht noch was? Da geht noch was!“ die Teilnehmer mit den Folgen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die katholische Kirche in Deutschland mit dem Synodalen Weg in einer Reformdebatte befindet, sollten die fünf geladenen Gäste miteinander diskutieren. „Wir wollen nach der bleibenden Aktualität des Konzils fragen. Welche bleibenden Inspirationen lassen sich für unsere aktuellen Probleme und Herausforderungen der Kirche und Gesellschaft im Jahr 2023 entdecken?“, sagte Dekanatsreferent und Moderator des Abends Frank Scheifers zu Beginn der Diskussionsrunde.

Zunächst führte Barbara Henze, die an der Freiburger Universität zum Zweiten Vatikanischen Konzil forscht, den Abend ein. Die katholische Kirche habe nach dem Konzil nicht mehr den Anspruch zu wissen, was göttliche Wahrheit ist, nannte sie als eines der zentralen Ergebnisse. In Folge von Öffnung und Erneuerung waren Dialog und die Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und Religionen möglich und auch Frauen konnten nun Ämter in der katholischen Kirche bekleiden. In Bezug auf die aktuelle Situation der katholischen Kirche sprach sich Henze für eine bessere Kommunikation nach innen und nach außen aus. Sie plädierte anstatt einer „einseitigen Wahrheitsvermittlungen“ für „eine gemeinsame Wahrheitsermittlung“.

Der ehemalige Weihbischof Paul Wehrle berichtete, wie er seinerzeit als Student der Theologie das Konzil verfolgte. Als Wandel von einem vorgegebenen „Glaubensgebäude“ hin zum „Glaube als Weg“ hatte er die Veränderung damals erlebt. Aus Sicht von Judith Stengele, Studentin der katholischen Theologie aus Meßkirch, hat sich seit dem Konzil vieles positiv verändert. Während es ihrer Mutter noch verwehrt war, Ministrantin zu werden, hatte die 25-Jährige, deren Bachelorarbeit sich mit dem Konzil beschäftigt, eine positive Erinnerung an ihre Zeit als Messdienerin. Trotzdem wirke die Kirche immer noch stehengeblieben, das höre sie häufig in ihrem Umfeld, sagte Stengele.

Elisabeth Schieffer meinte, dass sie ihren beruflichen Lebensweg in kirchlichen Ämtern dem Konzil zu verdanke habe. „Das Konzil hat uns in die Situation gebracht, dass es verschiedene Meinungen gibt“, sagte die ehemalige Pastoralreferentin außerdem. Die Erfahrungen während ihrer Mitarbeit in kirchlichen Gremien während ihrer Berufstätigkeit waren aber offenbar andere: Zum Teil habe es an der Wertschätzung anderer Meinungen gefehlt, meinte sie.

Recht scharf kritisierte Stefan Eschbach, Delegierter des Diözesanrats beim Synodalen Weg, die aktuelle Haltung der Institution katholische Kirche. Das Frauenbild und die Sexualmoral nannte der engagierte Laie als Beispiel, „wie wenig anschlussfähig die katholische Kirche ist“. Auf zu wenige Priester reagiere die Kirche mit immer größeren Pfarreien, anstatt das Priesteramt zu verändern, meinte Eschbach. Außerdem gehe die Kirche mit dem Thema Macht falsch um, meinte er. „Wir müssen mehr Demokratie wagen“, zitierte Eschbach Willy Brandt.

Als Moderator Frank Schiefers das Publikum an der Diskussion beteiligte, war zu spüren, dass an der Mitgliederbasis der katholischen Kirche offenbar trotz Reformbemühungen weiterhin Unmut herrscht. Einzelne Stimmen aus dem Publikum klagten darüber, dass die Redner zulange das Wort gehabt hatten, „Wo bleibt der Dialog?“, fragte eine Zuschauerin laut. Der Priestermangel wurde beklagt und die Öffnung des Amtes gefordert. Dass sich innerhalb der Institution katholische Kirche etwas verändern und Gespräch stattfinden muss, war der Tenor der kritischen Beiträge aus dem Publikum.